Junger Syrer fühlt sich nach zehn Jahren in Deutschland gut integriert

"Wir haben es geschafft"

Vor zehn Jahren sprach Angela Merkel ihren inzwischen berühmt gewordenen Satz: "Wir schaffen das." Außerdem kam Renas Sido nach Deutschland und lernte die Sprache. Heute sieht er sich gut integriert und arbeitet im sozialen Bereich.

Autor/in:
Hilde Regeniter
Renas Sido mir seinem Buch und mit Ines Kolender von der "Aktion Neue Nachbarn" Neuss. (privat)
Renas Sido mir seinem Buch und mit Ines Kolender von der "Aktion Neue Nachbarn" Neuss. / ( privat )

Bis heute ist Renas Sido der damaligen Kanzlerin dankbar. Dafür, dass sie im Spätsommer 2015 die Grenzen offen gelassen hat - und natürlich für den wohl berühmtesten Satz ihrer langen Laufbahn: Bei einer Pressekonferenz am 31. August sprach sie die wieder und wieder zitierten, eingangs viel gelobten, später zunehmend geschmähten Worte "Wir schaffen das".

Renas Sido mit seiner Familie in Deutschland. (privat)
Renas Sido mit seiner Familie in Deutschland. / ( privat )

"Mich hat Frau Merkel damals wirklich motoviert", sagt der heute 32-jährige Kurde aus Waha in Nordsyrien. "Ich wollte es schaffen und ich habe es geschafft!" Wer ihm zuhört, glaubt ihm sofort: Renas Sido spricht ausgenommen gut Deutsch und hat nach einigen Berufsjahren in der Logistikbranche jetzt seinen Traumjob im sozialen Bereich gefunden, arbeitet beim gemeinnützigen Verein AVP – Akzeptanz-Vertrauen-Persepektive.

War er 2015 als geflüchteter Twen selbst in vielerlei Hinsicht auf Unterstützung angewiesen, hilft er heute hauptberuflich nicht nur anderen Geflüchteten speziell im Inklusions- und Integrationsprojekt X-Change. Dass das geklappt hat, sagt der junge Mann mit den dunklen Locken und dem wachen Blick, verdanke er vor allem auch Ines Kolender, die er seine "deutsche Mutter" nennt.

Integration als Aufgabe

Er lernte sie in Neuss kennen, wo die lange Odyssee seiner Flucht zu Ende ging - nach Stationen in Ägypten, Jordanien, Libyen, dem Libanon, dem Irak und der Türkei, später dann in Griechenland, Mazedonien, Serbien, Ungarn und Österreich und zuletzt noch in München, Dortmund und Wuppertal. In Neuss war Renas Sido endlich auch wieder mit seinen Eltern und Geschwistern vereint; und er traf Ines Kolender, die nette Frau von der katholischen Flüchtlingshilfe "Aktion Neue Nachbarn" des Erzbistums Köln.

Renas Sido während eines Interviews über seine Geschichte und sein Buch. (privat)
Renas Sido während eines Interviews über seine Geschichte und sein Buch. / ( privat )

Sie büffelte mit ihm Deutsch, half bei Problemen in der Berufsschule, vermittelte ihm einen Ausbildungsplatz und sprach ihm gut zu, unbedingt durchzuhalten, auch wenn es zwischendurch einmal schwierig wurde. Von ihr ermutigt hat Renas auch die Geschichte seiner Flucht aufgeschrieben und in einem Neusser Verlag veröffentlicht, mit einigen Dankesworten an Angela Merkel geschickt und sogar handschriftlich Antwort bekommen. 

Von Willkommens- zur Abwehrkultur

Dass er sich heute wirklich angekommen und integriert fühlt, liegt vor allem auch daran, dass er so schnell und gut Deutsch gelernt hat, davon ist er überzeugt. "Sprache ist auf jeden Fall ein Schlüssel zum Erfolg". Er stehe, so sagt Renas Sido, heute in der Mitte der deutschen Gesellschaft. Allerdings versuchten bestimmte Leute, Menschen wie ihn zurück an den Rand zu drängen. "Das tut schon weh", meint der zugezogene Neusser mit den kurdisch-syrischen Wurzeln.

Renas Sido mit seinem Buch während einer Lesung mit Ines Kolender von der "Aktion Neue Nachbarn" Neuss. (privat)
Renas Sido mit seinem Buch während einer Lesung mit Ines Kolender von der "Aktion Neue Nachbarn" Neuss. / ( privat )

Wie so viele andere hat auch er hautnah miterlebt, wie sich die gesellschaftliche Stimmung in Deutschland Geflüchteten gegenüber im vergangenen Jahrzehnt Stück für Stück verändert hat, wie sich die anfängliche Willkommens- immer mehr zu einer Art Abwehrkultur entwickelt hat. Noch immer rührt ihn, wie wohlwollend und warmherzig die Leute in München ihn und all die anderen im Sommer 2015 empfangen haben. Heute dagegen schlägt ihm oft erst einmal Misstrauen entgegen: Warum bist du hier? Arbeitest du überhaupt? Zahlst du Steuern? 

Flüchtlinge bei der Arbeit

Dabei hatte Renas Sido sich gleich zu Beginn vorgenommen, dem Land, das ihn da mit offenen Armen aufnahm, schnellstmöglich etwas zurückzugeben. Das tut er längst, indem er sozialversichert arbeitet, sich für andere engagiert und teilnimmt am gesellschaftlichen Leben, auch an gesellschaftlichen Debatten.

