Islamwissenschaftlerin Neuwirth wirft Kalisch Provokation vor

"Der Koran fiel nicht vom Himmel"

Die Berliner Islamwissenschaftlerin Angelika Neuwirth hat ihrem Münsteraner Kollegen Muhammad Kalisch provokatives Verhalten vorgeworfen. Dessen Zweifel an der Historizität des Propheten Mohammeds "hätten sich durch gründliche Lektüre zur Forschungslage leicht zerstreuen lassen", sagte Neuwirth. Dazu wäre Kalisch verpflichtet gewesen.

 (DR)

Die Arabistin und Islamwissenschaftlerin leitet in Berlin seit gut einem Jahr ein Forschungsprojekt unter dem Titel «Corpus Coranicum», das eine historisch-kritische Edition des Koran zum Ziel hat. Diese «Wiedereinordnung des Koran in eine gemeinsame europäisch-nahöstliche Spätantike» bedeute unabdingbar den Abschied von einem «stereotypen Europabild», in dem nur das Jüdisch-Christliche Platz habe. «Die Muslime leben nicht nur längst mitten in Europa, ihre Tradition ist unser Erbe», so Neuwirth. Sie kündigte an, 2009 erste Ergebnisse des «Corpus Coranicum»-Projekts präsentieren zu wollen.

Neben Kalisch warf sie auch den Autoren Karl-Heinz Ohlig und Christoph Luxenberg, die die historische Existenz des Propheten infrage stellen, unwissenschaftliches Vorgehen und eine «islam-polemisch motivierte Koranforschung» vor. Sie hätten zum Teil nicht einmal arabische Sprachkenntnisse und nutzten den Koran als Steinbruch für bereits vorgefasste Ideen. Die These, dass Muhommed nicht existiert habe, beruhe auf abenteuerlichen Konstruktionen.

Der Münsteraner Islamwissenschaftler Kalisch plädiert für eine historisch-kritische Auslegung des Koran und zieht die Existenz des Propheten Mohammed in Zweifel. Daraufhin hatte der Koordinationsrat der Muslime (KRM), Dachverband der vier größten Islamverbände, im September die Zusammenarbeit mit ihm aufgekündigt. Neuwirth meinte, Kalischs Veröffentlichung der Zweifel ohne differenzierte Begründung und ohne eine überzeugende Gegenhypothese könne nur als Provokation verstanden werden.

Neuwirth berichtete mit Blick auf ihr Forschungsprojekt von Aufgeschlossenheit der Kollegen in islamischen Ländern. Auch in Ländern wie Iran oder Ägypten seien die deutschen Wissenschaftler nie auf Proteste gestoßen. Sie wandte sich nachdrücklich gegen einen stärker werdenden «Kultur-Antiislamismus», der meine, «Muslime lebten noch in der Steinzeit und schotteten sich gegen alles, was nach Fortschritt aussieht, rigoros ab».

Ihr Forschungsvorhaben, das eine Textausgabe und einen historisch-kritischen Kommentar zum Ziel habe, zeige auf, dass sich der Koran zuerst gar nicht an Muslime, sondern an vorislamische Hörer aus dem Erfahrungshorizont der Spätantike gerichtet habe, denen christliche und jüdische Traditionen bekannt gewesen seien. Neuwirth wörtlich: «Der Koran fiel also nicht vom Himmel, sondern steht in einem bestimmbaren historischen Kontext.»