Juden in Deutschland sorgen sich um Sicherheit

"Was muss denn noch passieren?"

Auf deutschen Straßen werden die Massaker in Israel beklatscht und die Hamas ruft zur weltweiten Mobilisierung auf, auch für diesen Freitag. In der Kölner Synagogen-Gemeinde ist man entsetzt, die Sorge um die Sicherheit wächst.

Ein Polizeiwagen steht vor einer Synagoge in Gelsenkirchen / © Roberto Pfeil (dpa)
Ein Polizeiwagen steht vor einer Synagoge in Gelsenkirchen / © Roberto Pfeil ( dpa )

DOMRADIO.DE: In Deutschland sind für die kommenden Tage in vielen deutschen Städten pro-palästinensische Demonstrationen angekündigt, auch hier in Köln. Zugleich ruft die Hamas in sozialen Netzwerken zu einer Mobilisierung der arabischen und muslimischen Welt auf. Wie besorgt sind Sie?

Abraham Lehrer (Vorstand der Synagogen-Gemeinde Köln und Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland): Wir sind vor allem über den Aufruf für diesen Freitag besorgt, denn das ist nicht nur ein Aufruf zu Demonstrationen, sondern ein Aufruf zu Attentaten, zu Gewalt gegen Juden und Jüdinnen. Das ist wie ein Freifahrtschein für jeden, der denkt, er tue der palästinensischen Sache damit etwas Gutes.

Abraham Lehrer, Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland / © Julia Steinbrecht (KNA)
Abraham Lehrer, Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Das ist ein furchtbarer Aufruf. Und auch wenn es Stimmen gibt, die bestreiten, dass er von der Hamas stammt: die Wirkung ist die Gleiche. Sie brauchen nur einen oder zwei Idioten weltweit, die dem Aufruf folgen. Und das beunruhigt unsere Gemeindemitglieder zutiefst. In der Folge kommt heute kein Kind in die U3-Einrichtung oder den Kindergarten, die Eltern haben alle entschieden, ihre Kinder zu Hause zu behalten. Die Schule ist wegen der Ferien ohnehin noch geschlossen.

DOMRADIO.DE: Raten Sie Ihren Gemeindemitgliedern, zu Hause zu bleiben?

Lehrer: Nein, dann könnten wir auch sagen, dass die Synagoge übers Wochenende zu den Gottesdiensten geschlossen bleibt. In unseren Gebäuden haben wir hohe Sicherheitsstandards und Polizeischutz. Da mache ich mir nicht so große Sorgen.

DOMRADIO.DE: Was ging in Ihnen vor, als Sie am Wochenende Menschen sahen, die den Hamas-Terror bejubelten?

Lehrer: Das war nicht das erste Mal und ich habe mich gefragt, warum wir nicht im Stande sind, solche Exzesse mit Polizeigewalt aufzulösen oder von vornerein zu verbieten. Das erwarte ich von einem wehrhaften Staat. Diese Menschen lehnen unseren Staat und unsere Demokratie ab und deswegen müssen wir uns dagegen zur Wehr setzen.

Wenn uns dazu die gesetzlichen Mittel fehlen, dann muss man diese Gesetze im Eilverfahren schaffen. Aus der Politik hören wir, dass die Gesetze ausreichen und nur richtig angewendet werden müssen. Ich weiß, dass unser Demonstrationsrecht eines der höchsten Güter in unserer Verfassung ist, aber ich kann nicht nachvollziehen, dass das immer wieder vorkommt.

Diese Menschen wollen nicht demonstrieren und ihre Meinung kundtun, sondern sie wollen unseren Staat verändern. Und dagegen müssen wir uns endlich zur Wehr setzen.

DOMRADIO.DE: Haben Sie von muslimischen Verbänden Solidaritätsbekundungen erhalten oder gehört, dass man sich eindeutig abgrenzt, wenn die Hamas vorgibt, diese Gewalt im Namen Allahs zu begehen?  

Lehrer: Bei uns in der Gemeinde haben sich ein Studentenverband und ein weiterer muslimischer Verband aus NRW gemeldet. Aber die großen Verbände waren alle – bis auf wenige Ausnahmen – sehr still.

DOMRADIO.DE: Überrascht Sie das? Enttäuscht Sie das?

Abraham Lehrer

"Was muss denn noch passieren, damit von diesen Organisationen ein Wort des Mitgefühls kommt?"

