Höffner-Gesellschaft gedenkt 35. Todestag ihres Namensgebers

Große Verdienste und Schattenseiten

Joseph Höffner ist vor 35 Jahren gestorben. Nicht nur für die christliche Soziallehre hat er viel bewegt, Israel hat ihn auch als "Gerechten unter den Völkern" geehrt. Trotzdem steht seine Person heute unter einem kritischeren Blick.

Joseph Kardinal Höffner / © Ernst Herb (KNA)
Joseph Kardinal Höffner / © Ernst Herb ( KNA )

DOMRADIO.DE: Was zeichnete Josef Kardinal Höffner in besonderer Weise aus?

Prof. Dr. Dr. Elmar Nass (privat)
Prof. Dr. Dr. Elmar Nass / ( privat )

Prof. Dr. Dr. Elmar Nass (Stellvertretender Vorsitzender der Joseph-Höffner Gesellschaft und Inhaber des Lehrstuhls für Christliche Sozialwissenschaften und gesellschaftlichen Dialog an der Kölner Hochschule für Katholische Theologie): Zunächst einmal würde ich auf die wissenschaftlichen Verdienste von Kardinal Höffner schauen. Vier Doktortitel, das ist schon ziemlich einmalig. Und auch auf seine großen Schriften, nicht zuletzt sein Buch "Christliche Gesellschaftslehre", das immerhin in elf Sprachen übersetzt worden ist, herausgegeben von Lothar Roos. Ich glaube, da ist nur noch die Bibel besser, und zwar in der Übersetzung. Vor wenigen Jahren sind die Gesammelten Schriften herausgegeben worden, in sieben dicken Bänden von Professor Ursula Nothelle-Wildfeuer und Professor Jörg Althammer. Daran sieht man, was für ein immenses wissenschaftliches Erbe er hinterlassen hat: fundiert aus dem Glauben heraus auf gesellschaftliche Fragen hin zu schauen.

Das wissenschaftliche ist also das eine. Zum anderen ist er Priester, Bischof, Mensch und Seelsorger gewesen und hat auch da ganz große Verdienste, die manchmal ein bisschen zu kurz kommen oder auch vielleicht nicht so bekannt sind, weil er eher ein bescheidener Typ war. Einer, der nicht so großes Aufhebens um sich gemacht hat, trotz seiner großen Leistungen. So hat er etwa im Dritten Reich, in der Zeit, als er Kaplan war und später auch als Pfarrer, ein jüdisches Mädchen geschützt, später auch eine jüdische Frau - und ihnen das Leben gerettet. Dafür ist er posthum 2003 zum "Gerechten unter den Völkern" in Yad Vashem erklärt worden. Eine Ehre, die nur wenige Deutsche verliehen bekommen haben und von der nur wenige wissen.

Aber auch das zeichnet ihn aus, seine menschliche Art. Als als er nach Köln kam, lebte sein Vorgänger noch. Der sehr geschätzte, aber schon kranke und erblindete Kardinal Frings. Joseph Höffner hat darauf verzichtet, ins Erzbischöfliche Palais einzuziehen. Er hat den alten Kardinal, seinen Vorgänger, noch dort wohnen lassen. Das war auch nicht selbstverständlich. Er ist ein bescheidener Mensch gewesen. Kinder haben ihm Briefe geschrieben, als er im Sterbebett lag. Das zeigt, was er trotz seiner ihm oft nachgesagten Westerwälder Trockenheit doch die Herzen der Menschen gewonnen hat, weil er ein glaubwürdiger und so bescheidener Mann ist und trotzdem ein so wissender Mann.

Joseph Kardinal Höffner hat Mutter Teresa im Sterbehaus in Kalkutta auf seiner Asienreise im Januar 1978 besucht (KNA)
Joseph Kardinal Höffner hat Mutter Teresa im Sterbehaus in Kalkutta auf seiner Asienreise im Januar 1978 besucht / ( KNA )

DOMRADIO.DE: Sie erwähnten gerade die Christliche Soziallehre. Welche Rolle spielte die für Höffner?

