Jugendmedienschutz wird 70

Für ein gutes Aufwachsen mit Medien

Vor 70 Jahren trat das "Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften" in Kraft – auch "Schmutz- und Schundgesetz" genannt. Und die Bundesprüfstelle begann, Medien zu überprüfen und gegebenenfalls auf den Index zu setzen.

Jugendliche mit Smartphone / © Antonio Guillem (DR)
Jugendliche mit Smartphone / © Antonio Guillem ( DR )

KNA:  Seit 2021 heißt die Behörde "Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz" (BzKJ) und ist beim Bundesfamilienministerium angesiedelt. 1953 wurden Comics, FKK-Broschüren und Filme geprüft, heute sind es Kinderpornos, Videospiele und rechtsextreme Rocksongs. Ist die Arbeit überhaupt noch zu vergleichen?

Thomas Salzmann, stellvertretender Direktor der Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz (BzKJ) / © Gottfried Bohl (KNA)
Thomas Salzmann, stellvertretender Direktor der Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz (BzKJ) / © Gottfried Bohl ( KNA )

Thomas Salzmann (stellvertretender Direktor der Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz, BzKJ): Natürlich. Zwar hat sich die Medienlandschaft genau wie die gesamte Gesellschaft stark gewandelt, aber das Ziel ist im Grunde noch dasselbe: Kinder und Jugendliche vor Medieninhalten zu schützen, die ihre Entwicklung gefährden können. Hinzugekommen ist neben dem Schutzaspekt der Ansatz, Kinder und Jugendliche fit zu machen im Umgang mit Medien – und auch die Medienumgebungen selbst möglichst sicher für Kinder und Jugendliche zu gestalten. Es geht also darum, ihnen ein "gutes Aufwachsen mit Medien" zu ermöglichen.

KNA: Weil ein totaler Schutz gar nicht möglich ist?

Salzmann: Auch deshalb. Aber vor allem haben Kinder auch ein Recht auf digitale Teilhabe – und zwar so, wie es ihrem Alter entspricht und wie es ihnen guttut und nicht schadet. Dabei spielt natürlich auch die Begleitung durch die Eltern eine große Rolle. (siehe INFOBOX zum Thema)

KNA: Wie hat das Internet Ihre Arbeit verändert?

Salzmann: Komplett umgekrempelt, könnte man kurz sagen. Nur ein paar Stichworte dazu: Die Menge zugänglicher Filme, Bilder, Texte, Musikstücke ist um ein Vielfaches angestiegen. Der Zugang ist viel schwerer zu kontrollieren als etwa in Kinos oder früher in Videotheken. Und natürlich spielt auch das Interaktive im Netz eine Rolle. Man konsumiert nicht nur Inhalte, sondern tritt auch in Kontakt – ob man will oder nicht. Ich denke da etwa an Cybermobbing oder an Erwachsene, die sich als Gleichaltrige ausgeben, um sich an Kinder und Jugendliche heranzumachen, was bis zum sexuellen Missbrauch führen kann.

KNA: Sie müssen sich als Prüfer ja vieles anhören und ansehen, egal ob es um Pornos, Gewalt, Tötungen, Rassismus, Diskriminierung oder was auch immer angeht. Und das auch noch von Anfang bis Ende. Wie belastend ist das?

Thomas Salzmann

"Wir haben hier schon alles gesehen. Auch Dinge, die ich mir mit meiner Fantasie nicht mal annähernd vorstellen konnte."

Salzmann: Wir haben hier schon alles gesehen. Auch Dinge, die ich mir mit meiner Fantasie nicht mal annähernd vorstellen konnte. Und da reichen auch nicht Stichproben, denn wir müssen ja das gesamte Werk beurteilen. Aber wir können auch professionelle Hilfe in Anspruch nehmen, wenn uns die Prüfung zu sehr belastet.

KNA: Stumpft man da ab mit der Zeit? Schon aus Selbstschutz...