Lehrer: Nein, das überrascht mich nicht, aber es enttäuscht mich trotzdem. Was muss denn noch passieren, damit von diesen Organisationen ein Wort des Mitgefühls kommt? Ich will mich nicht in den Islam einmischen, aber das, was da in Israel passiert ist, diese Massaker, diese Unmenschlichkeit, das kann man doch zum Ausdruck bringen.

DOMRADIO.DE: Sie sind auch stellvertretender Vorsitzender des Zentralrats der Juden. Der fordert, alle Zahlungen – nicht nur staatliche – an palästinensische Organisationen sofort einstellen. Die Bundesregierung begründet diese Zahlungen an humanitäre Projekte damit, dass der Wegfall solcher Hilfen den Extremisten in die Karten spielen würde – ist das nicht ein wichtiger Punkt?

Lehrer: Dahinter steckt der Versuch, die Zivilbevölkerung da rauszuhalten, das kann ich nachvollziehen. Aber es ist nicht sichergestellt, dass mit diesen Geldern nur Hilfsmittel, Wasser, Lebensmittel oder Strom bezahlt werden.

Die Intention unserer Forderung ist, dass die Hamas finanziell trockengelegt wird: Die Waffen, die Abschussbasen, die gut ausgestatteten Tunnelsysteme, die die Hamas errichtet hat: Das kostet immenses Geld und ich bin überzeugt, dass das auch mit Geldern aus der EU und Deutschland finanziert wurde, die eigentlich für humanitäre Zwecke bestimmt waren.

Ein weiteres Beispiel: Die EU hat palästinensische Schulbücher finanziert, in denen Antisemitismus verbreitet und zum Hass auf Israel und die Juden aufgerufen wurde. Das ist seit Jahren bekannt, aber wurde die Finanzierung der Schulbücher eingestellt?

Abraham Lehrer

"Ich glaube, die EU und Deutschland haben manchmal nicht so genau hingeguckt."

DOMRADIO.DE: Hat man nicht so genau hingeschaut oder wollte man es nicht wissen?

Lehrer: Ich glaube, die EU und Deutschland haben manchmal nicht so genau hingeguckt, denn der Status Quo, diese vermeintliche Ruhe, war ok für die beteiligten Akteure.

DOMRADIO.DE: In Ihrer Synagogen-Gemeinde haben viele Mitglieder Freunde und Verwandte in Israel. Wie hat man dort die terroristischen Angriffe der Hamas aufgenommen?

Lehrer: Mir ist aus unserer Gemeinde niemand bekannt, dessen Angehörige entführt oder von der Hamas getötet wurden. Aber jetzt, wo über 300.000 Reservisten mobilisiert wurden, gibt es viele in unserer Gemeinde, deren Familien und Freunde einberufen wurden. Und da ist die Sorge, wenn es zu einer Bodenoffensive kommt, natürlich sehr groß.  

DOMRADIO.DE: Gibt es spezielle seelsorgliche Angebote der Synagogen-Gemeinde für diese Menschen?

Lehrer: Wir haben mehrere Dinge organisiert: Für Israelis, die hier gestrandet sind und gerade nicht zurückkommen – zum Beispiel Messebesucher – haben wir ein psychosoziales Angebot, wenn sie mit jemandem reden wollen.

Wir rufen auf unserer Seite zu Spenden auf, mit denen wir Schutzausrüstung und Decken für Einheiten finanzieren, die im Norden die Hisbollah abschrecken sollen. Und am Sonntag werden wir zusammen in einem Gottesdienst der Entführten und Ermordeten gedenken und für den Frieden beten.

Das Interview führte Ina Rottscheidt.

Türkische Gemeinde und Islamverbände rufen nach Hamas-Aufruf zu Besonnenheit auf

Nach dem Aufruf der Hamas zu weltweiter Gewalt an diesem Freitag solidarisieren sich muslimische und türkische Organisationen in Deutschland mit Juden und Jüdinnen und rufen zu Frieden auf. Der Bundesvorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland (TGD), Gökay Sofuoglu, richtete Worte an alle Muslime in Deutschland. "Bleiben Sie besonnen! Halten Sie sich von der Manipulation der Hamas fern; diese schadet den Muslimen in aller Welt!", sagte er der Zeitung "Tagesspiegel" (Freitag). Sofuoglu forderte weiter: "Wir sollten gemeinsam klare Kante zeigen.

Koran in einer Moschee / © Aisylu Ahmadieva (shutterstock)
Koran in einer Moschee / © Aisylu Ahmadieva ( shutterstock )
Quelle:
DR