Neben dem verschlossenen Richard Nixon (1969-1974) hatte auch John F. Kennedy (1961-1963) wenig Aufhebens um seinen Glauben gemacht: der erste katholische Präsident der USA wollte verhindern, dass ihn politische Gegner als abhängig von "Rom" porträtieren könnten. Mit Carter hatten die USA wieder einen Präsidenten, der auch vor laufender Kamera betete.
Nun aber hat er mit 85 Jahren einen Schlussstrich unter seine Kirchenzugehörigkeit gezogen. Zusammen mit seiner Frau Rosalynn - die während seiner Regierungszeit zur Überraschung mancher Minister und zur Konsternation der Medien gelegentlich mit am Kabinettstisch saß - erklärte Carter seinen Austritt aus der Southern Baptist Church, der er rund 60 Jahre angehörte. Dabei hatte der Ex-Präsident in den vergangenen Jahren das Amt eines "deacon" inne, einer Art Gemeindevorsteher in seiner Heimatgemeinde Maranatha Baptist in Plains im Bundesstaat Georgia. Zudem lehrte er an der Sonntagsschule.
Als Begründung für seinen Austritt nannte Carter in einer Verlautbarung die nach seiner Ansicht frauenfeindliche Haltung der Kirche: Frauen und Mädchen seien "schon zu lange aufgrund einer verdrehten Interpretation von Gottes Wort diskriminiert worden". In der Southern Baptist Church werden Frauen nicht zu Geistlichen geweiht. Führungspersönlichkeiten der Kirche sollen die tradierte Auffassung vertreten, dass die Frau dem Mann untertan zu sein habe.
Exkurs mit teils steilen Thesen
Carter wirft der Leitung der Kirche vor, Frauen zu diskriminieren um damit "eigene, selbstsüchtige Ziele zu verfolgen". Der Ex-Präsident nutzt die Ankündigung seines Austritts zu einem religionsgeschichtlichen Exkurs mit teils steilen Thesen. Die Diskriminierung der Frau, so schreibt er, verletze nicht nur die Menschenrechte - ein Thema, dem sich Carter als Präsident sehr verschrieben hatte -, sondern sie stehe auch im Widerspruch zu den Lehren verschiedener Religionsgründer: Die Rechte der Frauen hätten, so Carter, außer Jesus, Buddha und dem Apostel Paulus auch dem Propheten Mohammed am Herzen gelegen.
Weiter beklagt der Elder Statesman, dass Frauen weltweit brutalem Unrecht ausgesetzt seien. Namentlich nennt er die Unterdrückung durch brutale Ehemänner, Sklaverei, Gewalt, erzwungene Prostitution, Genitalverstümmelung und nationale Gesetze, die Vergewaltigung nicht unter Strafe stellten. Was diese - berechtigten - Klagen indes mit der Southern Baptist Church zu tun haben, ist selbst Kennern der US-amerikanischen Religionsgemeinschaften ein Rätsel.
Versuch sich als moralische Institution zu etablieren
Die Erklärung für den verbalen Rundumschlag mag in Carters Biografie
liegen: Seine Präsidentschaft gilt weithin als eine Zeit der Führungsschwäche und des Niedergangs; erst der "wiedergeborene Christ" Ronald Reagan, gegen den Carter 1980 die Wahl haushoch verlor, stellte Amerikas Selbstbewusstsein und seine Weltmachtstellung nach Jahren der Malaise wieder her.
Der von den Wählern aus dem Amt gejagte Carter versucht seither, sich als moralische Institution zu etablieren und seine Reputation für die Nachwelt von den Jahren im Weißen Haus abzukoppeln. Bisher durchaus mit Erfolg: Als - zumeist selbst ernannter - Vermittler in den weltpolitischen Krisen der vergangenen drei Jahrzehnte aktiv, bekam er 2002 den Friedensnobelpreis verliehen.
Jimmy Carter verlässt nach 60 Jahren seine Kirche
"Verdrehte Interpretation von Gottes Wort"
Als Jimmy Carter im Januar 1977 ins Weiße Haus einzog, schien der Baptist eine neue Ära im politischen Washington einzuleiten. Ein Politiker übernahm das höchste Staatsamt, der sich in weit stärkerem Maße zu seiner Religiosität bekannte als viele seiner Vorgänger. Nun aber hat er einen Schlussstrich unter seine Kirchenzugehörigkeit gezogen.
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