Iran-Expertin hofft auf Erfolg der anhaltenden Proteste

"Theokratie gegen den Islam"

Im Iran rebellieren seit vergangenem Herbst besonders die Frauen gegen den Gottesstaat. Der Aufstand hat sich schon lange angebahnt, betont Iran-Expertin Katajun Amirpur. In die Zukunft blicke sie "relativ hoffnungsvoll", sagt sie.

 Demonstrantin zeigt das Victory-Zeichen vor einer iranischen Fahne / © Cecilia Fabiano (dpa)
Demonstrantin zeigt das Victory-Zeichen vor einer iranischen Fahne / © Cecilia Fabiano ( dpa )

DOMRADIO.DE: Sie beginnen Ihr Buch "Iran ohne Islam" mit einem persönlichen Erlebnis. Nach Ihrer Kindheit im Iran in den 70er Jahren haben Sie 1991 das Land zum ersten Mal wieder besucht und waren überrascht. Was hat Sie überrascht? 

Katajun Amirpur

"Da hatte man sich intellektuelle und sehr viele geistige Nischen und Freiheiten erobert."

Katajun Amirpur (Professorin für Iranistik an der Universität Köln): Es hat mich überrascht, dass Iran natürlich einerseits eine Diktatur ist, eine sehr straffe Diktatur. Aber auf der anderen Seite hatten sich die Menschen schon in den 90er Jahren sehr, sehr viele Freiräume erobert.

Katajun Amirpur / © Andreas Lohmann (privat)
Katajun Amirpur / © Andreas Lohmann ( privat )

Das betraf zum einen die persönlichen Freiheiten. Die Menschen auf den Straßen hatten nicht etwa Angst, über das Regime zu schimpfen und zu lästern. Und auf der anderen Seite gab es schon sehr, sehr viele intellektuelle Nischen. Es gab sehr viele Zeitschriften, in denen zum Beispiel Religionspluralismus diskutiert wurde, in denen Demokratie diskutiert wurde. Da hatte man sich intellektuelle und sehr viele geistige Nischen und Freiheiten erobert. 

DOMRADIO.DE: Das heißt, dieser Widerstand gegen das Regime hat schon in den 90er Jahren begonnen - von einer Bewegung intellektueller Reformer hin zu einer politischen Bewegung. Was hat denn zu diesem Widerstand gegen das Regime geführt? 

Katajun Amirpur

"Es wurden sukzessive Frauenrechte zurückgenommen und Frauen waren demnach auch die ersten, die auf die Straße gingen."

Amirpur: Sehr viele Menschen haben eigentlich schon sehr, sehr schnell nach der Revolution, als ihre Freiheiten sukzessive eingeschränkt worden, gemerkt, dass diese Revolution nicht die war, die sie eigentlich machen wollten beziehungsweise dass das Ergebnis ein ganz anderes war als das, wofür sie gearbeitet hatten. Speziell Frauen haben ja nicht erwartet, dass ihnen jetzt nach der Revolution die Rechte wieder genommen werden, die sie sich mühsam in den Jahren zuvor erarbeitet hatten. Aber genau das passierte nun. Es wurden sukzessive Frauenrechte zurückgenommen und Frauen waren demnach auch die ersten, die auf die Straße gingen - 1979 am internationalen Frauentag.

Nach den Tod der 22-jährigen Mahsa Amini in Haft der Sittenpolizei protestieren Iraner am 27.10.2022 gegen das Regime  / © Uncredited (dpa)
Nach den Tod der 22-jährigen Mahsa Amini in Haft der Sittenpolizei protestieren Iraner am 27.10.2022 gegen das Regime / © Uncredited ( dpa )

Allerdings begann ja dann kurz danach der Krieg mit dem Irak und so wurde quasi die nächsten acht Jahre lang dieser Protest mehr oder minder automatisch unterdrückt. Man galt als die fünfte Kolonne des Feindes, wenn man Widerstand übte. Und auch die Menschen selber haben sich gedacht: Das ist jetzt nicht das prioritäre Ziel. Im Moment geht es darum, den Aggressor aus dem Land zu werfen und nicht darum, für mehr Freiheiten zu kämpfen. Das änderte sich dann 1988, als der Krieg vorbei war und als 1989 Revolutionsführer Khomeini gestorben ist, der natürlich eine sehr, sehr große Gewalt durch sein Charisma ausübte. Dann entstand mehr oder minder diese Reformbewegung. 

UN-Experte: Dieses Jahr schon mehr als 140 Hinrichtungen im Iran

Im Iran sind laut einem UN-Beobachter seit Januar 143 Menschen hingerichtet worden. Sie seien alle in «extrem unfairen Prozessen» verurteilt worden, sagte Javaid Rehman, der Sonderberichterstatter für Menschenrechte im Iran, am Montag in Genf. Voriges Jahr seien mindestens 500 Todesurteile vollstreckt worden, sagte Rehman vor dem Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen.

