Immer mehr Menschen wollen Tote ausgraben und umbetten lassen

Wenn die "letzte Ruhe" nicht für immer dauert

"Ruhe in Frieden": Gilt dieser Wunsch nur noch auf Zeit? Immer häufiger möchten Angehörige einen Verstorbenen nachträglich umbetten lassen. Das ist oft heikel - und Sehnsucht allein reicht vor Gericht nicht aus.

Autor/in:
Paula Konersmann
Eine Urne steht auf einer Bank neben schwarzen Handschuhen und schwarzer Schirmmütze eines Bestatters vor einer Urnenbeisetzung am 19. September 2019 in Köln / © Julia Steinbrecht (KNA)
Eine Urne steht auf einer Bank neben schwarzen Handschuhen und schwarzer Schirmmütze eines Bestatters vor einer Urnenbeisetzung am 19. September 2019 in Köln / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Lisbeth Geißen* ist nicht mehr gut zu Fuß. Die Arthrose im Knie erschwert ihren Alltag - auch den Gang ans Grab: Ihr verstorbener Ehemann Fritz liegt auf dem kommunalen Friedhof in Osnabrück, 25 Kilometer von ihrem Wohnort entfernt, in der allerletzten Reihe. 

Hätte sie doch geahnt, dass nun ein Doppel-Wahlgrab in Bad Rothenfelde frei wird. Dorthin, in ihre Nähe, soll der mit 89 Jahren verstorbene Ehemann nun kommen, wünscht sich Geißen. Beim Gesundheitsamt beantragt sie seine Umbettung: Anderthalb Jahre nach dem Tod soll Fritz gewissermaßen posthum umziehen. 

Grabeskirche Sankt Josef in Aachen am 18. Februar 2019. Durch den Mittelgang zwischen Urnenstelen fließt ein Fluss des Todes von einer Quelle zum Taufbecken. Darüber ist ein stilisiertes Schiff des Lebens aufgehängt. / © Julia Steinbrecht (KNA)
Grabeskirche Sankt Josef in Aachen am 18. Februar 2019. Durch den Mittelgang zwischen Urnenstelen fließt ein Fluss des Todes von einer Quelle zum Taufbecken. Darüber ist ein stilisiertes Schiff des Lebens aufgehängt. / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Fälle wie dieser kommen laut Fachleuten immer häufiger vor. Grundsätzlich ist es möglich, Urnen und sogar Särge ausgraben und anderswo wieder beerdigen zu lassen. Die juristischen Voraussetzungen dafür sind jedoch streng. 

Zu Recht, sagt Rechtsanwalt Torsten Barthel: "Die Totenruhe und Totenwürde stehen hierzulande sehr hoch. Daher müssen die Verwaltungsgerichte im Einzelfall über Umbettungen entscheiden." Die Würde des Menschen gilt laut Grundgesetz über den Tod hinaus; die Totenruhe soll dies schützen. 

"Reinen Tisch machen" - auch mit den Toten 

Der Verwaltungswissenschaftler bekommt monatlich etwa eine entsprechende Anfrage; deutlich mehr als früher, wie er betont. Bundesweite Zahlen zu Umbettungen gibt es nicht, doch Friedhofsverwaltungen bestätigen den Trend. 

Die Haltung der Menschen habe sich verändert, erklärt Barthel. Vor einigen Jahren bis Jahrzehnten hätten sich die meisten gewünscht, dass ihre Verstorbenen die letzte Ruhe finden und dass der dafür gewählte Ort unverändert bleibt, bis die sterblichen Überreste vergangen seien. 

"Heute wollen viele etwa beim Umzug in eine andere Stadt reinen Tisch machen und alles mitnehmen - auch die Toten." Eine Familienzusammenführung kann ihm zufolge unter Umständen als Grund für eine Umbettung anerkannt werden. 

Schlechte Beratung zählt nicht 

Auch der Umgang mit Tod und Trauer sei in stetigem Wandel. So wünschten sich viele Menschen eine anonyme Grabstätte, sagt der Jurist. Tatsächlich meinten sie damit allerdings meistens eine pflegeleichte Stätte, also etwa ein Baumgrab mit einer Namensplakette - keinen wirklich anonymen Platz, dessen genauen Standort niemand erfährt. 

Für Hinterbliebene kann es zur Belastung werden, wenn dieser Unterschied nicht beachtet wird - und ihnen ein Ort der Trauer und Erinnerung fehlt. 

