Wie jüdische Jugendliche ihre Bar Mitzwa-Feier erleben

"Ein Sohn der Pflicht werden"

Für Juden ist die Bar Mitzwa mehr als eine religiöse Familienfeier, ähnlich wie für Christen die Firmung oder Konfirmation. Ein Erlebnisbericht aus der liberalen jüdischen Gemeinde in Bamberg.

Autor/in:
Rocco Thiede
Roy Atay (m.), seine Mutter Fiona Atay Sandyk (l.) und Gemeinderabbinerin Antje Yael Deusel / © Rocco Thiede (KNA)
Roy Atay (m.), seine Mutter Fiona Atay Sandyk (l.) und Gemeinderabbinerin Antje Yael Deusel / © Rocco Thiede ( KNA )

"Ich habe heute zum ersten Mal öffentlich aus der Thora gelesen", erklärt der 13-jährige Roy Atay aus Bamberg stolz. Anlass für diese Premiere des Achtklässlers war seine "Bar Mitzwa". Die Familie Atay gehört in Bamberg zur liberalen jüdischen Gemeinde. "Bar Mitzwa heißt 'Sohn des Gesetzes', und wenn es ein Mädchen ist, heißt es 'Tochter des Gesetzes' also Bat Mitzwa", erklärt Gemeinde-Rabbinerin Yael Antje Deusel. "Es ist äquivalent in etwa mit der Firmung im Katholischen beziehungsweise mit der evangelischen Konfirmation."

Rabbinerin Deusel, die in Bamberg als anerkannte Urologin in einer eigenen Praxis arbeitet, hat vor sechs Jahren das Abraham Geiger Kolleg in Berlin absolviert und wurde im November 2011 zur Rabbinerin ordiniert. Seit zwei Jahren leitet Deusel den Egalitären Minjan "mischkan ha tfila", die liberale Gemeinde Bambergs. Egalitär bedeutet, dass die Frauen auch im Gottesdienst und anderen religiösen Belangen gleichberechtigt sind.

Erste Bar Mitzwa der Gemeinde

Die Bar Mitzwa von Roy Atay war die erste Bar Mitzwa, die ihre noch junge Gemeinde vor wenigen Wochen feiern durfte. Im Gottesdienst sagte Roy: "Hier stehe ich aus freiem Willen, die Gebote auf mich zu nehmen, ein Sohn der Pflicht zu werden". Sein Vater, der eigens aus Israel angereist war, erwiderte daraufhin: "Nun bist du für dich selber verantwortlich. Aber natürlich werden wir dich weiter begleiten und sind stolz, dass wir das weiter tun dürfen", betonte Roys Vater.

Die große Feier soll bei Jungen in der Woche nach ihrem 13., bei Mädchen in der Woche nach ihrem 12. Geburtstag stattfinden. Deshalb wird das Fest - anders als bei der katholischen Erstkommunion - über das ganze Jahr verteilt und individuell gefeiert. Damit werden Heranwachsende religiös verantwortlich und religiös mündig. "Das klingt alles so harsch", meint Rabbinerin Deusel, "aber eigentlich bedeutet dies, dass dieser junge Mensch jetzt ein vollgültiges Mitglied unserer Gemeinde ist und wir ihn zur Thora aufrufen können", erklärt die  Rabbinerin. Jetzt kann er theoretisch auch verschiedene Ämter in der Gemeinde übernehmen.

Anders als in Israel

Timmie Atay ist 20 Jahre alt und hat gerade sein Abitur in England gemacht. Er ist der Bruder von Roy und hat seine Bar Mitzwa schon vor einigen Jahren in einem israelischen Dorf gefeiert, wo er, seine jüngere Schwester und auch Roy geboren wurden. "Die Hauptunterschiede sind natürlich erst einmal die Sprache, weil nicht alle hier in Deutschland Hebräisch können. Deswegen wurde auch sehr viel auf Deutsch gesagt und übersetzt", erklärt Timmie die Unterschiede einer Bar Mitzwa in Deutschland im Vergleich zu Israel. Denn dort ist die Thoralehre schon Bestandteil der Schulbildung, so dass allen Kindern von klein auf beigebracht wird, wie und was dort abläuft. "In Israel wird auch mehr ein Fest daraus gemacht, es gibt mehr Klatschen, Singen und mehr Tanzen", erklärt Timmie. Und die Bar Mitzwa sei "nicht was Seltenes, wie hier in Deutschland".