Nass: Es gibt natürlich noch andere, einschlägige Werke dazu. Aber Höffner hat sich auch darum, um die Profilierung, sehr verdient gemacht. Er ist da neben Anton Rauscher oder Oswald von Nell-Breuning hier im deutschsprachigen Raum sicher einer der wesentlichen Investoren dieser Disziplin. Die christliche Sozialethik zeichnet zunächast die Sozialenzykliken als Fundament aus. Die meisten Enzykliken der Päpste sind Sozialenzykliken, in denen sich die Päpste auf der Grundlage des Glaubens positionieren und Richtlinien für Fragen der jeweiligen Zeit geben. So wie sich Papst Franziskus in seinen Enzykliken etwa zur Umwelt oder Johannes Paul II. zu Fragen der Arbeit, der Wirtschaftsordnung oder der Globalisierung positioniert haben.

Im Zentrum der christlichen Sozialethik steht natürlich das Glaubensfundament, das Bekenntnis zu Jesus Christus und die daraus abgeleitete Verantwortung der Menschen, die Gesellschaft mitzugestalten, Theologie als Gesellschaftswissenschaft zu profilieren und sprachfähig zu sein für unsere Zeit und mit Wirtschaftswissenschaft, mit Rechtswissenschaft, mit Medizin und auch mit anderen Sozialwissenschaften ins Gespräch zu kommen. Das macht christliche Gesellschaftswissenschaften aus, aus theologischem Fundament zu argumentieren, aber nicht im Elfenbeinturm zu verschwinden, sondern auch die Sprachspiele dieser wichtigen Gesellschaftsdisziplinen zu kennen, die aktuelle Dilemma-Situation zu erkennen und darüber auch mit Fachdisziplinen, mit Politikern, Wirtschaftsvertretern und Playern aus Unternehmern und Gewerkschaftern kompetent ins Gespräch zu kommen.

Elmar Nass

"Obwohl Höffner ja schon 1987 gestorben ist, haben seine Werke bis heute Relevanz."

DOMRADIO.DE: Bei aktuellen Themen wie Corona oder der Energiekrise kann uns die christliche Soziallehre weiterhelfen?

Nass: Es ist Aufgabe der christlichen Gesellschaftslehre, gewisse Leitplanken anzugeben. Das hat Höffner übrigens auch selber gesagt. Es ist nicht so, dass ich mir jetzt die "Christliche Gesellschaftslehre", das Buch von Höffner, hier aus dem Regal ziehe und darin die Antworten auf alle Detailfragen unserer Zeit finde. Aber die Christliche Gesellschaftslehre bietet Prinzipien wie Solidarität, Subsidiarität, Personalität an, begründet in der Menschenwürde oder in Gerechtigkeitsvorstellungen. Sie bietet also einen festen Kompass an, den wir dann auf konkrete Fragen unserer Zeit anwenden können.

Obwohl Höffner ja schon 1987 gestorben ist, haben seine Werke bis heute Relevanz. Nicht weil er auch schon etwas zu Corona oder zu Transhumanismus gesagt hätte, aber aufgrund dieses Instrumentariums, das er uns mit an die Hand gegeben hat.

DOMRADIO.DE: Joseph Höffner hatte auch Einfluss auf die Politik. Das ist heute als Bischof schon ziemlich undenkbar. Sind es heute eher die Professoren der Theologie oder die katholischen Laien in der Politik, die diese Aufgabe übernehmen?

