Frauenbewegung im Iran gibt nicht auf

Mehr Unterstützung aus dem Westen gefordert

Die Protestbewegung im Iran lebt, auch wenn staatlicher Terror sie vorerst aus den Schlagzeilen verdrängt hat. Frauen fordern Selbstbestimmung und wurden damit zur treibenden Kraft für Demokratie und Bürgerrechte.

Autor/in:
Christoph Schmidt
Eine Frau mit den Farben der iranischen Flagge im Gesicht / © Johnny Silvercloud (shutterstock)
Eine Frau mit den Farben der iranischen Flagge im Gesicht / © Johnny Silvercloud ( shutterstock )

Wie lange kann ein menschenfeindliches Regime, das sein Vertrauen bei einem Großteil der Bevölkerung verspielt hat, mit Terror und Propaganda die Macht behaupten? Jeder Blick in die Systemgeschichte zeigt: nicht ewig. Die Führung der Islamischen Republik Iran dürfte da keine Ausnahme sein, auch wenn die Proteste erst einmal abgeflaut sind.

"Der Staat hat mit seiner Gewalt Angst erzeugt, aber die Wut der Menschen bleibt", sagte die islamische Theologin Hamideh Mohagheghi am Montag der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). "Das brutale Vorgehen hat gezeigt, dass die Regierung massiv unter Druck steht. Fest im Sattel sitzt sie schon lange nicht mehr", so die an der Uni Paderborn lehrende Deutsch-Iranerin.

Hunderte Festnahmen

Frau mit blutender iranischer Flagge ins Gesicht / © Marius Becker (dpa)
Frau mit blutender iranischer Flagge ins Gesicht / © Marius Becker ( dpa )

Mehr als 500 Menschen wurden bei den monatelangen Protesten seit September getötet, fast 20.000 verhaftet, einige hingerichtet. Der Aufstand gegen die Herrschaft der Mullahs und ihres "Obersten Führers" Ali Chamenei erfasste beinahe das ganze Land. Neu war, dass die Bewegung von Frauen ausging und sich am Kopftuchzwang entzündete, nachdem die junge Mahsa Amini wegen Verstoß gegen das Hidschab-Gesetz von der Sittenpolizei festgenommen und am 16. September 2022 in Gewahrsam gestorben war. Erstmals standen Frauenrechte im Zentrum der Proteste gegen das Regime. Der Slogan "Frau, Leben, Freiheit!", dem sich bei den Kundgebungen unzählige Männer anschlossen, wurde zum Ruf nach Demokratie und Bürgerrechten insgesamt.

Als Lüge stufen Insider inzwischen die Ankündigung von iranischen Offiziellen ein, die Sittenpolizei werde abgeschafft. Nichts dergleichen sei geschehen; schon weil damit Tausende Günstlinge des Systems ihren Job verlören. Dennoch ist der Mut vieler Iranerinnen gewachsen, wie Hamideh Mohagheghi aus Gesprächen berichtet. "Im eher weltoffenen Norden Teherans sieht man inzwischen häufiger Frauen mit offenem Haar. Man wagt sich weiter vor; aber das ist immer mit Angst verbunden."

Theologische Debatte im Iran

Im armen und konservativen Süden der Hauptstadt, wo das Regime immer noch eine Massenbasis hat, biete sich allerdings ein anderes Bild und zeige die Unterschiede in der iranischen Gesellschaft. "Sehr viele Frauen glauben, dass sie im Jenseits bestraft werden, wenn sie das Kopftuch nicht tragen. Einen staatlichen Hidschab-Zwang wollen aber die wenigsten."

Protest gegen das Iran-Regime / © Paul Zinken (dpa)
Protest gegen das Iran-Regime / © Paul Zinken ( dpa )

Dass der Staat diese Säule der islamischen Revolution von 1979 jemals preisgibt, kann sich Mohagheghi nicht vorstellen. Immerhin hätten die Proteste aber die theologische Debatte im Iran angefacht. Liberalere Gelehrte, auch renommierte Ayatollahs wie der in Qom lehrende Ali Ayazi (Jg. 1954), argumentieren gegen erzwungene Glaubenspraktiken und stützen sich dabei auf religiöse Quellen. Doch umso lauter agitieren seit Monaten die Wortführer des schiitischen Staatsislam gegen weibliche Selbstbestimmung. Sie bedienen sich dazu aus dem Fundus frauenfeindlicher Prophetenüberlieferungen - deren Authentizität nicht selten umstritten ist.

