Jesuit sieht in Schweden wachsendes Interesse an katholischer Kirche

"Geistig-geistlicher Klimawandel"

Pater Philipp Geister erlebt als Rektor des Newman-Instituts in Uppsala viele Menschen auf Sinnsuche. Weil die säkulare Gesellschaft oft keine Antworten biete, so die Beobachtung, fühlten sich immer mehr vom Katholizismus angezogen.

Autor/in:
Hilde Regeniter
Impression aus Uppsala, Schweden / © Jan Zabrodsky (shutterstock)
Impression aus Uppsala, Schweden / © Jan Zabrodsky ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Als Sie vor 34 Jahren nach Schweden kamen, mussten Sie sich immer wieder dafür rechtfertigen, katholisch zu sein. Das ist längst nicht mehr so, sagen Sie. Was ist anders geworden? 

Pater Philipp Geister / © Theresa Meier (Bonifatiuswerk)

Pater Philipp Geister SJ (Rektor des Newman-Instituts in Uppsala, Schweden): Die gesellschaftliche Situation in Schweden gegenüber der katholischen Kirche hat sich in dieser Zeit grundlegend geändert. Von einer kritischen und vorsichtigen, bestenfalls neugierigen, aber doch im Grunde negativen Haltung hin zu einer offenen, interessierten, wohlwollenden und positiven Haltung. Das ist wirklich eine starke, eine durchgreifende Veränderung. 

DOMRADIO.DE: Wie erklären Sie sich das? 

P. Geister: Ein Teil der Erklärung liegt in der inhaltlichen Leere der rein säkularisierten Gesellschaft. Sie hat nichts anzubieten hat, was Menschen auf Dauer glücklich macht und ihre Sinnfragen beantwortet. Dagegen hat die katholische Kirche wirklich ein Angebot, das tief und gerade auch intellektuell reflektiert ist und geistlich untermauert. Das zieht viele Leute an. 

Ich glaube, dass auch Papst Franziskus eine wichtige Rolle gespielt hat. Vorher haben wohl die meisten Schweden die katholische Kirche als fremd gegenüber den Werten der schwedischen Gesellschaft wahrgenommen. Das Gefühl haben viele seit Franziskus nicht mehr. Ich denke zum Beispiel an seine Enzyklika "Laudato si", aber auch an die Frage nach der Rolle der Frau in der Kirche, wo durch ihn einiges aufgebrochen ist. Durch solche Entwicklungen können sich Schweden leichter in der katholischen Kirche wiedererkennen. 

DOMRADIO.DE: Sie arbeiten an der Schnittstelle zwischen katholischer Kirche und schwedischer Gesellschaft. Wie versuchen Sie, in Dialog zu sein? 

P. Geister: Die ursprüngliche Idee bei der Gründung des Newman- Instituts war, dass die Schweden gebildet sind. Sie sind auch intellektuell interessiert. Wir wollten also nicht nur geistliche Angebote machen, sondern auch die intellektuellen Fragen der Menschen ernst nehmen und beantworten. Eine Hochschule ist ein gutes Werkzeug dafür. 

Wir haben mit dem Newman-Institut eine Hochschule und seit etwa 100 Jahren auch die Kulturzeitschrift Signum. Außerdem bieten wir Veranstaltungen, die sich gezielt an Politiker, Journalisten und eine allgemein gebildete Öffentlichkeit wenden. Jeder kann daran teilnehmen, auch die, die nicht gleich eine ganze Ausbildung machen wollen. Was alle unsere Angebote verbindet, ist die Absicht, die Fragen der Menschen intellektuell ernst zu nehmen. 

Pater Philipp Geister

"Die Berichte der großen Tageszeitungen über die katholische Kirche sind heute in der Regel positiv. Als ich herkam, waren sie eigentlich immer negativ."

DOMRADIO.DE: Beobachter sprechen mit Blick auf Schweden schon länger von einem geistig-geistlichen Klimawandel. Trifft es das in Ihrer Wahrnehmung?

