Der Luxemburger Kardinal Jean-Claude Hollerich sieht trotz tiefgreifender Veränderungen eine Zukunft für den Katholizismus in Europa. Zwar werde in den kommenden zehn Jahren "viele Pfarren zusammenbrechen" und das "System an sein Ende" kommen, sagte er der Wochenzeitung "Die Furche". Doch dürfe die Kirche nicht auf die Vergangenheit fixiert sein: "Wir müssen akzeptieren, dass wir in einer Geschichte stehen, und aus ihr lernen."
Die Kirche müsse sich stärker auf die säkulare Welt einlassen, so Hollerich. "Wir müssen in der Sprache der Menschen sprechen, wenn wir den Glauben verkünden. Wir müssen den Menschen zuhören." Er kritisierte zugleich Bischöfe, die die moderne Welt bekämpften. "Das ist Blödsinn. Es gibt auch eine Säkularisierung in der Kirche."
Diese zeige sich sowohl beim "rechten Flügel", die nur auf die Form achteten, als auch auf der "linken Seite", die einen "Wertekatholizismus" betone, dessen Werte nicht mehr mit Gott verbunden würden.
Digitale Präsenz verstärken
Mit Blick auf den weltweiten synodalen Prozess, den er als Koordinator begleitete, rief Hollerich dazu auf, die Phase bis zur nächsten Synode in drei Jahren intensiv zu nutzen. In seiner eigenen Diözese plane er eine große Versammlung mit starkem Laienanteil. "Die Gläubigen dürfen nicht einfach nur verwaltet werden", sagte er.
Angesichts zusammenbrechender Pfarrstrukturen mahnte Hollerich zudem, die digitale Präsenz der Kirche zu verstärken. "Wir sind nicht präsent genug in der virtuellen Welt. Eine Messe ins Internet zu übertragen reicht nicht." Rund 85 Prozent der jungen Erwachsenen in Frankreich, die sich für eine Taufe entschieden hätten, gaben laut Hollerich an, durch Online-Kommunikation dazu bewegt worden zu sein.