DOMRADIO.DE: Wie blicken die Muslime in der Türkei auf den neuen Papst?
Prof. Dr. Dr. Felix Körner (Jesuit und Islamwissenschaftler): Papst Franziskus war in der Türkei sehr beliebt. Den Film „Konklave“ haben auch viele Muslime auf der ganzen Welt gesehen. Daher hatte Papst Leo gute Karten. Man interessiert sich dafür, wer nun der Neue ist. Dann flaute die Neugier allerdings ab.
Erst als es nun hieß, dass er in die Türkei komme, schauten wieder mehr Türken Richtung Rom. Die meisten achten jetzt nicht so sehr auf die individuelle Persönlichkeit von Leo XIV. Vielmehr fühlen sie sich geehrt: Den Papst führt seine erste Auslandsreise ausgerechnet zu uns!
Man sieht deutlich, dass viele Menschen in der Türkei enttäuscht sind von Machthabern, die Religion für den eigenen Machterhalt nutzen. Das sehen auch immer mehr Muslime kritisch. Es führt sogar bei vielen zu einer neuen Distanz zum Islam. Ein religiöses Oberhaupt, das sich nicht politisch instrumentalisieren lässt, ist ein Hoffnungszeichen, aber auch eine Warnung.
DOMRADIO.DE: Wieso Warnung?
Körner: Ich sage es mal mit meinen eigenen Worten. Der neue Papst will entwaffnet entwaffnen. Seht her, können die Muslime nun sagen, religiöse Führungspersönlichkeiten müssen nicht egoistisch handeln. Wenn der Islam nicht so entwaffnend entwaffnet, dann ist das nicht unsere Religion.
DOMRADIO.DE: Wie ist das Miteinander von Christen und Muslimen vor Ort?
Körner: Viele Muslime wissen erstaunlich wenig über das Christentum. Viele Getaufte sagen auch nicht jedem, dass sie Christen sind. Sie fürchten gesellschaftliche Diskriminierung, etwa bei der Jobsuche. Denn Christen können als Fremde wahrgenommen werden. Gesetzlich herrscht Gleichberechtigung. Im täglichen Leben kann es sich allerdings anders anfühlen.
Eine armenische Katholikin hat mir einmal erzählt, dass ihre langjährige Nachbarin sie fragte: "Wann seid ihr eigentlich hierhergekommen?" Die Muslima meinte, wer armenisch ist, kann nicht türkisch sein. Die Armenierin sagte aber: "Wir waren schon vor euch hier!"
DOMRADIO.DE: Leo XIV. wird auch Bartholomaios treffen, der als griechisch-orthodoxer Patriarch in Istanbul residiert. Wie ist der Stand der orthodoxen Christen dort im Speziellen?
Körner: Die griechisch Orthodoxen sind eine kleine Minderheit. Trotzdem haben die türkischen Behörden mit dem griechischen Patriarchat ihre Schwierigkeiten. Im Grunde sind es drei Schwierigkeiten. Seit Abschaffung des Kalifats im Jahr 1924 soll es kein religiöses Oberhaupt von internationalem Rang mehr auf türkischem Boden geben.
Auch die christlichen Bischöfe sollen nur für Gebiete in der Türkei zuständig sein. Bartholomäus heißt aber ökumenischer Patriarch. Darin steckt ein weltweiter Anspruch.
Zweitens kann ein Missverständnis entstehen. Wenn der griechisch-orthodoxe Patriarch ausgerechnet in Istanbul residiert, dann halten die Griechen Istanbul immer noch für Konstantinopel und Anatolien immer noch für das Gebiet des östlichen Roms, also für byzantinisch. Tatsächlich aber erkennt Bartholomäus die türkische Souveränität selbstverständlich an.
Drittens die Frage nach der Wiedereröffnung des griechisch-theologischen Seminars auf einer Insel vor Istanbul, auf Heybeliada, griechisch: Chalki. Früher hieß es, dass alles akademisch Theologische in der Türkei an staatlichen Unis geschehen muss. Das gilt aber inzwischen islamischerseits nicht mehr.
Schon daher gab es Hoffnung auf eine Lösung. 2018 begann sich eine Wiedereröffnung abzuzeichnen, aber passiert ist noch nichts. Da sollte sich Papst Leo allerdings nicht einmischen.
DOMRADIO.DE: Was kann man sich von diesem Papstbesuch für Ökumene, interreligiösen Dialog, politisches und gesellschaftliches Miteinander erhoffen?
Körner: Papst Leo wird in seiner bescheidenen Art gut ankommen. Sein Besuch wird auch von nichtkatholischer Seite sicher als Freundschaftsangebot verstanden. Von außen wirkt die katholische Kirche oft noch größer und fitter als von innen. Daher freuen sich viele unserer Gesprächspartner über ein katholisches Zeichen des Respektes und ein Angebot zum gemeinsamen Handeln.
Wir können doch – nein, wir müssen – auch mit anderen zusammen eine gerechtere, friedvollere Welt gestalten. Meine persönliche Hoffnung ist, dass sich alle Christen endlich auf ein gemeinsames Osterdatum einigen.
Die Fragen stellte Renardo Schlegelmilch.