P. Geister: Ich denke, der Begriff geistig-geistlicher Klimawandel trifft es gut. So sind die Berichte der großen Tageszeitungen über die katholische Kirche heute in der Regel positiv. Als ich herkam, waren sie eigentlich immer negativ. Es wird fair, interessiert und oft positiv über die katholische Kirche berichtet und über die Fragen, die für die katholische Kirche wichtig sind. Es sind die Fragen des menschlichen Lebens, ethische Fragen also und sozial-ethische Fragen, die heute in der Gesellschaft anders diskutiert werden. 

Ich merke es auch an den ökumenischen Kontakten, die respektvoll, freundlich und freundschaftlich sind. Die Leute begegnen mir als katholischem Priester eigentlich in allen Bereichen inhaltlich und persönlich sehr respektvoll und interessiert. Das ist ein deutlicher Umschwung. 

DOMRADIO.DE: Schweden hat als Einwanderungsland schon lange mit der Integration von Migranten und Geflüchteten zu tun. Würdigt die Gesellschaft den Beitrag der katholischen Kirche dazu? 

P. Geister: Das glaube ich leider nicht. Die säkulare Gesellschaft versteht nicht das tiefe gemeinsame Fundament, das der Glaube schafft. Das wird in den Medien in meinen Augen zu abstrakt dargestellt. Man sieht wohl, dass es viele Ausländer in den katholischen Gemeinden gibt. Aber die integrative Funktion, die die Gemeinden erfüllen und auch ihre Leistungen in der Konfliktvermittlung, werden noch nicht genügend gesehen. 

Pater Philipp Geister

"Den Rechtsruck merken wir in Schweden natürlich auch."

DOMRADIO.DE: Wie fast ganz Europa erlebt auch Schweden einen Rechtsruck. Ist die katholische Kirche eine Stimme, die vielleicht gehört werden könnte? 

P. Geister: Den Rechtsruck merken wir in Schweden natürlich auch. Es ist aber sehr komplex, weil viele der Personen, die als Christen nach Schweden eingewandert sind, vielleicht auch aus Verfolgungssituationen, diesen rechten Parteien nahestehen. So können wir leider nicht sagen können, dass die Katholiken eine Gegenkultur darstellen. Wir können eben nicht voraussetzen, dass sich die katholische Kirche durch ihre Mitglieder in der Gesellschaft anders positionieren würde. Von offizieller Seite her tut sie das natürlich doch, durch Stellungnahmen unseres Kardinals etwa. Aber ich glaube nicht, dass das großen Einfluss auf die öffentliche Debatte hat.

Pater Philipp Geister

"Ich war überrascht, dass Leute mich auf der Straße angesprochen und mir kondoliert haben zum Tod von Papst Franziskus."

DOMRADIO.DE: Sie sagen, Papst Franziskus habe positiv auf das Image der katholischen Kirche in Schweden gewirkt. Wie hat Schweden seinen Tod, das Konklave und schließlich die Wahl von Papst Leo wahrgenommen? 

P. Geister: Ich war überrascht, dass Leute mich auf der Straße angesprochen und mir kondoliert haben zum Tod von Papst Franziskus. Sie wollten auch wissen, wie es jetzt weiter geht. Die Medien haben auch die Wahl von Papst Leo XIV. ungeheuer konstruktiv und positiv kommentiert. Das hat mich alles sehr berührt. Man würde denken, dass das diese Gesellschaft alles irgendwie nichts angeht, weil sie im Wesentlichen nicht katholisch ist. Aber es gibt eine große Erwartung und großes, positives Interesse. Ich erlebe eine große Offenheit für die katholische Kirche. 

Newman-Institut in Uppsala, Schweden / © Theresa Meier (Bonifatiuswerk)
Newman-Institut in Uppsala, Schweden / © Theresa Meier ( Bonifatiuswerk )

DOMRADIO.DE: Denken Sie, dass sich unter dem neuen Papst, der aus selbst von der nördlichen Halbkugel stammt, das Interesse des Vatikans und der Weltkirche an den nordischen Ländern noch einmal wandeln könnte?

P. Geister: Ich bin etwas unsicher. Papst Franziskus hat ja sehr stark über die Ränder und die am Randstehenden gesprochen. Das haben wir auch in seiner Entscheidung, unseren Bischof zum Kardinal zu ernennen, gespürt und auch dankbar wahrgenommen. Schon der Besuch von Johannes Paul II. war ein Zeichen in diese Richtung, weil er nach seiner Reise sehr zufrieden war und die Schweden das durchaus zur Kenntnis genommen haben und dankbar waren für diese Wertschätzung. 

