Holocaustgedenken in Frankreich

Bekenntnis zur Mitschuld

Es war ein Vorgeschmack auf Auschwitz: Mehr als 8.000 Juden wurden am 16. Juli 1942 in einem Pariser Stadion zusammengetrieben. Die Täter waren Franzosen. Doch mit seiner Verantwortung tat sich das Land lange schwer.

Autor/in:
Christoph Schmidt
Judenstern / © Elisabeth Schomaker (KNA)
Judenstern / © Elisabeth Schomaker ( KNA )

Jedes Jahr am 16. Juli, nur zwei Tage nach seinem stolzen Nationalfeiertag, stellt sich Frankreich einem düsteren Kapitel seiner Geschichte. Dann gedenkt die Grande Nation der 75.000 Juden, die während der deutschen Besatzung in die Todeslager deportiert wurden - und erinnert an die Schuld, die viele Franzosen damals als willige Helfer auf sich luden.

Am Sonntag jährte sich der Anlass des Datums zum 75. Mal. Am 16. Juli 1942 begann die große Razzia auf die Juden von Paris, bei der mehr als 13.000 jüdische Franzosen aus ihren Wohnungen heraus verhaftet wurden. Den Befehl dazu gaben die deutschen Besatzer, doch die Häscher waren französische Polizisten. Brennpunkt des damaligen Geschehens: die Radrennbahn Velodrome d'Hiver im 15. Arrondissement. Dort trieb man rund 8.000 Juden zusammen, mehr als die Hälfte davon Kinder.

Großes Leid

Fünf Tage lang mussten die Menschen bei brütender Hitze ausharren, ohne ausreichende Wasserversorgung und unter schrecklichen sanitären Bedingungen, ein Vorgeschmack auf das, was sie erwartete. Schließlich beschwerten sich sogar Anwohner bei den Behörden, weil sie wegen des Gestanks der Exkremente die Fenster nicht öffnen konnten. Am Ende stand der Abtransport der Menschen nach Auschwitz.

An der Kranzniederlegung vor dem heutigen Mahnmal mit Staatspräsident Emmanuel Macron nahm am Sonntag auch der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu teil. Es hat lange gedauert, bis Paris die französische Mitschuld am Holocaust eingestand. Dabei war sie stets offensichtlich: Abgesehen vom traditionellen Antisemitismus der französischen Rechten tat sich Vichy-Frankreich, der südfranzösische Vasallenstaat Hitlers, bald mit willfährigen Maßnahmen gegen die Juden hervor. Mit einem eigenen «Generalkommissariat für Judenfragen» wirkte das Vichy-Regime tatkräftig an der Entrechtung, Enteignung, Verhaftung und Deportation der Menschen mit. Französische Polizei und SS arbeiteten nicht selten Hand in Hand.

Politisches Taktieren

Durch seinen vorauseilenden Gehorsam hoffte der Vichy-Staat zumindest ein kleines Maß an Souveränität behalten zu können. Doch unter den Verantwortlichen waren auch etliche Überzeugungstäter, allen voran Ministerpräsident Pierre Laval und Polizeichef Rene Bousquet.

Nach dem Krieg wurde dieser Teil der Geschichte tabuisiert. Das Land strickte lieber an der Legende eines unbeugsamen Frankreich, das sich freiheitsliebend und vereint der deutschen Militärherrschaft entgegengestellt habe. Nicht einmal der Sozialist Francois Mitterand, der den Gedenktag 1993 einführte, sah eine Rechenschaftspflicht der Republik für die Verbrechen.

Bekenntnis erst nach Jahrzehnten

Erst sein Nachfolger, der Gaullist Jacques Chirac, gestand zwei Jahre später ein: "Ja, jeder weiß es, der kriminelle Wahnsinn der Besatzer wurde von Franzosen unterstützt, durch den französischen Staat." 1997 legten auch die französischen Bischöfe wegen des Schweigens der Kirche in der Vichy-Zeit ein Reuebekenntnis ab und baten um Vergebung.

Das Protestgeschrei namentlich des Front National war laut. Noch im vergangenen Wahlkampf erklärte dessen Chefin Marine Le Pen, Frankreich sei für die Razzia im Juli 1942 und die Geschehnisse im Velodrom d'Hiver "nicht verantwortlich". Dagegen betonte Macron am Sonntag, dass "nicht ein einziger Deutscher" an der Razzia beteiligt gewesen war. Franzosen hätten das Menschentreiben und damit deren Tod "organisiert".

Das wussten die Besatzer freilich zu schätzen: «Ich bestätige Ihnen sehr gerne, dass die französische Polizei bis jetzt eine Aufgabe erledigt hat, die großes Lob verdient», schrieb Karl Oberg, der Höhere SS- und Polizeiführer und Himmlers Mann in Paris, in einem Brief vom 23. Juli 1942. Zu diesem Zeitpunkt rollten die Transporte mit den Pariser Juden Richtung Auschwitz. Von den über 13.000 Deportierten kehrten nach dem Krieg weniger als 100 zurück. Das Velodrome d'Hiver, Symbol der Kollaboration Frankreichs mit Nazideutschland, wurde 1959 abgerissen.


Quelle:
KNA