Ingrid Munro vergibt Kleinstkredite an die Ärmsten in Kenia

Vom Bettler zum Unternehmer

Vor zehn Jahren gründete die gebürtige Schwedin Ingrid Munro in Kenia die Mikrofinanz-Institution Jamii Bora. Die Organisation ist die größte ihrer Art in Kenia und richtet sich an die Ärmsten der Armen in den trostlosesten Gegenden des Landes. Etwa 4.000 Kredite werden täglich bewilligt.

Autor/in:
Anja Bengelstorff
 (DR)

Die Bettlerin konnte weder lesen noch schreiben. Dennoch hatte sie über Monate unter größter Anstrengung umgerechnet 3,50 Euro angespart. 'Mama Ingrid' hatte versprochen: Wenn du das schaffst, leihe ich dir das Doppelte. Mit den 10,50 Euro kaufte die Bettlerin einen Sack Kartoffeln. Einzeln verkaufte sie die Knollen im Soweto-Slum weiter, einer der ärmsten Gegenden der kenianischen Hauptstadt Nairobi; die großen Kartoffeln ein wenig teurer als die kleinen.

"Der Sieben-Euro-Kredit war eine Revolution im Leben dieser Frau", erinnert sich Ingrid Munro. "Zum ersten Mal konnte sie einen ganzen Sack zum Großhandelspreis kaufen. Sie konnte Geld verdienen." Plötzlich wollten viele andere auch Geld leihen. "Heute haben wir landesweit 235.000 Mitglieder, die 1,5 Millionen Kenianer mit unseren Aktivitäten ernähren. Manche Mitglieder waren vor zehn Jahren Bettler. Heute besitzen sie Unternehmen mit bis zu 60 Angestellten."

Neben Kleinkrediten bietet Jamii Bora auch Geschäftskredite und Hypotheken sowie Lebens-, Katastrophen- und Krankenversicherungen an. "Wenn Mitglieder ihre Kredite nicht tilgen konnten, lag es fast immer daran, dass ein Familienmitglied im Krankenhaus lag, dessen Behandlung bezahlt werden musste. Also führten wir eine Krankenversicherung ein. Für 15 Euro im Jahr sind ein Mitglied und vier Angehörige rundum versichert - einschließlich HIV und Aids."

"Ich habe gelernt, dass man Leute nicht aus der Armut befreien kann"
Mindestens 36 Mikrofinanz-Institutionen sind in Kenia aktiv. Sie schreiben meist Gruppen zwischen 15 und 40 Personen vor, die füreinander bürgen, und verleihen bis zum Zehnfachen dessen, was die Kreditnehmer besitzen. Im Unterschied dazu vergibt Jamii Bora Kleinstkredite ab sechs Euro, arbeitet in kleinen Gruppen von fünf Personen und verleiht höchstens das Doppelte dessen, was ein Mitglied zuvor angespart hat. "In der Regel kennen sich die Leute sehr gut. Zudem haben wir ausreichend Sicherheitsnetze wie etwa Sparkonten", erklärt Ingrid Munro. Von Anfang an besteht sie darauf, dass die Mitglieder eine Kultur des Sparens entwickeln. "Ich habe gelernt, dass man Leute nicht aus der Armut befreien kann. Wenn Jamii Bora ihnen wirklich helfen soll, müssen sie selbst dafür arbeiten."

Jane Ngoiri, 36, hat genau das getan. Aufgewachsen in Mathare, Afrikas vielleicht größtem Slum, konnte sie nur acht Jahre zur Schule gehen und musste sich später mangels Alternativen prostituieren. Mit Hilfe eines Mitglieds von Jamii Bora lernten sie und 94 weitere Prostituierte schneidern, frisieren oder Schmuck herzustellen. "Die billigste Nähmaschine kostete damals 38 Euro. Ich versprach mir selbst, genug für einen Kredit zu sparen, damit ich sie mir leisten kann. Ich habe ein ganzes Jahr gebraucht", erinnert sie sich 13 Jahre später. "Mit den ersten Kleidern habe ich neun Euro verdient. Ich war so glücklich!"

"Nichts ist unmöglich"
Heute zahlt die HIV-positive Frau ihren siebten Kredit ab, zusätzlich zu einem Hauskredit: Jamii Bora hat außerhalb Nairobis eine eigene Stadt geschaffen, die den Familien von 2.000 Mitgliedern ein Zuhause bieten wird, vollständig mit Schulen, Geschäftszentrum, kleinem Industriegebiet, Post und Krankenhaus. Jane Ngoiri ist schon eingezogen - und will zusätzlich zu ihrer Schneiderei einen Souvenirladen eröffnen. "Für die Tilgung meiner Hypothek zahle ich monatlich genauso viel wie vorher Miete für einen einzigen Raum im Slum", lacht sie und dreht stolz die Wasserhähne in ihrer eigenen Küche auf. Im Slum gibt es keine Wasserleitungen.

Inzwischen beschäftigt Jane Ngoiri mehrere Leute und kann ihre vier Kinder zur Schule schicken. "Jamii Bora hat mich von einem Niemand zu einem Jemand gemacht. Nichts ist unmöglich!"