Gastkommentar zum ersten AfD-Landrat im Landkreis Sonneberg

Auch die Kirchen in der Pflicht

Erstmals ist ein AfD-Politiker Landrat in einem deutschen Landkreis. Aus dem Nachbarbundesland Sachsen blickt der Direktor der Katholischen Akademie Dresden-Meißen auf diese Wahl und sieht auch die Kirche in der Pflicht.

Fähnchen mit dem Logo der AfD / © Daniel Karmann (dpa)
Fähnchen mit dem Logo der AfD / © Daniel Karmann ( dpa )
Thomas Arnold
 / © Dominik Wolf (KNA)
Thomas Arnold / © Dominik Wolf ( KNA )

52,8 – das ist nicht die zu erwartende Höchsttemperatur für diese Woche, sondern das Ergebnis für Robert Sesselmann, der am Sonntag in der Stichwahl für die AfD die Wahl zum Landrat im Kreis Sonneberg gewann.

Was ist anzufangen mit diesem Ergebnis? Anders, als viele erwarteten, kommt nun der erste AfD-Landrat aus Thüringen statt aus Sachsen. Im letzten Jahr galten noch zwei Grundannahmen, die zuletzt immer griffen: (1) Landratswahlen sind – ähnlich wie Kommunal- und Bürgermeisterwahlen – sehr personengebunden und damit stehen sie weniger in der Gefahr, von der AfD dominiert zu werden als Landtags-, Bundestags- oder auch Europawahlen. (2) Wenn sich alle anderen Parteien im demokratischen Spektrum zusammenschließen und gegen den AfD-Kandidaten mobilisieren, lässt sich eine Wahl auch weiterhin links von der AfD gewinnen. Die Wahlen zum Oberbürgermeister in Görlitz und zum Landrat in Mittelsachsen sind Beispiele dafür.

Thomas Arnold

"Kein Wähler sollte danach sagen, er hätte die Tendenzen der AfD nicht gekannt."

Beide Annahmen sind seit Sonntag widerlegt. Das ist besonders erschreckend, weil Teile der AfD als rechtsextrem eingestuft sind. Wer heute noch für die Partei bei Wahlen antritt, unterschreibt damit ein Engagement für eine Politik, die in Teilen Art 1 GG mit Füßen tritt. Wer sie heute wählt, ist jedoch nicht automatisch gleich selbst rechtsextrem. Aber kein Wähler sollte danach sagen, er hätte die Tendenzen der AfD nicht gekannt. Deswegen ist es richtig, menschenrechtsfeindliche Positionen öffentlich klar zu benennen. Die Kunst wird dabei sein, die Wahlentscheidung von Menschen nicht mit einer Demokratie(un)fähigkeit gleich zu setzen. Sie wissen, dass sie mit einer Wahl politische Konstellationen verändern können. Es bleibt offen, ob sich viele von ihnen in den letzten Jahren (und für die kommenden Jahre) zu viel in zu kurzer Zeit von demokratischen Prozessen versprochen haben.

Demokratie braucht Übung

Aber natürlich kommt eine Gesellschaft spätestens jetzt nicht mehr umhin zu fragen, ob sie ihre Demokratie richtig gestaltet. Dabei helfen nicht die nächsten Werbekampagnen, sondern Orte und Prozesse, wo Menschen zum Mitmachen ermuntert werden, Selbstermächtigung und Konsensfindung eingeübt und mit sachlichen Argumenten darüber gestritten wird, was unsere Gesellschaft prägt und eint. Diese Tugenden der Demokratie brauchen Übung und ein Fundament, auf dem sie tragen können. Die Kirchen waren es 1989. Sie können es auch heute sein. Vorausgesetzt, sie nutzen ihre Ressourcen auch weiterhin für eine Präsenz in die Gesellschaft hinein. Sie müssen lernen, sich für gesellschaftliche Aushandlungsprozesse als wertegeleitete Foren zu verstehen, in denen so unaufgeregt wie möglich alles gedacht und vieles gesagt werden darf. Damit meine ich nicht ein Verschieben des Sagbaren, sondern das Offenhalten der Bandbreite an Positionen, aus denen sich der Konsens ergibt. Und es ist ein Sprechen über das, was hinter dem Frust liegt. Oder wie es der Oberbürgermeister von Heidenau, Jürgen Opitz, kürzlich sagte: „Ich lade mir die Leute zu maximal 12 Personen ein. Hat Jesus schon so gemacht. Und nach der ersten Welle der Wut frage ich ‚Was ist wirklich euer Schmerz?‘ – und dann werden das ganz wertvolle Gespräche.“

Apropos Unaufgeregtheit: Nichts ist mehr Werbung als über Wochen hinweg über die AfD und ihren Erfolg zu diskutieren. Das vermittelt den Eindruck, sie sei der Hecht im Karpfenteich und alle stehen hilflos vor ihr wie das Kaninchen vor der Schlange. Ich bin überzeugt: Wir brauchen meinungsstarke, empathische und volksnahe Menschen, die bereit sind, aus der Mitte der Gesellschaft heraus politische Prozesse mit zu gestalten. Die Schuld bei einer Partei zu suchen, ist zu kurz gegriffen. Das gilt für die Schuldfrage zum letzten Wochenende ebenso wie für langfristige Entwicklungen. Wer Zuversicht spenden will, die Gesellschaft mit ihren pluralen Positionen verbinden und ein Zeichen gegen rechte Abgründe setzen will, engagiert sich in einer der Parteien der gesellschaftlichen Mitte. Und zwar jetzt.

Dr. Thomas Arnold

Über den Autor: Thomas Arnold ist Direktor der katholischen Akademie im Bistum Dresden-Meißen und beobachtet das Miteinander von Kirche und Politik in Ostdeutschland.

Quelle:
DR