Ich persönlich bin sehr froh über Papst Leo. Er repräsentiert wirklich vieles von dem, was katholische Kirche ist, auch hier in Schweden. Er ist ein wirklich universaler Papst. Ich glaube, dass werden die Schweden auch wahrnehmen. Sie werden die positive Haltung, die sie heute der katholischen Kirche gegenüber schon haben, weiter vertiefen können. 

DOMRADIO.DE: Wie erleben Sie die Ökumene vor Ort? 

Pater Philipp Geister

"Ich mache eine große Energie aus, eine große Freude und ein wechselseitig großes Interesse der beiden Kirchen aneinander."

P. Geister: Unser lutherischer Erzbischof von Uppsala, Martin Modéus, ist sowohl zur Beerdigungsfeier von Papst Franziskus als auch zur Inauguration von Papst Leo gefahren. Danach hat er uns Jesuiten kontaktiert und begeistert erzählt, was ihm das bedeutet. 

Ich glaube, wir sind jetzt darüber hinweg, ständig an der Frage von Interkommunion zu hängen; es geht wirklich darum, wie wir voneinander lernen können. Wir überlegen, wie wir miteinander sprechen und unsere Freundschaft und unseren gemeinsamen Glauben vertiefen können. Das ist wichtig gerade in diesem Jahr, wo wir nicht nur das Jubiläum von Nizäa feiern, sondern auch die 100-Jahr-Feier einer großen Versammlung der Schwedischen Kirche ansteht. Man versucht, beides bewusst zusammenzubinden und lädt auch uns Katholiken immer wieder zu Veranstaltungen der evangelischen Kirche ein, um miteinander ins Gespräch zu kommen. 

Ich mache eine große Energie aus, eine große Freude und ein wechselseitig großes Interesse der beiden Kirchen aneinander. Das hat etwas sehr Tröstliches. Nach den Pfingstfeiern haben wir einen gemeinsamen ökumenischen Kirchenkaffee organisiert, denn die Leute trinken ja nach der Messe immer Kaffee. Da haben wir gesagt haben, wir können noch nicht gemeinsam Abendmahl feiern, aber wir treffen uns danach zum gemeinsamen Kaffee. Solche Gesten gibt es immer wieder.

Zum Beispiel wurde der Altar, an dem Papst Johannes Paul II. bei seinem Schweden-Besuch 1989 in der Nähe von Uppsala die Heilige Messe gefeiert hatte, saniert und neu eingeweiht – mit einer größeren ökumenischen Veranstaltung. Wir suchen also nach gemeinsamen Zeichen und das spielt für die Beteiligten eine große Rolle.

Das Interview führte Hilde Regeniter.

Katholische Kirche in Schweden

Das Bistum Stockholm umfasst ganz Schweden. Auf einer Fläche von 450.000 qkm wohnen über 9,7 Millionen Einwohner. 110.000 von ihnen sind katholisch (knapp 1,1 Prozent). Ca. 80 Prozent von ihnen sind Einwanderer aus mehr als 90 verschiedenen Nationen. 161 Priester sind für sie in 44 Pfarreien seelsorglich tätig.

Bischof ist seit 1998 als erster Schwede der im Schweizer Tessin von schwedischen Eltern 1949 geborene Karmelitermönch Anders Arborelius, der mit 20 Jahren zum katholischen Glauben konvertiert war. Im Jahr 2017 wurde er zum Kardinal ernannt.

Schwedens Flagge / © akedesign (shutterstock)
Quelle:
DR

Die domradio- und Medienstiftung

Unterstützen Sie lebendigen katholischen Journalismus!

Mit Ihrer Spende können wir christlichen Werten eine Stimme geben, damit sie auch in einer säkulareren Gesellschaft gehört werden können. Neben journalistischen Projekten fördern wir Gottesdienstübertragungen und bauen über unsere Kanäle eine christliche Community auf. Unterstützen Sie DOMRADIO.DE und helfen Sie uns, hochwertigen und lebendigen katholischen Journalismus für alle zugänglich zu machen!

Hier geht es zur Stiftung!