Italien positioniert sich neu gegenüber Libyen - Kirche in Sorge

Der Pakt mit Gaddafi ist tot

Viele Tage nach Ausbruch der Kämpfe in Libyen hat sich Italiens Regierung zu einer Positionierung durchgerungen: Der Pakt, der in den vergangenen Jahren auch den Umgang mit Flüchtlingen regelte, sei "de facto tot". Die Bischöfe betonen die "besondere Verpflichtung" Italiens gegenüber Libyen. Der libysche Bischof erwartet eine Teilung des Landes.

Autor/in:
Johannes Schidelko
 (DR)

Nachdem Ministerpräsident Silvio Berlusconi die Ausschreitungen am anderen Ufer des Mittelmeers bislang herunterspielte - er wolle seinen Freund Muammar al-Gaddafi nicht stören - so redeten seine Minister am Wochenende Klartext. Der Pakt zwischen Italien und Libyen sei de facto tot, betonte Verteidigungsminister Ignazio La Russa. Und der Regierungschef räumt immerhin ein, dass Gaddafi die Situation in seinem Land offenbar nicht mehr im Griff habe.



Dieser Pakt von 2008, der Manches am bisherigen Verhalten Italiens erklärte, sollte einen Schlussstrich unter das belastete Verhältnis zur einstigen nordafrikanischen Kolonie ziehen. Er sah fünf Milliarden Dollar Entschädigungszahlen vor, mit denen Italien im über einen Zeitraum von 25 Jahren Wiedergutmachung für seine koloniale Vergangenheit leisten wollte. Zudem wollten die Italiener mehr als 2.000 Kilometer Autobahn entlang dem Mittelmeer bauen. Weiter wurden Stipendien für libysche Studenten, Invalidenrenten für die Opfer von Anti-Personen-Minen, der Bau von mehreren hundert Wohneinheiten sowie eine verstärkte Zusammenarbeit im wissenschaftlichen, kulturellen und energietechnischen Bereich vereinbart. Libyen sagte in dem Pakt zu, mit Italien im Kampf gegen illegale Einwanderung von Afrika nach Europa zusammenzuarbeiten.



Bereits 2007 hatten Italien und Libyen gemeinsame Patrouillen entlang der libyschen Küste vereinbart, um den Flüchtlingsstrom zu bremsen. In der Tat sorgte Gaddafi dafür, dass die Welle der Bootsflüchtlinge über das Mittelmeer nach Sizilien, Malta oder Lampedusa drastisch nachließ. So drastisch, dass die Wanderwege in die EU derzeit über die türkisch-griechische Grenze führen.



Italiens Angst

Mit einem Machtvakuum entlang der Küste oder unter einer neuen politischen Ordnung befürchtet Italien ein Wiederanschwellen dieses Stromes - vor allem, wenn die Temperaturen mit Frühlingsbeginn die Fahrten leichter machen. Zum einen rechnet man mit Menschen aus den Maghreb-Staaten, die wegen der hohen Arbeitslosigkeit zuhause ein Auskommen suchen. Zum anderen kalkulieren sie, dass Libyen wieder zum Durchreiseland für Migranten von südlich der Sahara wird.



Erste Anlaufstelle in Europa sind die Küsten Italiens. Dessen Innenminister Roberto Maroni malte bereits das Bild von einem zu erwartenden "biblischen Exodus" an die Wand, den Italien unmöglich allein bewältigen könne und den es daher auf andere Schultern in der EU verteilen wolle. Damit wurde er jedoch von den Partnern ausgebremst: Seine Zahlen seien maßlos übertrieben; Italien könne den neuen Flüchtlingsstrom allein stemmen - und ohnehin erhalte das Land bereits hohe EU-Zuwendungen.



Bischöfe betonen das "Gleichgewicht Italiens"

Auch die Bischofskonferenz hat sich inzwischen in die Debatte eingeschaltet: Italien habe aufgrund seiner Vergangenheit und wegen der geografischen Nähe eine ganz besondere Verpflichtung gegenüber Libyen, sagte der Vorsitzende Kardinal Angelo Bagnasco am Wochenende. Das gelte auch für die zu erwartenden Flüchtlinge. Gastfreundschaft müsse jedoch Hand in Hand mit der Legalität gehen. Und man müsse darauf achten, dass die Flüchtlingswelle keine "verheerenden Auswirkungen auf das zerbrechliche innere Gleichgewicht" Italiens habe.



Berlusconi verknüpft seine Distanzierung von Gaddafi mit Sorgen um die Zukunft Libyens. Man wisse nicht, was komme, ob an der anderen Mittelmeerküste künftig freie Menschen und Demokraten das Sagen hätten oder ob sich islamistische Fundamentalisten festsetzten.



Der katholische Bischof in Tripolis, Giovanni Martinelli, rechnet zunächst mit einer Teilung des Landes. Gaddafi werde sich in Tripolis verschanzen und seine Anhänger zum gnadenlosen Kampf gegen alle Widersacher anstacheln. Die schlecht ausgerüstete Opposition ihrerseits dürfte sich schwer tun, die Hauptstadt zu erobern. Umgekehrt aber werden sie sich die Städte der Kyrenaika, vor allem Bengasi, kaum noch von Gaddafi entreißen lassen.