Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) zeichnet wichtige Stationen zwischen dem Vatikan und dem Brückenland zwischen Asien und Europa seit dem 20. Jahrhundert nach.
Gegen die Gewalttaten an den Armeniern
1915: Papst Benedikt XV. (1914-1922) interveniert vergeblich bei Sultan Mehmet V. gegen die Gewalttaten an den Armeniern. Er bittet den Sultan um "Mitleid mit dem Schicksal [...] des schwer bedrängten armenischen Volkes, das an den Rand der Vernichtung gebracht wurde". Die türkische Regierung verzögert die Überbringung des Briefes, bis die Deportationen und Massaker weitgehend abgeschlossen sind.
1918: Nach weiteren Ausschreitungen gegen Armenier im Osten des Osmanischen Reiches interveniert der Papst erneut beim Sultan. Er beauftragt den Nuntius in Deutschland, Eugenio Pacelli, den späteren Papst Pius XII., bei der Regierung in Berlin zugunsten der Armenier vorzusprechen. Das Deutsche Reich ist damals der wichtigste Verbündete der Osmanen - doch Berlin schweigt.
Denkmal für den Friedenspapst Benedikt XV. Istanbul
1921: In Istanbul wird, noch wenige Wochen vor seinem Tod, ein Denkmal für den Friedenspapst Benedikt XV. aufgestellt. Es erinnert an seine vielfältigen humanitären Hilfsleistungen für die Notleidenden und an seine unermüdlichen, letztlich vergeblichen diplomatischen Bemühungen, die kämpfenden Mächte Europas zu einem Frieden zu bewegen. Die Inschrift lobt den "großen Papst der Welttragödie Benedikt XV. - Wohltäter der Völker ohne Unterschied der Nationalität und Religion, zum Zeichen der Dankbarkeit des Orients (1914-1919)".
1934: Der streng laizistische Staatsgründer der Türkischen Republik Mustafa Kemal Atatürk wandelt die Hagia Sophia (griechisch: "Heilige Weisheit"), bis 1453 die Hauptkirche des orthodoxen Christentums und danach Moschee, in ein Museum um.
1935 bis 1944: Angelo Giuseppe Roncalli, der spätere Papst Johannes XXIII. (1958-1963), erwirbt sich als Vatikangesandter für die Türkei und Bulgarien mit Sitz in Ankara durch seine Offenheit und Dialogbereitschaft Respekt und Freundschaft.
"September-Pogrom" in den christlichen und jüdischen Vierteln Istanbuls
1955: "September-Pogrom" in den christlichen und jüdischen Vierteln Istanbuls mit Prügeln, Plünderung und Brandschatzung; mehrere Geistliche werden getötet. Die Armee muss mit Panzern eingreifen. Über Monate hatte die Presse mit scharfmachenden Meldungen die Stimmung gegen Griechenland und die Istanbuler Griechen angeheizt. Neben dem Bevölkerungsaustausch im Zuge des Vertrags von Lausanne 1923 - osmanische Griechen und christliche Türken nach Griechenland, griechische Muslime in die Türkei - gelten die Vorfälle von 1955 als Anfang vom Ende des Griechentums in der Türkei.
1959: Der türkische Staatspräsident Celal Bayar besucht Johannes XXIII. im Vatikan. In seiner Frühzeit war Bayar ein persönlicher Verfolger armenischer und griechisch-orthodoxer Christen.
Erstmals volle diplomatische Beziehungen
1960: Unter Johannes XXIII., einst Nuntius in Ankara, nehmen die Türkei und der Vatikan erstmals in der Geschichte von Osmanischem Reich und Türkischer Republik volle diplomatische Beziehungen auf.
1962-1965: Zweites Vatikanisches Konzil. Tauwetter in der Ökumene und Aufnahme eines interreligiösen Dialoges
1964: Historische Zusammenkunft von Papst Paul VI. (1963-1978) und Patriarch Athenagoras in Jerusalem; Durchbruch in den Beziehungen zwischen Rom und Konstantinopel
Aufhebung des gegenseitigen Kirchenbanns
1965: Aufhebung des gegenseitigen Kirchenbanns zwischen Rom und Konstantinopel nach mehr als 900 Jahren (1054)
1967: Paul VI. reist als erster Papst der Neuzeit in die Türkei. In der vormaligen Kirche und Moschee Hagia Sophia kniet er zum Gebet nieder und bringt damit den türkischen Außenminister in Verlegenheit.
1979: Johannes Paul II. (1978-2005) reist in die Türkei, ein Jahr vor dem Militärputsch und der Verhängung des Kriegsrechts.
