Hölle mit Himmel

Sommer mit Jerzy 4

Jerzys Krebserkrankungneigt sich dem Ende zu. Heute ist er gefallen. Es geht nicht mehr alleine. Als ich ihn anrufe, sagt er: "Bin im Korridor. Haben mich hier abgestellt."

 (DR)

Eilig fahre ich vom Niederrhein in eine Kölner Notaufnahme. Finde Jerzy. Bleich und wächsern liegt er still. Ich bringe ihm Wasser, er trinkt, als gäbe es kein Morgen. Sein Sohn hat sich von der Arbeit frei gemacht. Zusammen begleiten wir ihn er auf die Station.

Nur die Unfallchirurgie hat noch ein Männerbett frei. Im Flur, fast direkt vor der offenen Türe, steht ein überdimensionaler Kinderstuhl. Darin angeschnallt eine alte Dame. Nur mit Leibchen und Windel bekleidet, sitzt sie da und schreit sich die Seele aus dem Hals: "Hilfe, Hilfe, warum hilft mir denn keiner. Mama, Mama!?" Es ist zum Steinerweichen. Die Schwestern tun, was sie können. Machen auf ihren Wegen durch den engen Flur immer wieder halt bei der alten Dame, streicheln ihren Unterarm, versuchen, sie zu beruhigen. Jerzy ist eigentlich Patient in der Uniklinik – aber da ist kein Bett frei. So muss er sich dem Lärm und der Anstrengung fügen. Ich verlasse ihn mit einem Stein im Bauch. Niemand hier kann etwas dafür, alle geben sich größte Mühe.

Und doch ist  mir, als ließe ich ihn in einem der Höllenringe von Dante zurück. Was mir entsetzlich schwer fällt. Weil ich keinen Menschen kenne, der schon so viel Hölle aushalten musste  wie Jerzy. Der als Kind  zwei Ghettos und drei Konzentrationslagern war und seine ganze Familie im Holocaust verlor.

Als ich am nächsten Tag mit Jerzy telefoniere, ist der schon wieder unterwegs. Gute Geister haben es möglich gemacht: er wird gerade auf die Palliativstation der Uniklinik gebracht. Als ich dort ankomme, kann ich mit staunen gar nicht mehr aufhören. Mir ist, als beträte ich eine andere Welt, so schön, so friedlich ist es hier. Alle Zimmer öffnen sich zum Garten. Die Patienten haben Einzelzimmer und die Mitarbeiter genug Zeit für eine sehr liebevolle, sehr individuelle Pflege. Jerzy entspannt sich unmittelbar. Und mit den Bildern von gestern im Kopf ist mir, als wäre Jerzy vom Vorhof der Hölle mitten im Himmel gelandet. Wie wunderbar.

Und wie wunderbar, dass es so viele Menschen gibt, die ihre Zeit und ihr Geld der Hospizbewegung widmen. Nur deswegen gibt es einen solchen Ort, nur deswegen kann der sein wie er ist.