Jüdischer Vertreter bleibt bei AfD-Erfolgen gelassen

"Das ist reiner Protest"

Nach dem jüngsten Wahlerfolg der AfD bei der Bürgermeisterwahl in Raguhn-Jeßnitz bleibt der Vertreter des jüdischen Landesverbands gelassen. Die anderen Parteien sollten anfangen, etwas aus den Erfolgen der AfD zu lernen, fordert er.

Raguhn-Jeßnitz: Am Ortsteingang steht ein Schild mit der Aufschrift Willkommen in Raguhn / © Sebastian Willnow (dpa)
Raguhn-Jeßnitz: Am Ortsteingang steht ein Schild mit der Aufschrift Willkommen in Raguhn / © Sebastian Willnow ( dpa )

DOMRADIO.DE: Wie haben Sie das Ergebnis der Bürgermeisterwahl aufgenommen?

Max Privorozki ist Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Halle / © Soeren Stache (dpa)
Max Privorozki ist Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Halle / © Soeren Stache ( dpa )

Max Privorozki (Vorstandsmitglied des Landesverbandes Jüdischer Gemeinden Sachsen-Anhalt): Glücklich war ich mit diesem Ergebnis nicht, aber ich würde dieses Ergebnis auch nicht überdramatisieren.

DOMRADIO.DE: Inwiefern?

Privorozki: Ich selber bin nicht Bürger in dieser kleinen Stadt, deswegen habe ich auch kein Wahlrecht. Ich würde nicht entsprechend wählen, würde ich dieses Wahlrecht ausüben können. Aber ich finde es nicht so dramatisch. Es geht um eine kleine Stadt, es geht um Kommunalwahlen. Es geht um die Wahl eines Bürgermeisters, der bestimmte kommunale Aufgaben hat. Die wird er auch jetzt erfüllen müssen. Man kann hoffen, dass er das auch gut machen wird.

Max Privorozki

"Die beste Methode für eine demokratische Partei Wahlerfolge zu erzielen, ist, einen inhaltlichen Wahlkampf nicht gegen eine andere Partei, in diesem Fall gegen die AfD, zu führen, sondern sein eigenes Programm zu führen."

DOMRADIO.DE: Die AfD bekommt Zustimmungswerte, die auf Höhe der SPD sind. Bereitet Ihnen das Sorge?

Max Privorozki, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde in Halle, spricht in der Synagoge / © Sebastian Willnow (dpa)
Max Privorozki, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde in Halle, spricht in der Synagoge / © Sebastian Willnow ( dpa )

Privorozki: Ja, das bereitet selbstverständlich Sorgen. Allerdings muss man nicht nur über Sorgen sprechen und Panikmache, sondern auch versuchen zu verstehen, warum das so ist. Ich finde, das Problem liegt nicht an der Großartigkeit der AfD, sondern an vielen Fehlern, die andere Parteien machen, und zwar alle anderen Parteien, nicht nur die Regierungsparteien, die ohnehin Fehler machen. Damit meine ich die Regierungsparteien der Bundesregierung.

Ich finde, die beste Methode für eine demokratische Partei Wahlerfolge zu erzielen, ist, einen inhaltlichen Wahlkampf nicht gegen eine andere Partei, in diesem Fall gegen die AfD, zu führen, sondern sein eigenes Programm zu führen. Dann halten sich die Werte solcher Parteien wie der AfD in Grenzen.

Wenn man allerdings nur ein Ziel definiert, egal was und wer an die Macht kommt, dann bekommt man solche Ergebnisse. Das ist reiner Protest. Wenn mir jemand sagen will, auf keinen Fall wähle denjenigen, dann wähle ich eben einfach das.

Mir gefällt nicht, wenn man, egal was man denkt, mich versucht zu beeinflussen, etwas nicht zu tun, was ich möglicherweise auch nicht tun möchte. Aber wenn man so einen Druck ausübt, mache ich das. Wenn sich Linke und CDU gemeinsam etwas von mir wünschen, obwohl ich ganz gut weiß, dass diese Parteien eigentlich keinen gemeinsamen Nenner haben, ist das eine menschliche Reaktion.

