Journalist hält Kirche in Polen für einen mächtigen Spieler

Wie politisch darf Kirche sein?

Nach den Wahlen in Polen ist bislang die nationalkonservative PiS stärkste Kraft. Trotzdem deuten die Umfragen auf einen Sieg der Opposition aus Linken, Liberalen und Liberal-Konservativen hin. Kritik gibt es am Einfluss der Kirche.

Kirche in Polen / © Supernak (dpa)
Kirche in Polen / © Supernak ( dpa )

DOMRADIO.DE: Der katholischen Kirche in Polen wird Wahlkampf für die nationalkonservative PiS vorgeworfen. Hat sich die Kirche in Polen politisch vereinnahmen lassen?

Journalist Marco Fetke  / © Marco Fetke (DR)
Journalist Marco Fetke / © Marco Fetke ( DR )

Marco Fetke (Journalist): Zuerst einmal gilt es, mit dem neuen polnischen Kardinal Grzegorz Ryś zwischen moralischen Bewertungen gemäß der Lehre der Kirche und Parteipolitik hinter der Kanzel zu differenzieren.

Konkret wird das Dilemma dieser Unterscheidung an zwei Fällen deutlich: Wenn ein Priester, wie jüngst geschehen, im Gottesdienst behauptet, bei der Wahl gewinne entweder Deutschland oder Polen, so ist den Zuhörern in dem Kontext natürlich klar, dass so eine Aussage nicht für die Wahl der Oppositionspartei PO wirbt, der seitens der PiS eine sklavische Orientierung an Berlin vorgehalten wird.

Andererseits betont Kardinal Ryś, dass Kritik an Abtreibungen oder einer strengen Migrationspolitik als moralische Fragen betreffende Äußerungen von Geistlichen in Ordnung wären, solange sie jenseits der Heiligen Messe getätigt werden. Hier stellt sich die Frage, ob eine solche Grenzziehung nicht etwas der Frage ausweicht, ob - und wenn ja - wie die Kirche politisch sein soll.

DOMRADIO.DE: Aber was ist konkret vorgefallen, dass sich die Kirche diese Kritik überhaupt zuzieht?

Fetke: Erst einmal gibt es in Polen ein intaktes Netz aus konservativen NGOs, Stiftungen und Medien, dessen politische Interessen sich teils mit denen der Kirche decken. Oft genannt wird in dem Kontext etwa der politisch einflussreiche Redemptoristen-Pater und Medienunternehmer Tadeusz Rydzyk, der das große katholische Radio Maryja, einen Fernsehsender und eine Tageszeitung betreibt.

Marco Fetke

"Die Kirche ist aber nur ein mächtiger Spieler dieser Konstellation, neben etwa der PiS oder dem Energiekonzern Orlen".

Die Kirche ist aber nur ein mächtiger Spieler dieser Konstellation, neben etwa der PiS oder dem Energiekonzern Orlen. Besonders hierzulande wird das oft kritisiert. Blickt man in die frühen Tage der Bundesrepublik, war es damals bei der CDU, die in ähnlicher Weise ein Vorfeld an christlich-konservativen Medien und Institutionen hatte, auch nicht viel anders, wenn auch ökumenischer.

Woran sich aber viele, auch katholische Kritiker in Polen besonders stören, sind Fälle wie der Auftritt Jarosław Kaczyńskis in Tschenstochau vor dem Nationalheiligtum Jasna Góra vor der Messe einer Radio-Maryja-Wallfahrt im Sommer. Den hat auch Kardinal Ryś kritisiert. Kritiker in Polen monieren in erster Linie die Vermengung von Sakralem und Politischem.

Ein anderes Beispiel ist der Leitfaden der polnischen Bischofskonferenz: In diesem Ratgeber fordert der polnische Episkopat die Katholiken dazu auf, im Einklang mit den Werten einer Zivilisation des Lebens, der Familie und einer Wirtschaft, die nicht tötet, zu wählen. Das stieß einigen Kritikern bitter auf, die eine politisch vereinnahmte Bevormundung der Gläubigen witterten.

