DOMRADIO.DE: Sie haben am 29. Renovabis-Kongress in Berlin teilgenommen, der unter der Überschrift "Menschenwürde" stand. Was bedeutet es für die Menschen in der Ukraine, wenn Russland die Ukraine mit Drohnen und Bomben angreift?
Pater Norbert Frejek (Leiter des Zentrums "Space of Hope", Südwestukraine): Die Ukrainer sind müde. Dieser Krieg dauert fast vier Jahre, das ist viel zu lang. Jeder Krieg ist eine schreckliche Erfahrung, aber dieser Krieg zerstört ganze Familien. Er untergräbt Empathie, Solidarität und das gesellschaftliche Miteinander. Gleichzeitig entdecken wir, dass Solidarität trotzdem möglich ist: Menschen unterstützen uns, sie sind bereit mitzuwirken. Das ist eine wichtige Erfahrung inmitten des Kriegs.
Wir wissen nicht, wann und wie er enden wird. Aber wir tun, was wir können, um den Menschen beizustehen. Die Menschenwürde ist verletzt – und doch bleibt sie bestehen. Aber sie braucht Hoffnung. Darum geht es uns, Würde und Hoffnung wieder erfahrbar zu machen. Wir arbeiten vor allem mit Menschen, die Angehörige an der Front verloren haben. Trotz der schweren Vergangenheit ist es möglich, weiterzuleben. Das ist unser Schwerpunkt.
DOMRADIO.DE: Was kann Kirche für die Menschen tun?
Frejek: Vor allem für menschliche Nähe sorgen: Seelsorge, die Sakramente, gute Predigten, geistliche Begleitung.
DOMRADIO.DE: Wie geht es Ihnen, wenn Sie sehen, dass Kirche in Russland auch instrumentalisiert wird, dass dort sogar im Namen der Kirche Krieg geführt wird?
Frejek: Das ist eine große Herausforderung und zeigt die politische Seite der Kirche. Ein schwaches Oberhaupt macht sie anfällig für Manipulation. Ich halte es für wichtiger, im Evangelium Inspiration und menschliche Unterstützung zu suchen, als über Politik zu streiten.
DOMRADIO.DE: Immer wieder ist von Friedensverhandlungen die Rede, aber wenn man Putins Worte hört, scheint das kaum glaubwürdig. Wie schätzen Sie die Lage ein?
Frejek: Sie ist sehr schwierig, auch auf kirchlicher Ebene. Die Kirche in der Ukraine tut viel, um die Menschen zu unterstützen. Ob wir wirklich alles tun, wird sich wohl erst nach dem Krieg zeigen. Ich weiß es jetzt nicht. Aber ich bin sicher: Die katholische Kirche – ob griechisch- oder römisch-katholisch – versucht alles, was möglich ist. Natürlich gibt es Schattenseiten: Manche Christen sehen diesen Krieg als "heiligen Krieg".
DOMRADIO.DE: Nach all den Jahren: Glauben die Menschen in der Ukraine überhaupt noch an Frieden?
Frejek: Ja, das ukrainische Volk ist stark, im positiven Sinn. Es hält viel aus. Die Geschichte der Ukraine ist schwierig und dramatisch, aber sie schenkt Kraft und Geduld. Natürlich sind die Grenzen spürbar. In Kiew leben die Menschen praktisch in der U-Bahn, weil es Tag und Nacht Angriffe gibt. Das raubt Energie und Hoffnung. Deshalb ist es unsere Aufgabe, dort bei den Menschen zu sein – in den U-Bahn-Stationen, mit unserer Arbeit, mit unseren Projekten, auch mit Unterstützung von Renovabis. Wir stehen an ihrer Seite.
DOMRADIO.DE: Woher nehmen Sie selbst Hoffnung in dieser scheinbar aussichtslosen Lage?
Frejek: Providentia Divina – die göttliche Vorsehung. Ich bin sicher: Der Herr trägt uns. Das ist unsere Hoffnung. Und das ist auch das Thema des Heiligen Jahres 2025: Wir sind Pilger der Hoffnung, trotz der Situation in der Ukraine. Am Ende liegt alles in Gottes Händen.
Das Interview führte Johannes Schröer.