Sachsen-Anhalt, Raguhn-Jeßnitz: Hannes Loth (AfD), neuer Bürgermeister in Raguhn-Jeßnitz / © Sebastian Willnow (dpa)
Sachsen-Anhalt, Raguhn-Jeßnitz: Hannes Loth (AfD), neuer Bürgermeister in Raguhn-Jeßnitz / © Sebastian Willnow ( dpa )

DOMRADIO.DE: Das gute Abschneiden der AfD und erste Wahlerfolge der Partei haben ja Gründe. Etablierte Parteien machen auch große Fehler. Welche Fehler werden in Sachsen-Anhalt zum Beispiel gemacht?

Privorozki: In erster Linie möchte ich wiederholen, dass es um Kommunalwahlen in einer sehr kleinen Stadt geht. Die Bedingungen dort kenne ich nicht so gut. Also, ich habe keine Gemeinde dort. Es gab früher, vor der Nazi-Zeit eine Gemeinde dort, aber jetzt nicht mehr. Deswegen kann ich die konkrete Situation nicht so gut bewerten. In Sachsen-Anhalt sind die Werte für die AfD allerdings nicht so dramatisch wie zum Beispiel in Thüringen.

DOMRADIO.DE: Jetzt hat Michael Kretschmer, Ministerpräsident von Sachsen, gesagt, in seinem Land gerate etwas ins Rutschen. Würden Sie das so sehen?

Michael Kretschmer / © Sebastian Kahnert (dpa)
Michael Kretschmer / © Sebastian Kahnert ( dpa )

Privorozki: Ich habe gelesen, was Herr Kretschmer gesagt hat, nicht gehört, sondern nur gelesen. Möglicherweise habe ich also nicht alles gelesen, was er gesagt hat, aber ich kann ihm nicht zustimmen. Mindestens in der Sache, was die Sanktionen gegen Russland anbetrifft. Man sollte nicht die AfD damit bekämpfen, dass man sich bestimmte Thesen der AfD zu eigen macht.

Was Sanktionen gegen Russland betrifft, finde ich, dass die Sanktionen sehr richtig sind und sogar nicht weitreichend genug sind. Wenn man nur auf die Wahlergebnisse schaut und denkt, wenn man etwas kopiert, etwas Gutes tut, bin ich anderer Meinung.

DOMRADIO.DE: Marco Wanderwitz, der ehemalige Ostbeauftragte der Bundesregierung, plädiert für ein Verbot der AfD. Wäre das für Sie eine Lösung?

Privorozki: Ich sage es so: Gott sei Dank gibt es in Deutschland, in Europa und darüber hinaus eine demokratische Rechtsordnung und Demokratie besteht nicht nur aus demokratischen Wahlen. Das ist wichtig und das ist gut. Aber diejenigen, die gewählt werden, müssen auch weiter demokratisch im Sinne der Rechtsordnung der Bundesrepublik handeln. Wenn sie dem nicht nachkommen, gibt es auch Instrumente, das zu korrigieren.

Ein Verbot der AfD haben wir schon versucht. Ich glaube, das Bundesverfassungsgericht hat eine klare Antwort gegeben. Man kann es noch mal versuchen, ich weiß nicht, ob das gut ist. Ich denke, es gibt andere Möglichkeiten, die rechtspopulistischen genauso wie linkspopulistischen Parteien ohne Verbote zu bekämpfen.

Das Interview führte Tobias Fricke.

Juden in Deutschland

Jüdisches Leben auf dem Gebiet der Bundesrepublik gibt es seit mehr als 1.700 Jahren. Der älteste schriftliche Nachweis stammt aus dem Jahr 321 aus Köln. Vor der nationalsozialistischen Machtergreifung lebten 1933 auf dem Gebiet des Deutschen Reiches rund 570.000 Juden. In der Folge des Holocaust wurden etwa 180.000 von ihnen ermordet, sehr viele flohen. 1950 gab es nur noch etwa 15.000 Juden in Deutschland. Eine Zukunft jüdischen Lebens im Land der Täter schien unwahrscheinlich und war innerjüdisch umstritten.

Ein jüdischer Mann mit einer Kippa / © Nelson Antoine (shutterstock)
Ein jüdischer Mann mit einer Kippa / © Nelson Antoine ( shutterstock )
Quelle:
DR