Kardinal Joseph Höffner (l.), Erzbischof von Köln, während seines Antrittsbesuches bei Bundespräsident Heinrich Lübke (r.) am 23. Mai 1969 in Bonn (KNA)
Kardinal Joseph Höffner (l.), Erzbischof von Köln, während seines Antrittsbesuches bei Bundespräsident Heinrich Lübke (r.) am 23. Mai 1969 in Bonn / ( KNA )

Nass: Im Grunde sollten es alle machen. Es gibt verschiedene Säulen. Zum einen hat natürlich die Soziallehre der Kirche Einfluss, das heißt die päpstlichen Enzykliken, die auch von Wissenschaftlern rezipiert werden. Und nicht zu vergessen die Verbände wie Kolping, kfd, BKU und andere. Um in die Politik hineinzuwirken, sind eben auch die Verbände und darüber hinaus aber auch die Diözesen wichtig. Und die Bischöfe haben selbstverständlich auch die Aufgabe, Gesellschaft mitzugestalten. Evangelisierung ist ein großes Schlagwort, dem sich alle Christen verantwortlich fühlen, auch die Bischöfe, aber auch die Professoren. Und ich würde es mir wünschen, dass es ein Miteinander der verschiedenen Player, der Verbände, der Verantwortlichen in den Gemeinden, der christlichen Unternehmer, der christlichen Arbeitnehmer, aller und der Bischöfe ist. Dass man gemeinsam auch in der Politik Verantwortung übernimmt. Ich berate zum Beispiel die CDU bei ihrem Grundsatzprogramm. Nicht als Parteisoldat, sondern weil ich versuche, die christlichen Werte dadurch in die Politik hineinzubringen.

DOMRADIO.DE: Im der Kölner Missbrauchsstudie aus dem vergangenen Jahr wurde bekannt, dass auch Josef Kardinal Höffner Missbrauchsfälle verschleiert hat. Wie geht die Joseph-Höffner-Gesellschaft vor diesem Hintergrund mit dem Namensgeber um?

Nass: Das ist natürlich bedauerlich. Aber diesem Faktum stellen wir uns als Joseph-Höffner-Gesellschaft. Das sind Fehler, die Höffner gemacht hat. Er hat am Ende seines Lebens um Vergebung gebeten für all seine Fehler in seinem Leben und wir sind zuversichtlich, dass Gott ihm diese Fehler auch verzeihen wird. Auch wenn natürlich dadurch Menschen konkretes Leid erfahren haben, keine Frage. Die Joseph-Höffner-Gesellschaft hat dazu auch eine Stellungnahme herausgegeben, in der betont wird, dass wir uns genau diesen Schattenseiten von Joseph Höffner ganz bewusst stellen. Wir nehmen die zur Kenntnis, wir sehen das als einen Makel in der Person. Aber wir sehen auf der anderen Seite, dass dieser Makel nicht dazu führen darf, das Gesamtwerk, das Lebenswerk von Joseph Höffner in Gänze zur Seite zu legen. Dazu hat er auch viel zu viele positive Nachwirkungen hinterlassen. Aristoteles war ein Vertreter der Sklavengesellschaft, trotzdem ein großer Philosoph. Immanuel Kant war ein Rassist und trotzdem ein großer Philosoph. Auch diese Leute haben Fehler in ihrer Zeit und in ihrer Philosophie. Und die Joseph-Höffner-Gesellschaft versucht, die Schattenseiten Höffners zu sehen aber auf der anderen Seite auch die großen Verdienste und diese in die Welt zu bringen. Christliche Werte für die Gesellschaft, Orientierung gut begründet, so dass es Menschen verstehen. Das brauchen wir. Und deswegen bleiben wir dem Namen Joseph Höffner auch treu.

Das Interview führte Oliver Kelch.

Joseph-Höffner-Gesellschaft

Die Joseph-Höffner-Gesellschaft weiß sich dem geistigen und geistlichen Erbe des großen Gelehrten und Erzbischofs von Köln, Joseph Kardinal Höffner verpflichtet. Sie will weitertragen und aktualisieren, was Joseph Kardinal Höffner begonnen hat. Und sie will ihm auch heute eine Stimme geben – in einer Gesellschaft, die dringend auf die Klarheit und die Wahrheit angewiesen ist, die Joseph Höffner so verständlich wie präzise einzubringen verstand.

Joseph Kardinal Höffner, Erzbischof von Köln / © Ernst Herb (KNA)
Joseph Kardinal Höffner, Erzbischof von Köln / © Ernst Herb ( KNA )
Quelle:
DR
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