Mysteriöse Giftanschläge auf Mädchengymnasien

Die misogyne Hetze stachelt offenbar Fanatiker an. Seit Wochen sorgen mysteriöse Giftanschläge auf Mädchengymnasien im ganzen Land für Aufsehen. Bisher klagten Hunderte Schülerinnen in rund 15 Städten über Beschwerden wie Übelkeit, Kopfschmerzen oder Atemnot; einige mussten ins Krankenhaus. Die Betroffenen berichten von merkwürdigen Gerüchen, die sie zuvor in den Gebäuden bemerkt hätten, womöglich giftige Gase.

Junge Frauen demonstrieren mit Plakaten mit der Aufschrift "Mahsa Amini" und "Woman Life Freedom" (dt. Frau, Leben, Freiheit) während einer Demonstration zur Unterstützung der iranischen Frauen, am 2. Oktober 2022 auf dem Place de la Republique in Paris, Frankreich.
 / © Corinne Simon (KNA)
Junge Frauen demonstrieren mit Plakaten mit der Aufschrift "Mahsa Amini" und "Woman Life Freedom" (dt. Frau, Leben, Freiheit) während einer Demonstration zur Unterstützung der iranischen Frauen, am 2. Oktober 2022 auf dem Place de la Republique in Paris, Frankreich. / © Corinne Simon ( KNA )

Präsident Ebrahim Raisi, selbst ein ultrakonservativer Hardliner, erklärte die Ermittlungen vergangene Woche zur Chefsache. Regimegegner halten aber für möglich, dass die Täter sogar aus staatsnahen Kreisen oder den Revolutionsgarden stammen und junge gebildete Frauen einschüchtern wollen.

Über einen besonders abstoßenden Vorgang berichtete unlängst das Portal "IranWire". Demnach sollen Polizisten in Teheran und Mahschar Schülerinnen gezwungen haben, Videos mit Vergewaltigungsszenen anzuschauen. Die Beamte hätten den Mädchen gedroht, dasselbe werde ihnen passieren, wenn sie an Protesten teilnehmen, so der Bericht unter Berufung auf zahlreiche Aussagen von Schülerinnen.

Fehlende Hilfe des Westens

Angesichts solcher Meldungen werfen Kritiker dem Westen fehlende Hilfe für die iranischen Frauen vor. Gerade jetzt, wo die Proteste aus den Schlagzeilen verschwunden seien, brauche die Bewegung mehr Aufmerksamkeit, appellierte der Schriftsteller Navid Kermani zur Eröffnung des Literaturfestival Lit.Cologne.

Die iranische Feministin Masih Alinejad forderte, Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) solle die Iranerinnen "in ihrem Kampf gegen das Gender-Apartheid-Regime entschiedener unterstützen". Die in New York lebende Oppositionelle kritisierte in der in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung", ausgerechnet Baerbock verkünde derzeit eine feministische Außenpolitik, wo sie so lange gebraucht hat, um die feministische Revolution in Iran überhaupt nur wahrzunehmen".

Internationaler Frauentag

Der Internationale Frauentag wird jedes Jahr am 8. März begangen. An diesem Tag setzen Frauen weltweit mit Demonstrationen und anderen Aktionen ein Zeichen für die gesellschaftliche Gleichstellung von Männern und Frauen. Dabei geht es um Chancengleichheit im Erwerbsleben, gleichen Lohn für gleiche Arbeit, den Kampf gegen Gewalt, Frauenhandel oder Genitalverstümmelung. 1977 erkannte die UN-Generalversammlung den 8. März offiziell als Internationalen Frauentag an.

Am 8. März ist Internationaler Frauentag / © Jens Wolf (dpa)
Am 8. März ist Internationaler Frauentag / © Jens Wolf ( dpa )
Quelle:
KNA