Salzmann: Das ist sehr unterschiedlich. Und jede und jeder unter den Gutachtern empfindet das auch anders. Manchen gehen Hass und Menschenfeindlichkeit an die Nieren, anderen vor allem Gewalt gegen Kinder. Was mich angeht, bin ich in den bisher 14 Jahren nicht abgestumpft, wie man vermuten könnte, sondern eher sensibler für die Gefährdungen geworden.

KNA: Zu den gesellschaftlichen Gruppen, die bei den Prüfungen mitwirken, gehören auch die Kirchen und andere Religionsgemeinschaften. Welche Rolle spielen die?

Salzmann: Eine wichtige. Sie bringen sich sehr engagiert ein in unsere Arbeit, auch mit ihrem jeweils speziellen Blick aus ihrem Werteverständnis heraus. Und gerade die Kirchen sind ja auch aktiv, was Medienpädagogik, Jugend- und Familienarbeit angeht. Zur Persönlichkeitsentwicklung gehört die Entwicklung von Empathiefähigkeit. Da ist gedanklich der Weg zum Konzept der Nächstenliebe nicht weit.

KNA: Spielt das Thema Religion insgesamt eine Rolle?

Salzmann: Oh ja, immer wieder. Etwa wenn es um Medien aus dem islamistischen Umfeld geht, die zum Beispiel Steinigungen oder andere Formen der Hinrichtung propagieren. Oder in denen es gerechtfertigt wird, Frauen zu schlagen und zu diskriminieren. Oder wo zum gewaltsamen Dschihad aufgerufen wird.

KNA: Gibt es auch problematische Inhalte aus dem christlichen Umfeld?

Salzmann: Durchaus. Da gibt es einige Medien, die sich christlich nennen und dann sehr stark gegen Homosexuelle, Juden und Muslime hetzen. Oder Bücher, die aus der Bibel heraus begründen, warum man seine Kinder schlagen sollte und warum dies sogar eine Christenpflicht sein soll.

KNA: Und was ist mit anti-christlichen Inhalten?

Salzmann: Die findet man natürlich ebenso – zum Teil im rechtsextremistischen Milieu, aber auch in sehr sadistischen Inhalten aus extremen Bereichen am Rand der Metal-Musikszene. Auch Satanismus spielt eine Rolle.

KNA: Können Sie das zahlenmäßig einordnen?

Salzmann: Das ist schwer. Aber auf jeden Fall kommt es sehr viel seltener vor als Pornografie, Gewaltdarstellungen im Allgemeinen und alle Formen von Rassismus und Diskriminierung. Wobei die Grenzen da oft auch verschwimmen.

Thomas Salzmann

"Gesellschaftspolitisch gibt es kaum einen aufgeladeneren Arbeitsplatz als unseren hier."

KNA: Zum Abschluss noch eine persönliche Frage: Was motiviert Sie, sich den ganzen Tag mit solchen, oft belastenden Inhalten zu befassen?

Salzmann: Vielleicht klingt es für manche Leute seltsam, aber ich finde unsere Arbeit spannend. Zum einen ist da das ständige Abwägen zwischen dem Jugendschutz, ethischen Aspekten des Zusammenlebens und zentralen Verfassungswerten wie Kunst-, Meinungs- und Religionsfreiheit. Gesellschaftspolitisch gibt es kaum einen aufgeladeneren Arbeitsplatz als unseren hier, finde ich.

Wir verteidigen die Grundwerte unserer Verfassung, die für die Persönlichkeitsentwicklung von jungen Menschen wichtig sind. Kinder und Jugendliche sollen zu selbstbestimmten Persönlichkeiten werden, die sich in soziale Gemeinschaften einfügen können. Und sie haben ein Recht darauf, dass wir ihnen dabei helfen. Hierfür zu arbeiten ist meine wichtigste Motivation.

Das Interview führte Gottfried Bohl.

Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz

Die gesetzlichen Aufgaben der Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz (BzKJ) sind seit Inkrafttreten der Novelle des Jugendschutzgesetzes (JuSchG) am 1. Mai 2021 in § 17a JuSchG geregelt und im Vergleich zur vormaligen Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) deutlich erweitert.

Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz sowie Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. / © Gottfried Bohl (KNA)
Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz sowie Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. / © Gottfried Bohl ( KNA )
Quelle:
KNA