Marco Fetke

"Man kann mit Böckenförde, Hartmut Rosa oder neuerdings auch Kardinal Reinhard Marx sagen, dass Demokratie Religion braucht – aber das genaue anzustrebende Verhältnis ist, nicht nur in Polen, unbestimmt."

Auch diese Kritik weicht aber dem entscheidenden Thema aus, nämlich dem nach dem Ende der Monarchien ungeklärten Verhältnis zwischen Macht und Kirche. Man kann mit Böckenförde, Hartmut Rosa oder neuerdings auch Kardinal Reinhard Marx sagen, dass Demokratie Religion braucht – aber das genaue anzustrebende Verhältnis ist, nicht nur in Polen, unbestimmt.

DOMRADIO.DE: Wie wird die polnische Kirche reagieren, sollte die Opposition gewinnen?

Fetke: Jene sich an Papst Franziskus orientierende Strömung im Sinne von Kardinal Ryś wird sicher eine definitiv geplante Liberalisierung der Abtreibungsgesetze kritisieren, aber wohl nicht so scharf wie die konservativeren Bischöfe, etwa der Krakauer Erzbischof Jędraszewski.

Dem wird auch nachgetragen, dass er vor der angesprochenen Wallfahrtsmesse nicht das Wort erhoben hat, als der damals frisch gebackene Vize-Ministerpräsident Polens für seine Partei geworben haben soll. Uneinigkeit könnte es bei Wahlversprechen Donald Tusks wie einer vereinfachten Geschlechtseintragsänderung geben.

Die Justizreform der PiS hatte 2017 sogar der Chef der Polnischen Bischofskonferenz, Erzbischof Stanisław Gądecki, kritisiert. Seitdem haben sich manche Medien wie der Gość Niedzielny distanziert und boten zum Beispiel eher der liberal-konservativen PSL vom sogenannten "Dritten Weg" eine Bühne, die als Alternative für konservative, aber nicht PiS-nahe Katholiken gilt.

Marco Fetke

"Sollte der Sozialstaat unter Tusk leiden, würde das die Kirche kritisieren."

Auch die voraussichtlich weniger strenge Migrationspolitik dürfte Teilen der Kirche entsprechen, wenn das Thema in der polnischen Kirche auch nicht so zentral ist wie in der Deutschen. Sollte der Sozialstaat unter Tusk leiden, würde das die Kirche kritisieren.

DOMRADIO.DE: Gibt es ein relevantes katholisches Milieu, das aber mit der PiS fremdelt?

Fetke: Milieu ja, aber relevant nur in Maßen. Wir haben zum Beispiel im Medienbereich die eben erwähnte, traditionsreiche oberschlesische Wochenzeitung Gość Niedzielny oder auch die sich selbst als "offen-orthodox" bezeichnende Monatszeitschrift Więź, die damals der erste nicht-kommunistische Präsident Tadeusz Mazowiecki gründete.

Dann gibt es noch den liberaleren Tygodnik Powszechny und manche der – ebenfalls politisch gespaltenen – Klubs der katholischen Intelligenz (KIK).

Wahlentscheidend dürfte diese Gruppierung aber kaum sein, vielmehr wird sie sich künftig wohl zunehmend zwischen den Fronten wiederfinden – genauso wie die polnische Kirche überhaupt. Auf der einen Seite wird sie nämlich eine mögliche Regierung der bisherigen Opposition in vielen Punkten kritisieren müssen. Andererseits dürfte die PiS versuchen, eben das für sich zu nutzen.

Das Interview führte Tobias Fricke.

Katholische Kirche in Polen

Die römisch-katholische Kirche hat in Polen traditionell großen Einfluss. Ihr gehören knapp 90 Prozent der 33 Millionen Bürger an. In den vergangenen Jahren verlor die Kirche aber besonders in der jungen Generation an Ansehen. In der Hauptstadt Warschau wählten in diesem Schuljahr nur noch 29 Prozent der Schüler in der gymnasialen Oberstufe das Fach katholische Religion. Nach Angaben der Bischofskonferenz besuchten 2021 landesweit 28,3 Prozent der Katholiken die Sonntagsmesse.

Prozession in Polen / © Dariusz Banaszuk (shutterstock)
Prozession in Polen / © Dariusz Banaszuk ( shutterstock )
Quelle:
DR