Im Missbrauchs-Prozess für dieses Jahr kein Urteil erwartet

Beginn einer Klagewelle gegen Bistümer?

Im zweiten Schadensersatzprozess eines Missbrauchsopfers gegen die katholische Kirche ist bis Jahresende mit keinem Urteil zu rechnen, so die Einschätzung des Landgerichts Traunstein am Dienstag nach dem ersten Verhandlungstag.

Autor/in:
Christoph Renzikowski
Demonstranten kirchlicher Initiativen in Traunstein, während im Landgericht Traunstein die Feststellungsklage eines von Missbrauch Betroffenen gegen das Erzbistum München und Freising verhandelt wird. / © Axel Effner (KNA)
Demonstranten kirchlicher Initiativen in Traunstein, während im Landgericht Traunstein die Feststellungsklage eines von Missbrauch Betroffenen gegen das Erzbistum München und Freising verhandelt wird. / © Axel Effner ( KNA )

Am 14. Juli werde das Gericht einen Beweisbeschluss verkünden. Danach werde es ein psychiatrisches Gutachten beauftragen, wie die stellvertretende Präsidentin des Landgerichts Traunstein mitteilte.

Zuvor war eine Güteverhandlung zwischen den Prozessparteien gescheitert. Ein 39-Jähriger Oberbayer verlangt vom Erzbistum München-Freising mindestens 300.000 Euro Schmerzensgeld. Der Anwalt des Erzbistums sagte, die Kirche sei grundsätzlich bereit, für den Schaden aufzukommen. Für eine Bewertung reiche der bisherige Vortrag des Klägers aber nicht aus. Auch das Gericht gab mangels einer solchen Grundlage keine Hinweise, welche Summe angemessen sein könnte.

In dem Beweisverfahren wird es zunächst darum gehen, welche Wendungen das Leben des Klägers nach dem Missbrauch nahm, den er als Messdiener als Jugendlicher Mitte der 1990er Jahre im Pfarrhaus von Garching an der Alz erlitt. In einem zweiten Schritt wird zu klären sein, inwiefern etwaige Brüche in seinem Leben wie etwa eine Alkohol- und Drogensucht ursächlich auf den Missbrauch zurückzuführen sind.

Der zweite Schadensersatzprozess gegen die katholische Kirche in Deutschland hat am Dienstag nach mehrmonatiger Verzögerung vor dem Landgericht Traunstein begonnen. 

Einen Haftungsanspruch gegen das Erzbistum München und Freising sehe sie grundsätzlich als gegeben an, sagte die Vorsitzende Richterin am Dienstagmittag in einer vorläufigen Rechtsauffassung zum Auftakt der Güteverhandlung.

Als Anstellungskörperschaft sei die Kirche verantwortlich zu machen für den Schaden aus der "unstreitigen Missbrauchshandlung" des Pfarrers im Sommer 1995 oder 1996. Insofern bestehe gegen sie auch ein Anspruch auf Schmerzensgeld und Schadensersatz.

Der Verhandlungsbeginn wurde von Demonstrationen begleitet. Die "Initiative Sauerteig" und die katholische Reformgruppe "Maria 2.0" stellten sich in vollem Umfang hinter die Forderungen des Klägers.

Klage wurde vom Verfahren abgetrennt

Der Kläger will für eine an ihm verübte Missbrauchstat seines damaligen Pfarrers 300.000 Euro Schmerzensgeld vom Erzbistum München-Freising sowie 50.000 Euro von den Erben des früheren Papstes Benedikt XVI. Diese Klage wurde vom Verfahren abgetrennt. Der Grund: Bisher ist unklar, ob jemand das Erbe des Verstorbenen antritt.

Eine weitere Klage gegen den früheren Münchner Erzbischof Friedrich Wetter (95) zog der Mann kurzfristig zurück. Der ebenfalls beklagte Täter blieb der Verhandlung trotz Ladung fern und ließ sich durch seinen Anwalt vertreten.

Im bundesweit ersten Fall dieser Art war vor einer Woche das Erzbistum Köln verurteilt worden. Es soll 300.000 Euro Schmerzensgeld an einen Missbrauchsbetroffenen für jahrelang erlittene vielfache Vergewaltigungen durch einen Priester zahlen. Die Entscheidung ist aber noch nicht rechtskräftig.

"Vergleich würde die Problematik wieder im Ungefähren belassen"

Die "Initiative Sauerteig" aus dem Tatort Garching an der Alz betonte: "Dieser Prozess ist für uns Gläubige und die katholische Kirche deshalb von größter Bedeutung, weil er die Chance bietet, zu identifizieren, welche Anordnungen und Vorgehensweisen innerhalb der Institution Kirche pädokriminellen Tätern Vorschub geleistet und Deckung geboten haben." Es müsse zu einem Urteil kommen, "denn ein Vergleich würde die Problematik wieder im Ungefähren belassen".

Die Initiative hat nach eigenen Angaben 25.000 Euro Spenden gesammelt, um die Prozesskosten des Klägers zu finanzieren.

Der Sprecher der Betroffeneninitiative "Eckiger Tisch", Matthias Katsch, sagte im Deutschlandfunk, die Prozesse könnten Signalwirkung für Hunderte weiterer Missbrauchsopfer haben und der Beginn einer Klagewelle gegen die Bistümer sein. Die Botschaft dieser Verfahren laute: "Ihr habt eine Chance auf Entschädigung." Betroffene, die nicht den schwierigen Weg einer Klage gehen wollten, rief er auf, zumindest die bisher von der Kirche gezahlten Anerkennungsleistungen in ihrer Höhe zu überprüfen.

Erzbistum München und Freising

Das Erzbistum München und Freising ist mit rund 1,61 Millionen Katholiken (Stand: Mai 2021) das größte unter den sieben bayerischen Bistümern und eine der bedeutendsten Diözesen in Deutschland. Sie erstreckt sich über eine Fläche von 12.000 Quadratkilometern vorwiegend auf Oberbayern und ging hervor aus dem Hochstift Freising, das der heilige Bonifatius 739 errichtete. Nach der Säkularisation 1821 wurde der Bischofssitz nach Münchenverlegt und die Erhebung zum Erzbistum verfügt.

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Quelle:
KNA