Ähnlich wie bei Christen die Firmung oder Konfirmation ist eine Bar Mitzwa eine religiöse Familienfeier, aus nah und fern kommen die Verwandten. "Die Bar Mitzwa von meinem Sohn Timmie in Israel war in einem eher orthodoxen Rahmen und traditioneller", sagt Fiona Atay-Sandyk die Mutter von Roy und Timmie. Hier, in der liberalen jüdischen Gemeinde, sei diese religiöse Feier etwas familiärer und auch etwas persönlicher. Fionas Vater baute nach dem Zweiten Weltkrieg die jüdische Gemeinde in Bamberg wieder mit auf und war viele Jahre dort Gemeindevorstand.

Glaube lässt in der Ferne nach

"Solange ich noch in Israel lebte, war ich relativ religiös. Hier hat es sich ein bisschen abgelebt. Unsere Familie ist eigentlich eher traditionell, also Feiertage und der Sabbat werden eingehalten. Aber wir gehen nicht jedes Mal in die Synagoge und nicht jeden Tag beten", gesteht Timmie Atay. In Bamberg unterstützte er seinen kleinen Bruder bei der Vorbereitung zu seiner Bar Mitzwa.

Die Bar Mitzwa ist für junge Juden ein Schritt in das Leben der Erwachsenen. Man werde danach "als vollständiges Mitglied der jüdischen Gemeinde anerkannt", erläutert Timmie, "mit allen Pflichten und Rechten". Bei der Bar Mitzwa leitet ein Jugendlicher zum ersten Mal den Gottesdienst in der Synagoge. Dazu braucht es nämlich keinen Rabbiner, sondern nur einen sogenannten Minjan, also mindestens zehn Männer oder Frauen, die "Bar" oder "Bat Mitzwa" sind.

Vobereitung schon von klein an

Fiona Atay-Sandyk hat wie alle jüdischen Mütter ihre Kinder auf die Bar Mitzwa mit vorbereitet. "Das fängt schon von klein auf an, dass man regelmäßig zu den Festen die Kinder unterrichtet und ihnen erklärt, warum diese jüdischen Feste stattfinden". Bar Mitzwa oder Bat Mitzwa seien die ersten größeren Schritte in das Judentum. "Und es ist für die ganze Familie ein großes Ereignis, das Kind oder den Jugendlichen in dieser Phase der Aufnahme in die Gemeinde zu begleiten."

Wenn Roy zukünftig etwas macht, dass gegen die jüdische Religion verstößt, obwohl es ihm die Gesetze des Judentums verbieten, "muss er dafür selber mit seinem Gewissen zurechtkommen und für seine Handlungen geradestehen", erklärt Atay-Sandyk. "Nach der jüdischen Religion war ich bisher für das Einhalten der Rituale der jüdischen Tradition und der Gebote für meinen Sohn zuständig. Aber in dem Moment, wo er das erste Mal von der Thora liest, ist er für seine eigenen Handlungen nun selbst verantwortlich", erklärt Roys Mutter.

Jede Bar Mitzwa individuell

Auch die Rabbinerin Yael Deusel begleitete intensiv die Vorbereitungen auf diesen wichtigen religiösen Moment. Jeder Jugendliche habe eine individuelle Vorbereitung. "So wie in jeder anderen Religion auch ist für diesen Meilenstein im Leben eines Mensch Vorbereitungsunterricht wichtig", erläutert die Rabbinerin.
"Nicht nur die Frage, was mache ich jetzt genau in diesem Gottesdienst zu meiner Bar Mitzwa, sondern auch was bedeutet das für den Einzelnen, und was bedeutet es für die jüdische Gemeinschaft?" Das heiße aber nicht, dass alle 613 Ge- und Verbote auswendig gelernt werden müssen, und es gebe in ihrer Gemeinde auch keine Prüfungen. "Der Gottesdienst ist Prüfung genug, da sitzt die ganze Gemeinde - es heißt ja auch: vor meiner Familie, vor meiner Gemeinde und vor der ganzen Gemeinde Israel, also allen Juden der Welt, stehe ich hier und erkläre mich bereit diese Pflicht auf mich zu nehmen", schildert Rabbinerin Deusel.

Nach seiner Bar Mitzwa ist Roy am Abend mit seinen Freunden und Verwandten in ein feines Restaurant mit koscheren Gerichten im historischen Zentrum Bambergs essen gegangen, um dort gebührend zu feiern. Sein Resümee klingt eindeutig: "Ich fühle mich echt erleichtert, alles gut heute in der Synagoge geschafft zu haben und nun in meiner Religion als Erwachsener zu gelten."


Quelle:
KNA