Symbolbild Bestattung / © Kzenon (shutterstock)

Juristisch gesehen liege in solchen Fällen eine sogenannte Geschmacksänderung vor, erklärt Barthel. Und die reicht nicht, um eine Umbettung zu genehmigen: "Die Chance, zu entscheiden, habe ich im Bestattungsfall", so der Experte. 

Eine Trauersituation sei immer hart - wer also argumentiere, überfordert oder schlecht beraten gewesen zu sein, habe vor Gericht kaum Chancen. Er appelliert daheran Bestatter und Friedhofsverwalterinnen, "den Leuten diese anonymen Sachen auszureden". 

Berlin und Brandenburg strenger als Bayern 

Ein Standort, der Angehörigen nicht mehr gefällt, oder deren fortschreitendes Alter: Auch diese Begründungen für Umbettungswünsche werden in der Regel abgelehnt. Als "guter" oder "vernünftiger" Grund im juristischen Sinn gelten dagegen eine Missachtung vom Willen des Verstorbenen oder auch eine Bestattung in einer ungeeigneten Grabstätte. 

Beides ist derweil oft schwierig nachzuweisen. Und auchbei einer Genehmigung können Hindernisse auftreten - so ist womöglich gerade nach Bestattungen in Bio-Urnen nichts mehr übrig, das sich umbetten ließe. 

Oft liegt einer anonymen Bestattung große Einsamkeit zugrunde / © Beatrice Tomasetti (DR)
Oft liegt einer anonymen Bestattung große Einsamkeit zugrunde / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Laut Barthel braucht es sowohl vor als auch nach Ablauf der Mindestruhezeit eine Genehmigung für eine Umbettung. Die Ruhefristen betragen je nach örtlicher Friedhofssatzung meist zwischen zwölf und 25 Jahren. Nach ihrem Ablauf gilt eine Urne nur noch als "Grabbeigabe": 

Sie etwa im Fall eines Umzugs mitzunehmen, ist dann einfacher. Das ist nicht der einzige Unterschied zwischen den Regionen: Besonders streng sind die Regelungen in Berlin und Brandenburg; auf manchen kirchlichen Friedhöfen in Bayern werde dagegen "alles" genehmigt, sagt Barthel mit einem Augenzwinkern: "Das gilt vor allem auf dem Land, wo man sich kennt." 

Was in Filmen geht, ist im Leben verboten 

Öffentliche Gründe - etwa der Infektionsschutz oder die Auflösung eines Friedhofs - können eine Umbettung allerdings sogar erforderlich machen. Keinesfalls zulässig seit es dagegen, selbst zu "buddeln", wie es mitunter in Spielfilmen vorkommt. 

In der Realität könne eine Leichen-Ausbettung "sehr eklig und emotional erschütternd" sein, warnt Barthel, weswegen Angehörige zumeist nicht dabei sein dürften.Bei Sargbestattungen werde zudem immer das Gesundheitsamt zu Rate gezogen - es könne etwa anordnen, dass der Vorgang nicht im Sommer erfolgen dürfe oder schon früh am Morgen stattfinden müsse. 

Und Lisbeth Geißens Sehnsucht nach ihrem Fritz? Die Umbettung wurde abgelehnt. Ein "typischer Jammerfall", sagt Barthel: Die Gehbehinderung der Ehefrau habe schon bei Fritz' Beerdigung bestanden und sich seither nicht verändert; eine Entfernung von 25 Kilometern sei ebenso zumutbar wie das häufig beklagte "Fahren zur Rush-Hour"; dass Hinterbliebene älter würden, sei der normale Lauf der Dinge. 

Als Faustregel gelte: "Es muss unmöglich sein, die Grabstätte ohne eine Umbettung zu erreichen" - dann sei die Chance groß, dass eine Umbettung genehmigt werde.

Bestattungen in Deutschland

Es gibt zu den Bestattungsarten in Deutschland keine repräsentative Statistiken und Umfragen. Nach vorsichtigen Schätzungen des Bundesverbands Deutscher Bestatter liegt der Anteil von Feuerbestattungen bei etwa 58 Prozent im Jahr. Besonders nachgefragt sind Feuerbestattungen in Nord- und Ostdeutschland, aber auch in den eher katholisch geprägten Regionen nimmt der Trend zur Urne zu. Einzelne Bestatter in Norddeutschland berichten in ihrem Einzugsgebiet von einem Anteil der Feuerbestattung von über 80 Prozent. (DR/dpa)

Symbolbild: Schneebedeckter Grabstein auf einem Friedhof / © Adam J Hague (shutterstock)
Symbolbild: Schneebedeckter Grabstein auf einem Friedhof / © Adam J Hague ( shutterstock )
Quelle:
KNA