DOMRADIO.DE: Anfang der Woche hat der Vatikan verkündet, dass Latein nicht mehr seine einzige und bevorzugte Amtssprache ist. Welche Bedeutung hat das?
Mario Galgano (Redakteur bei der deutschsprachigen Sektion von Radio Vatikan): Da muss ich etwas klarstellen: Latein ist immer noch die Amtssprache im Vatikan. Aber neu ist, dass nicht mehr alles auf Latein übersetzt werden muss. Latein bleibt jedoch die offizielle Amtssprache – und das ist ganz wichtig.
Damit möchte die Kirche signalisieren, dass sie neutral ist. Denn Latein ist die neutralste Sprache, die es gibt. Im Vatikan muss jedes Dokument auch auf Lateinisch erscheinen, damit keine Sprache die Überhand gewinnt. So soll aus politischen Gründen gezeigt werden, dass kein anderes Land Ansprüche auf den Vatikan erheben kann. Nach dem Motto: Wenn Italienisch, Englisch, Spanisch oder Chinesisch die dominierende Sprache ist, dann ist der Vatikan nicht mehr eigenständig. Deshalb bleibt Latein die Hauptsprache des Vatikans.
Neu ist allerdings, dass wichtige Sprachen, wie Italienisch, Englisch und Spanisch in ihrer Bedeutung anerkannt werden. Wenn also vatikanische Dokumente etwa in diesen Sprachen erscheinen, haben sie eine große Bedeutung und besitzen Gültigkeit.
DOMRADIO.DE: Wird diese Neuerung den sprachlichen Umgang im Vatikan verändern oder die Stellung des Italienischen noch mehr stärken?
Galgano: Italienisch ist im Vatikan natürlich eine dominierende Sprache, denn der Vatikan liegt in Italien. Aber die Vielzahl der Sprachen an der Kurie wird immer größer. Das sehen wir auch etwa bei uns im Dikasterium für Kommunikation, konkret bei Radio Vatikan: Jedes Jahr kommen eine oder zwei neue Sprachen hinzu. Mittlerweile umfasst unser Programm über 55 Sprachen. Die katholische Kirche ist in der ganzen Welt vertreten und muss deshalb die verschiedensten Sprachen berücksichtigen.
DOMRADIO.DE: Aber wie sieht der Alltag im Vatikan aus: Begrüßt man sich zum Beispiel auf Latein, wenn man sich zufällig auf dem Flur begegnet?
Galgano: Das kommt darauf an – denn man muss ehrlicherweise sagen, dass die meisten Menschen, die im Vatikan arbeiten, kein Latein sprechen können. Es gibt auch sehr wenige, die die Sprache noch verstehen. Ich selbst spreche Latein nicht fließend, aber ich verstehe es. Deshalb moderiere ich regelmäßig die lateinischen Nachrichten bei Radio Vatikan.
Aber wir sind nur eine Handvoll von Latinisten bei uns. Das Italienische ist eindeutig die Umgangssprache, in geringerem Ausmaß auch Englisch und Spanisch. Deshalb ist es toll, wenn man mehrere Sprachen spricht. Das versuchen wir hier im Haus zu pflegen.
DOMRADIO.DE: Es gibt Berichte darüber, dass es im Vatikan einen Geldautomaten gibt, der auch auf Latein funktioniert. Das ist schon etwas skurril – aber stimmt das überhaupt?
Galgano: Latein spielt leider eine immer geringere Rolle im Vatikan. Früher gab es etwa auch einen Getränkeautomaten mit einem Bedienungsmenü auf Latein, das ist leider nicht mehr so. Der Bankautomat funktioniert inzwischen in den gängigen Weltsprachen, aber nicht mehr auf Latein.
Was aber noch auf Latein geblieben ist, sind alle offiziellen Dokumente, die auch mit Feder und Tinte auf Pergament geschrieben werden. Hier im Vatikan gibt es ein Team von fünf Menschen, die jeden Tag mindestens ein Dokument ins Lateinische übersetzen oder auf Latein schreiben. Im Vatikan können moderne Technik und die neuen Sprachen neben den analogen Dokumenten und dem alten Latein existieren, das hier noch überlebt.
DOMRADIO.DE: Dass Latein immer noch so eine große Rolle im Vatikan spielt, trägt auch zur Weiterentwicklung dieser vermeintlich toten Sprache bei. Denn die Übersetzer müssen für moderne Begriffe etwa aus Wirtschaft oder Technik neue Worte erfinden. Wie funktioniert das?
Galgano: Für diese Neologismen, also die neuen Begriffe, gibt es im Vatikan eine eigene Kommission. Dieses Gremium heißt Latinitas-Kommission und ist im Staatssekretariat angesiedelt. Da macht man sich Gedanken, zum Beispiel über lateinische Begriffe für geografische Bezeichnungen, denn zu Cäsars Zeiten gab es viele der heute existierenden Länder noch nicht.
Viele der Begriffe, die wir für moderne Dinge benutzen, stammen aus dem Englischen und haben oft eine lateinische Wurzel. Es ist in gewisser Weise also eine Rückübersetzung ins Lateinische.
DOMRADIO.DE: Bei Radio Vatikan gibt es lateinische Nachrichten, das haben wir schon angesprochen. Wie ist die Nachfrage nach News auf Latein?
Galgano: Die meisten Hörerinnen und Hörer der lateinischen Nachrichten sowie die Leserinnen und Leser der Version auf unserer Internetseite lernen Latein an einem Gymnasium. Sie und ihre Lehrerinnen und Lehrer interessieren sich für die moderne Verwendung des Lateinischen. Unsere lateinischen Nachrichten werden im Unterricht gelesen, um über die Texte Cäsars und Ciceros hinauszuschauen.
Wir hatten auch schon Besuch hier bei Radio Vatikan von Schülerinnen und Schülern der Deutschen Schule in Kopenhagen, die einmal schauen wollten, wo die lateinischen Nachrichten entstehen.
DOMRADIO.DE: Latein ist als Sprache immer mehr auf dem Rückzug und wird kaum noch verstanden. Das hat zu der merkwürdigen Situation geführt, dass die anwesenden Kardinäle den Rücktritt Benedikts XVI. im Jahr 2013 zunächst nicht verstanden haben, weil er ihn auf Latein – der Sprache der Kirche – angekündigt hat. Wie war das damals?
Galgano: Das war schon interessant, denn die erste Person, die Benedikts Rücktrittsankündigung verstanden hat, war eine italienische Journalistin der Nachrichtenagentur ANSA. Sie hatte an der Schule das Latinum gemacht und vor den Kardinälen verstanden, was für ein historischer Schritt da vom Papst verkündet wurde.
Es ist im Vatikan also schon ein großer Vorteil, wenn man Lateinisch kann. Es gibt heute aber viele Kleriker und Theologen, die kaum noch Latein können und es nur sehr oberflächlich gelernt haben. Das ist wirklich schade, denn es trägt doch sehr dazu bei, Geschichte und auch Gegenwart der Kirche zu verstehen.
Das Interview führte Roland Müller.