Protest gegen das Iran-Regime / © Paul Zinken (dpa)
Protest gegen das Iran-Regime / © Paul Zinken ( dpa )

DOMRADIO.DE: Sie schreiben auch, dass sich nach der Ära Khomeini vieles verändert hat und nicht mehr die Mullahs sondern die Revolutionsgarden das Land regieren. Und die haben sich auch vom Islam entfernt. Wie konnte das passieren? 

Amirpur: Das war ein schleichender Prozess. Aber die Revolutionsgarden haben seit dem Tode Khomeinis immer mehr an Macht gewonnen. Zum einen kontrollieren sie fast die gesamte iranische Wirtschaft und sind da absolut maßgeblich. In vielerlei Hinsicht hat sich das iranische Regime auch vollkommen vom Islam emanzipiert. Das war dann allerdings schon eine Sache, die Khomeini selber gemacht hat, indem er nämlich gesagt hat, man müsse sich gar nicht mehr so streng an die islamischen Vorgaben halten. Es gehe viel mehr darum, dass das System erhalten bleibe. Also, System-Erhalt und Machterhalt ist die oberste Maxime. Islamische Vorgaben können dem untergeordnet werden und diejenigen, die das dann militärisch durchsetzen, das sind eben jene Revolutionsgarden. Die sind sehr früh nach der Revolution geschaffen worden, um das Regime zu schützen, damit Widerstand sofort niedergeknüppelt werden kann. Das ist etwas, was quasi seit dem Tag eins der Islamischen Republik zu beobachten ist und was wir auch in den letzten Monaten so stark gesehen haben, dass alles, was sich an Widerstand und Protest in Iran formiert, sofort von diesen Revolutionsgarden niedergeschlagen wird. 

DOMRADIO.DE: Sie sagen, dass die Revolutionsgarden der Bevölkerung eigentlich ihre Religion, also den Islam, ausgetrieben haben. Dabei ist das Land ja tief im Islam verwurzelt. Wie erklärt sich dieser Spannungsbogen? 

Katajun Amirpur

"Dann kommen die Menschen natürlich relativ reflexhaft auf die Idee, wenn das Islam ist, dann will ich den Islam lieber nicht."

Amirpur: Ich glaube, die Bevölkerung war mal sehr, sehr religiös und der Islam war mal sehr, sehr stark verwurzelt. Aber man musste wohl eine Theokratie etablieren, um den Menschen den Islam auszutreiben. Wenn es dann von oben heißt: Die Stirnlocke, die unter dem Kopftuch hervorlugt, die ist unislamisch. Wenn ich mit meinem Freund im Auto Musik höre, ist das unislamisch. Wenn ich Händchen halte auf der Straße, ist das unislamisch. Wenn ich als Frau das Sorgerecht für mein Kind nicht bekommen kann, dann ist das allerdings islamisch. Und wenn ich als Frau das Land nicht verlassen kann ohne die Erlaubnis meines Mannes, dann ist das ein islamisches Gesetz. Nur eine kleine Aufzählung von vielen Dingen, die im Namen des Islam geschehen in Iran.

Frau mit blutender iranischer Flagge ins Gesicht / © Marius Becker (dpa)
Frau mit blutender iranischer Flagge ins Gesicht / © Marius Becker ( dpa )

Dann kommen die Menschen natürlich relativ reflexhaft auf die Idee, wenn das Islam ist, dann will ich den Islam lieber nicht. Und das ist eben geschehen in den letzten 44 Jahren im Iran, dass man dadurch die Menschen immer mehr vom Islam entfernt hat - eigentlich natürlich eher vom islamistischen System, also von dem System, das im Namen des Islams regiert. Aber natürlich kommt es dann dazu, dass Menschen das System in Eins setzen mit der Religion, in deren Namen dieses System agiert und regiert. So kam es eben nicht nur dazu, dass die Islamische Republik quasi der größte Treiber für Säkularisierung war. Sie war auch der größte Treiber für eine komplette Abwendung vom Islam. 

DOMRADIO.DE: Würden Sie denn sagen, der Aufstand gegen den Gottesstaat könnte jetzt eine Revolution werden, die erfolgreich auch gegen die Revolutionsgarden wird? 

Amirpur: Das ist gerade die große Frage, ob die Revolutionsgarden nicht versuchen, bis zur letzten Sekunde mit dem Rücken an der Wand zu kämpfen. Es kann durchaus sein, dass die Theokratie fällt - das Islamische an der Islamischen Republik - aber dass wir dann in eine Militärdiktatur abgleiten, in eine noch stärkere Militärdiktatur, aber dass man quasi die islamische Fassade bei dem Ganzen weglässt. Das ist ein mögliches Szenario. Aber das andere Szenario ist tatsächlich - da bin ich relativ hoffnungsvoll - dass der revolutionäre Prozess sich längerfristig durchsetzen wird. Wie lange, das ist sehr, sehr schwer zu sagen, weil es diese heftige Gegenwehr der Revolutionsgarden gibt, die militärisch so stark gerüstet sind. Aber dass letztlich diesem Modell die Zeit abgelaufen ist, weil sich die Bevölkerung so sehr abgewandt hat von einem islamistischen System im Iran, das sehe ich durchaus. 

Das Interview führte Hilde Regeniter.

Quelle:
DR