Jugendliche Gefangene filmen ihr Leben

"So Gangster ist das hier nicht"

"Podknasts" heißen diese Podcasts, die vom Leben im Knast berichten.
Im Rahmen eines bundesweit einmaligen Modellprojekts laufen gerade die Dreharbeiten zu einem dritten Videofilm, in dem Jugendliche der Siegburger JVA verschiedene Abteilungen der Anstalt vorstellen.

Autor/in:
Cornelia van Schewick
 (DR)

"Klack-Klack" hallt es im weiten, leeren Flur im Erdgeschoss der Siegburger Jugendhaftanstalt. Ein Beamter tritt mit einem Gefangenen durch die Tür. Wieder ein lautes "Klack-Klack", als sich der Schlüssel im Schloss herumdreht. Eine Kamera zeichnet alles auf, am Set herrscht Konzentration. Am Werk sind aber keine Medienprofis. Die einheitlich blaue Vollzugskleidung verrät, dass die Akteure vor und hinter der Kamera in der Hauptsache Inhaftierte sind. Die Jungs produzieren gerade einen kleinen Film, in dem sie der Außenwelt zeigen wollen, wie es ist, "zu sitzen" - zur Aufklärung und zur Abschreckung.

Ein Mal wöchentlich treffen sie sich in der Redaktionsgruppe zur Vorbereitung mit den Projektbetreuern - und das seit ihrer ersten Produktion im Mai. "Vorher hatten wir Bedenken, dass die Jungs nach einer Weile die Motivation verlieren. Bisher ist das aber nicht so", sagt Michael Baucks, der in der Anstalt als Diplom-Pädagoge arbeitet und diesmal sogar selber mitspielt. Im Gegenteil, erzählt er begeistert, es sei spannend zu sehen, wie die Jungs mitziehen.

Beim Dreh läuft gerade die Neuaufnahme der letzten Szene. Khaled wird im Film von der Küchenabteilung auf die Drogentherapie-Vorbereitungsabteilung verlegt. Baucks soll den 20-Jährigen dort hinbringen. Vorher möchte er sich aber noch kurz von Sascha verabschieden, einem befreundeten Mitgefangenen. Baucks macht einen großen Schritt auf die Tür mit der Nummer 410 zu. "Das ist die falsche Tür", ruft einer am Set. Daraufhin schallendes Gelächter. Auch der junge Baucks lacht über seinen Verstoß gegen die Regieanweisung. Die Stimmung ist gut.

Eigenverantwortung übernehmen
Fünf, sechs Mal wird dieselbe Szene gedreht. Hauptdarsteller Khaled bleibt diszipliniert. Auch die Jungs hinter der Kamera beweisen Durchhaltevermögen. Bei den Dreharbeiten helfen Studenten der Fachhochschule Aachen. Matthias Hochscheid hat im Rahmen seiner Bachelor-Arbeit das Videopodcasting in den JVA Siegburg und Iserlohn eingeführt und die ersten "Podknasts" produziert. Zusammen mit seinem Mitstudenten Jochen Erkens will er sich in die Produktion gar nicht mehr stark einmischen und nur noch beraten. "Langfristig sollen die Gefangenen die gesamte Produktion übernehmen", erklärt er.

"Eigenverantwortung zu übernehmen, das klappt bei den Jungs von Mal zu Mal besser", berichtet Erkens über seine Erfahrungen mit den jungen Knackies. "Das war am Anfang schwierig." Nicht nur an die Inhaftierten, auch an den Drehort Gefängnis mussten die Studenten sich erst einmal gewöhnen. So muss jede geöffnete Tür nach dem Durchgang sofort verschlossen werden, was die Dreharbeiten schon mal verkompliziert. Und nicht jeder Häftling findet die Aktion gut. "Scheiß Kamera-Team", hallt es über den Anstalts-Fußballplatz, als dort Khaleds Überführung gefilmt wird.

"Wie es wirklich ist" lautet der Untertitel, der jedes Video-"Podknast" einleitet. Ein Jugendlicher spricht über Gewalt im Knast - ein Problem, das nach dem gewaltsamen Mord an einem 20-jährigen Insassen durch drei Mitgefangene 2006 die Öffentlichkeit bewegt. Gewalt zum "Podknast"-Thema zu machen, sei die Idee der Jugendlichen gewesen, erklärt Projektbetreuerin Inge Roy. Das habe mit dem schrecklichen Vorfall von vor drei Jahren nichts zu tun. "Die Jugendlichen entscheiden selbst, was sie zeigen wollen", so Roy.

"Im Video können die draußen sehen, wie man hier leben muss"
Initiator des "Podknast"-Projekts, das auch in den JVA Düsseldorf und Herford durchgeführt wird, ist das nordrhein-westfälische Justizministerium. Mit der von der Landesanstalt für Medien NRW geförderten Initiative sollen junge Strafgefangene dazu bewegt werden, "sich mit sich selbst, ihrer Geschichte, aber auch mit ihrem kriminellen Verhalten und den Ursachen auseinanderzusetzen", so Justizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter (CDU). Zudem sollten die Jugendlichen "draußen" sehen, "dass es keinesfalls erstrebenswert ist, im Gefängnis zu landen". Immerhin sitzen in Nordrhein-Westfalen 8,5 Prozent der rund 18.000 Gefangenen im Jugendstrafvollzug.

Abschreckung machen sich die Gefangenen auch selbst zum Ziel. Zum Beispiel der 22-jährige Dennis, der heute Kameramann ist: "Vorher denkt man immer, dass Knast so Gangster-Mangster ist." Aber so cool sei es nicht, hier eingesperrt zu sein. "Im Video können die draußen sehen, wie man hier leben muss - und sich das mal vorher überlegen."