Renas Sido mit seinem Buch und mit Ines Kolender von der "Aktion Neue Nachbarn" Neuss. (privat)
Renas Sido mit seinem Buch und mit Ines Kolender von der "Aktion Neue Nachbarn" Neuss. / ( privat )

Wenn dann manche sagen, er sei eben als "Vorzeigeflüchtling" eine Ausnahmeerscheinung, er persönlich habe es vielleicht geschafft, die meisten anderen jedoch nicht, winkt der junge Syrer müde ab. Allein in seinen Communities, der syrischen und der kurdischen, kennt er so viele andere, die längst ihren Weg in die deutsche Gesellschaft gefunden haben. Aktuelle Zahlen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) bestätigen seinen Eindruck: demnach sind heute 64 Prozent aller 2015 nach Deutschland Geflüchteten erwerbstätig, Tendenz steigend. Zum Vergleich: Unter den Erwerbstätigen Inländern liegt die Erwerbsquote im selben Zeitraum bei knapp 55 Prozent.

Flüchtlinge zum Problem geworden

"Von ihnen ist kaum die Rede", bedauert Renas Sido. "Aber wenn dann ein Mann mit syrischen Wurzeln als Attentäter in den Schlagzeilen steht, landen wir sofort alle mit ihm in derselben Schublade."  Außerdem, so seine Erfahrung, mache die berüchtigte deutsche Bürokratie Flüchtlingen eine erfolgreiche Integration in den Arbeitsmarkt oft schwerer als nötig. Renas denkt zum Beispiel an den syrischen Arzt, der in Deutschland als DHL-Lieferant unterwegs ist, weil seine Studienabschlüsse nicht anerkannt werden.

Renas Sido während einer Podiumsdiskussion. (privat)
Renas Sido während einer Podiumsdiskussion. / ( privat )

Von herzlich willkommenen Menschen in Not seien Geflüchtete wie er in den Augen vieler in Deutschland eben längst zum Problem geworden. Als direkt nach dem Sturz des syrischen Machthabers Assad in Deutschland Stimmen laut wurden, jetzt könnten Syrer und Syrerinnen doch bitte schön umgehend dahin zurückkehren, wo sie hergekommen seien, hat Renas Sido das nicht nur als verletzend empfunden, sondern auch als ziemlich kurzsichtig.

Pläne für die Zukunft

Gerade mit Blick auf den allseits beklagten Fachkräftemangel. "Wer soll denn dann die Arbeit in den Krankenhäusern am Laufen halten und Taxifahren, all die Pakete und Päckchen austragen oder Schawarma servieren?!" Den geistigen Klimawandel in der Flüchtlingspolitik versteht Renas nicht, erklärt ihn sich aber mit dem Erstarken einer gewissen rechtsextremen Partei und einseitiger Berichterstattung.

Renas Sido mit seiner "deutschen Mutter", Ines Kolender von der "Aktion Neue Nachbarn" Neuss. (privat)
Renas Sido mit seiner "deutschen Mutter", Ines Kolender von der "Aktion Neue Nachbarn" Neuss. / ( privat )

Sein Verdacht: Gerade Menschen, die selbst kaum etwas auf die Beine stellen, gönnen auch Anderen oft nicht, etwas zu schaffen. Dass er selbst es geschafft hat, muss Renas Sido nicht groß erklären, seine Vita spricht für sich. Auf die Frage, was er noch schaffen will, muss er nicht lange nachdenken. Einerseits will er noch möglichst vielen helfen, so wie ihm einst geholfen wurde. Auf der anderen Seite will er möglichst viele erreichen, die heute gegen Geflüchtete Stimmung machen. Er will ihnen beweisen, dass "wir es geschafft haben" und sie einladen, es auch mit zu schaffen. "Werdet doch einfach Teil des Erfolgs!"

Veranstaltungshinweis

"SEI EIN MENSCH!"

Auf Umwegen von Syrien ins Rheinland

Renas Sido, Kriegsgeflüchteter und Autor des Buches „Wo sind meine Olivenbäume?"

Ines Kolender, ehrenamtliche Unterstützerin, Aktion Neue Nachbarn Rhein-Kreis-Neuss

Donnerstag, 18.9.25, 19:30

DOMFORUM | Domkloster 3 | 50667 Köln

Keine Anmeldung – einfach dazukommen!

Veranstalter:

„Engagiert für Geflüchtete in Köln“:
Katholisches Bildungswerk Köln, Aktion Neue Nachbarn – Flüchtlingshilfe in Köln, Caritasverband für die Stadt Köln e.V., Katholikenausschuss in der Stadt Köln und Katholisches Stadtdekanat Köln

Angela Merkel verteidigt ihre Entscheidung zu Geflüchteten von 2015

Eine positive Bilanz zieht die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zehn Jahre nach ihrem Ausspruch "Wir schaffen das". 

Es handle sich um einen Prozess. "Aber bis jetzt haben wir viel geschafft und was noch zu tun ist, muss weiter getan werden", sagt Merkel laut einer Dokumentation der ARD. Den Satz hatte sie ursprünglich 2015 auf dem Höhepunkt der sogenannten Flüchtlingskrise im Hinblick auf Integration gesagt.

Kanzlerin Angela Merkel im Bundestag / © Michael Kappeler (dpa)
Kanzlerin Angela Merkel im Bundestag / © Michael Kappeler ( dpa )
Quelle:
DR

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