Justitia et Pax fordert Wende in der EU-Flüchtlingspolitik

Schockierende Grenzerfahrung

Halbverhungerte Bootsflüchtlinge neben Urlaubern aus Deutschland, Großbritannien oder Frankreich. Die Bilder gleichen sich seit Jahren und fordern doch heraus. Wie umgehen mit jenen Menschen, die, vornehmlich aus Afrika kommend, Sommer für Sommer ihr Heil in dem gefährlichen Weg nach Europa suchen?

Autor/in:
Joachim Heinz
 (DR)

Dieser Frage stellte sich auch eine Konferenz der Europäischen Justitia-et-Pax-Kommissionen im spanischen Sevilla. Über die Ergebnisse des Treffens sprach die Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) mit der Geschäftsführerin von Justitia et Pax Deutschland, Gertrud Casel.

KNA: Frau Casel, eine knappe Woche lang haben Sie sich sozusagen vor Ort über die Flüchtlingsproblematik informieren können - was sind Ihre persönlichen Eindrücke?
Casel: Wir haben mit Vertretern der katholischen Kirche in Spanien, aber auch mit Mitarbeitern von Hilfsorganisationen gesprochen, unter anderem in sozialen Brennpunkten. Sie alle haben uns ein Bild von der Stimmungslage im Land gegeben. Der Tenor innerhalb großer Teile der einheimischen Bevölkerung lässt sich mit den Worten "Die rennen uns die Bude ein" zusammenfassen. Das ist einerseits verständlich, andererseits alarmierend.

KNA: Warum?
Casel: Weil eine solche Einstellung verkennt, welches positive Potenzial in dieser Form der Migration eigentlich steckt. Viele von den Menschen, die da aus Afrika zu uns kommen, sind gebildete, motivierte, junge Leute etwa aus dem Sudan, aus Ghana und Nigeria, die, manchmal im Auftrag ihrer Clans, immer mit großen Erwartungen nach Europa kommen. Das betrifft keineswegs nur die materielle Seite, also Broterwerb und finanzielle Zuwendungen für die eigene Familie. Nein, diese Menschen wollen auch eine freiheitliche und demokratische Gesellschaft erfahren. Und stecken jetzt fest in Auffanglagern wie in Ceuta...

KNA: ... der spanischen Enklave an der afrikanischen Mittelmeerküste...
Casel: ... die einige Mitglieder unserer Delegation ebenfalls besuchen konnten. Wenn man die Perspektivlosigkeit in diesen Lagern einmal hautnah miterlebt hat, dann ist das schon schockierend.

KNA: Der Grenzzaun um Ceuta ist ein Symbol für die vielzitierte "Festung Europa" geworden.
Casel: Was zugleich die ganze Hilflosigkeit der europäischen Flüchtlingspolitik demonstriert. Wie kann man allen Ernstes davon ausgehen, durch einen solchen Zaun die Menschen an der Einreise zu hindern? Erforderlich wäre stattdessen eine konstruktive Zusammenarbeit auf EU-Ebene, die sicherstellt, dass humanitäre Gesichtspunkte in der Migrationspolitik zum Tragen kommen und insbesondere die Menschenrechte der Flüchtlinge und Migranten respektiert werden.

KNA: Worin genau besteht aus Ihrer Sicht das Problem?
Casel: Es gibt zwar ein allgemeines Menschenrecht auf Auswanderung, bislang aber kein anerkanntes allgemeines Recht auf Einwanderung.
Und selbst die spezifischen Einwanderungstitel, die menschenrechtlich weithin anerkannt sind - etwa im Kontext des Asylrechts und der Familienzusammenführung - werden durch die EU-Außengrenzpolitik teilweise unterlaufen. Das muss sich dringend ändern.

KNA: Mit dieser Forderung werden Sie insbesondere bei den meisten Mittelmeer-Anrainerstaaten auf taube Ohren stoßen.
Casel: Das mag sein. Aber mittelfristig kann doch die Lösung des Problems nicht darin liegen, dass die EU beispielsweise die Vergabe von Entwicklungshilfegeldern daran koppelt, ob die jeweiligen Staaten mit der europäischen Grenzschutzagentur Frontex zusammenarbeiten, die für die Rückführung der Flüchtlinge zuständig ist. Manche Vorgänge, die sich in diesem Bereich abspielen, sind - ich kann das nur wiederholen - streng genommen ein Verstoß gegen die Menschenrechte.

KNA: Was kann die Deutsche Kommission von Justitia et Pax vor diesem Hintergrund leisten?
Casel: Wir wollen zu einem Bewusstseinswandel beitragen. Dabei geht es vor allem um eine neue Sicht auf das Thema Migration. So reden wir immer wieder davon, mehr in die Ausbildung der Bewohner von Entwicklungsländern zu investieren - und wundern uns dann, wenn bei den Betroffenen irgendwann der Wunsch entsteht, wenigstens für eine Zeit lang ihre Heimat zu verlassen und ihr Geld im Ausland zu verdienen. Nichts anderes machen doch auch deutsche Mediziner, wenn sie wegen des Jobs nach Schweden oder Großbritannien ziehen. Hier würde niemand von einem bedrohlichen Trend sprechen. Aber bei den Afrikanern ist direkt von Illegalen die Rede. Allein wenn es uns gelänge, diese Wortwahl zu ändern, wäre schon ein erster Schritt gemacht.