2001: Die Anschläge vom 11. September 2001 trüben das gesellschaftliche Klima zwischen der christlichen und der islamischen Welt ein. Religionsführer, allen voran Johannes Paul II., verurteilen jede Anwendung von Gewalt im Namen von Religion.
Johannes Paul II. spricht zum Abschluss seiner Armenien-Reise erstmals von Völkermord
2001: Johannes Paul II. spricht zum Abschluss seiner Armenien-Reise erstmals von Völkermord. "Die Ausrottung von 1,5 Millionen armenischer Christen in dem, was allgemein als der erste Genozid des 20. Jahrhunderts bezeichnet wird, und die darauf folgende Vernichtung von Tausenden unter dem totalitären Regime sind Tragödien, die im Gedächtnis der heutigen Generation noch lebendig sind", heißt es in einer gemeinsamen Erklärung mit dem armenischen Patriarchen Karekin II.
2006: Papst Benedikt XVI. (2005-2013) sorgt mit einer Vorlesung an der Universität Regensburg für eine weltweite Diskussion. Muslime sehen durch ein historisches Zitat den Propheten Mohammed beleidigt. Mit einer Dialog-Offensive und einer erfolgreichen Papstreise in die Türkei Ende 2006 glättet der Vatikan die Wogen. Um die Welt geht eine Gebetsgeste des Papstes in der Blauen Moschee.
2013: Drei Monate nach seinem Amtsantritt bezeichnet Papst Franziskus die Vertreibung der Armenier in einem privaten Gespräch, das später publik wird, als "ersten Genozid des 20. Jahrhunderts". Die Türkei legt offiziell Protest ein; die Äußerung sei "absolut inakzeptabel". Schon als Erzbischof von Buenos Aires hatte der heutige Papst keinen Hehl daraus gemacht, dass er die Vertreibung als Völkermord betrachtet.
Franziskus trifft Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan
2014: Franziskus besucht als vierter Papst der Neuzeit die Türkei und trifft auch Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan. In Istanbul betritt er erstmals in seiner Amtszeit als Papst eine Moschee und betet dort. Weitere Höhepunkte sind seine Begegnungen mit dem Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel, Bartholomaios I. Die türkische Seite lobt sein bescheidenes Auftreten, den Verzicht auf einen erhobenen Zeigefinger und seine Gesten des Respekts vor dem Islam. Erdogan erklärt, er sei sich in allen wichtigen Fragen mit dem Papst einig.
2015: Bei einem Gottesdienst mit mehreren tausend Armeniern bezeichnet Franziskus die Verfolgung der Armenier im Ersten Weltkrieg in einer offiziellen Rede als "ersten Genozid des 20. Jahrhunderts". Die Türkei protestiert scharf. Sie zieht ihren Botschafter beim Heiligen Stuhl ab und bestellt den Vatikanbotschafter in Ankara ein. Außenminister Mevlüt Cavusoglu wirft dem Papst vor, mit seiner Äußerung "Feindschaft und Hass" zu schüren.
Der Gesprächsfaden zwischen Franziskus und Erdogan zu aktuellen politischen Fragen, etwa den Nahost-Konflikt, den Ukraine-Krieg oder das schwere Erdbeben in der Türkei und in Syrien 2023, reißt jedoch in den folgenden Jahren nie ab.
2018: Erstmals seit 59 Jahren besucht mit Erdogan wieder ein türkischer Präsident den Vatikan. Franziskus nimmt sich etwa die dreifache Zeit einer normalen Audienz.
Hagia Sophia in Istanbul wird wieder zur Moschee
2020: Die Hagia Sophia in Istanbul, gebaut in der Spätantike als byzantinische Reichskirche, seit 1453 Moschee und seit 1934 Museum, wird wieder zur Moschee gemacht. Der Papst äußert sich "sehr betrübt" über die Umwidmung; er empfinde "großen Schmerz". Ein Sprecher Erdogans erwidert, Franziskus brauche nicht betrübt zu sein; die Hagia Sophia werde von einer bloßen Sehenswürdigkeit wieder zu einem "Haus des Gebets, in dem der Name Gottes angerufen wird".
2024: Ein terroristischer Anschlag auf eine katholische Kirche in Istanbul (Januar) sorgt für Turbulenzen; es gibt auch Kritik an der türkischen Regierung. Beim G7-Gipfel in Apulien (Juni) kommt es zu einem kurzen Wortwechsel von Franziskus und Erdogan, bei dem der Papst mit erhobenem Zeigefinger auf den Präsidenten einspricht.
2025: Bei seiner ersten Auslandsreise besucht Papst Leo XIV. die Türkei. Anlass ist das 1.700-Jahr-Gedenken an das frühchristliche Konzil von Nizäa.