Kardinal Kurt Koch zu Aufgaben und Perspektiven der Ökumene

"Darüber unterhalten, was Kirche ist"

Vor gut 100 Tagen hat der Schweizer Bischof Kurt Koch seine Arbeit als Präsident des Päpstlichen Einheitsrates aufgenommen, seit wenigen Wochen im Rang eines Kardinals. Nun zieht er Bilanz – und spricht über seinen Dienstbeginn, die ersten Arbeitsschritte und Perspektiven für die Ökumene.

Bischof Kurt Kardinal Koch: Präsident des Päpstlichen Einheitsrates (KNA)
Bischof Kurt Kardinal Koch: Präsident des Päpstlichen Einheitsrates / ( KNA )

KNA: Herr Kardinal, Sie hatten bereits in den ersten 100 Tagen als Präsident des Einheitsrates ein enormes Arbeitspensum zu bewältigen. Wie empfanden Sie Ihren Einstieg in Rom?

Koch: Recht positiv. Es ist mir viel Wohlwollen und Interesse an meiner Arbeit entgegengebracht worden. Ich erlebe ständig Neues. Dass gleich zu Beginn meiner Amtszeit das 50-jährige Jubiläum des Einheitsrates gefeiert wurde, war ein besonderes Ereignis. Zudem habe ich viele Reisen unternommen, zahlreiche Begegnungen gehabt. Wertvoll sind für mich die Treffen mit den Botschaftern. Dadurch lerne ich viele Länder und deren ökumenische Situation kennen.



KNA: Es ist immer wieder von ökumenischem Stillstand, von einer "Eiszeit" die Rede. Wie sehen Sie die Ökumene heute?

Koch: Von Eiszeit würde ich nicht reden. Aber es ist keine leichte Situation. Nach 50 Jahren haben wir unser eigentliches Ziel, die Einheit der Kirche, nicht erreicht. In den verschiedenen Dialogen ist mitunter das Ziel der Ökumene abhandengekommen. Die meisten Kirchen haben ihre eigene Vorstellung von der Einheit ihrer Kirche, und sie übertragen sie auf das Ziel der Ökumene. Daher haben wir so viele konfessionelle Zielbestimmungen der Ökumene, wie wir Kirchen haben. Es ist wichtig, dass wir uns darüber unterhalten, was Kirche ist. Das scheint mir eine der zentralen Fragen.



KNA: Ihre erste Auslandsreise ging - in Begleitung des Papstes - nach Großbritannien, zu einem Gipfeltreffen mit den Anglikanern. Das Verhältnis ist derzeit ja schwierig.

Koch: Nächstes Jahr beginnt eine neue Phase, und ich bin sehr zuversichtlich. Erzbischof Rowan Williams hat bei unserem Jubiläum in Rom betont, wir sollten uns vor allem Gedanken zur Eucharistie machen. Zu einem gemeinsamen Verständnis der Eucharistie zu kommen, halte ich für einen sehr verheißungsvollen Weg.



KNA: Ihr wohl wichtigster Termin war bislang der Besuch in Istanbul bei Patriarch Bartholomaios I. Wie steht es um den Kontakt zu Konstantinopel - und grundsätzlich zur Orthodoxie?

Koch: Die Orthodoxie war in den vergangenen Wochen ein Schwerpunkt unserer Arbeit. Höhepunkt war der Besuch zum Andreas-Fest in Istanbul. Man hat unserer Delegation eine großartige Gastfreundschaft entgegengebracht. Der Patriarch ist eine sehr liebenswürdige Persönlichkeit mit geistiger Tiefe; der Dialog mit unserer Kirche liegt ihm sehr am Herzen. Wir haben nach dem Festtag eingehende Gespräche über die Zukunft des Dialogs geführt.



KNA: Und wie geht er weiter?

Koch: Wir wollen ein theologisches Thema bearbeiten, das Verhältnis zwischen Primat und Synodalität der Kirche. Synodalität ist ein zentrales Thema für die Orthodoxie, der Primat für die Katholiken. Beide Seiten werden je ein Papier erarbeiten, aus dem wir im kommenden November ein gemeinsames Dokument erstellen wollen. 2012 kommt es dann in die Gesamtkommission.



KNA: Und Moskau zieht ebenfalls mit?

Koch: Das kann ich so noch nicht sagen. Für 2011 plane ich eine Reise nach Moskau. Ich habe mit dem für die Außenbeziehungen des Patriarchats zuständigen Metropoliten Hilarion besprochen, dass ich nach meinem Besuch in Konstantinopel gerne nach Moskau kommen möchte. Ich bin zuversichtlich, dass es nächstes Jahr klappt.



KNA: Sie haben den Präsidenten des ÖRK getroffen, jetzt kommt der Chef des Lutherischen Weltbundes. Aber der Kontakt zu den Kirchen der Reformation ist schwierig. Müssen Sie nachlegen?

Koch: Es ist der ausdrückliche Wunsch des Papstes, diesen Dialog voranzubringen. Als er mich fragte, ob ich die Aufgabe in Rom übernehme, war ein wesentliches Argument, dass wieder jemand kommt, der die aus der Reformation hervorgegangenen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften nicht nur aus Büchern, sondern aus eigener Erfahrung kennt. Ein deutliches Zeichen, dass ihm dieser Dialog genauso am Herzen liegt wie der Dialog mit der Orthodoxie. Er hat natürlich andere Traktanten. Mit der Orthodoxie geht es vor allem um die Primatsfrage. In den Kirchen der Reformation haben wir ein großes Pluriversum von Gemeinschaften mit vielen Fragmentierungen, was den Dialog nicht erleichtert. Aber es gibt auch Tendenzen zur Zusammenarbeit. Die Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa GEKE sehe ich als positiven Ansatz. Man hat hier einen Gesprächspartner, mit dem man verbindlich reden kann.



KNA: Welche Perspektiven sehen Sie für die Ökumene? Wie ist Einheit möglich? Welche Form von Einheit schwebt Ihnen vor?

Koch: Das Hauptproblem besteht darin, dass alle von versöhnter Verschiedenheit reden - aber darunter Verschiedenes verstehen. Für uns Katholiken beschreibt der Begriff gut die Zielbestimmung der Ökumene: dass die Verschiedenheiten, die kirchentrennend sind, aufgearbeitet und versöhnt werden, so dass wir uns dann gegenseitig als Kirche anerkennen können. Der heutige Papst sagte einmal: Ökumene heißt, dass wir eine Kirche sind und trotzdem verschiedene Kirchen bleiben. Demgegenüber habe ich bei den reformatorischen Kirchen mitunter den Eindruck, dass sie das Wort von der versöhnten Verschiedenheit auf die heutige Situation beziehen: Wir müssten uns nur gegenseitig als Kirchen annehmen, dann hätten wir schon die Einheit. Das ist für Katholiken so nicht annehmbar.



KNA: Wie kann man hier weiterkommen?

Koch: Indem wir uns tatsächlich darüber verständigen, was Kirche ist. Wir haben 1999 eine gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre verabschiedet. Ich sehe als Fernziel eine gemeinsame Erklärung zu Kirche, Eucharistie und Amt. Das scheinen mir die entscheidenden Fragen für unsere Zukunft zu sein.



Das Gespräch führte Johannes Schidelko .