Historikerin Laudage über das Phänomen der Gegenpäpste

"Verlierer der Kirchengeschichte"

Die Kölner Historikerin Christiane Laudage hat dem Phänomen der Gegenpäpste die erste Gesamtdarstellung in deutscher Sprache gewidmet; sie kommt dieser Tage in den Buchhandel. Im Interview spricht Laudage über Hasardeure, Männer als Fußschemel und über die Möglichkeit eines "anderen Papsttums".

 (DR)

KNA: Frau Laudage, was sind Gegenpäpste: Verlierer? Illoyale Schufte? Oder gar die besseren Päpste?

Laudage: Gegenpäpste sind eindeutig die Verlierer der Kirchengeschichte. Unter ihnen gibt es die unterschiedlichsten

Persönlichkeiten: Solche, die einen legitimen Anspruch nicht durchsetzen konnten, und Hasardeure, die vor allem schrecklich gerne Papst werden wollten.



KNA: Welcher Gegenpapst steht Ihnen besonders nahe?

Laudage: Vor allen anderen weckt Benedikt X. mein Mitleid. Er wurde 1058 handstreichartig vom römischen Adel auf den Schild gehoben, gegen die herrschende Reformpartei um den späteren Papst Gregor VII. und wohl auch gegen seinen Willen. Zwei Jahre später, als seine Burg außerhalb Roms belagert wurde, ist Benedikt X. spektakulär abgetreten. Er stieg auf die Zinnen und rief sinngemäß: "Ihr habt mich zum Papst gemacht. Nun sorgt wenigstens dafür, dass ich heil hier wieder rauskomme." Immerhin: Das hat er geschafft - wenn man Hausarrest bei der eigenen Mutter so bezeichnen kann.



KNA: Und welcher ist Ihnen besonders unsympathisch?

Laudage: Die Gegenpäpste lösen mehr Mitleid aus als Antipathie. Sie selbst wurden ja in einem Maße gedemütigt, das heute kaum noch vorstellbar ist: mit Schandprozessionen bisweilen oder Verstümmelungen.



KNA: Schon der Begriff "Gegenpapst" macht hellhörig und weckt kirchenkritische Affekte. Sind Gegenpäpste auch programmatische Gegenentwürfe?

Laudage: Gegenpäpste eignen sich überhaupt nicht als Projektionsfläche für ein "anderes Papsttum". Solange sie in ihrem Anspruch auf das Amt mit anderen konkurrierten, haben sie selbst alles dargestellt, was das Papsttum inhaltlich ausmacht - allein schon um ihre Legitimität zu untermauern. Eine Agenda wie die heutiger Kirchenreformer wäre ihnen niemals auch nur in den Sinn gekommen. Man könnte sogar sagen: Die meisten von ihnen waren päpstlicher als der Papst - oder konservativer, was ihr Amtsverständnis angeht. Und sie waren auch keine schlechten Menschen, die den guten Päpsten das Leben schwer machten. Solche Kategorien passen einfach nicht.



KNA: Warum weiß man so wenig über die Person von Gegenpäpsten?

Laudage: Die Geschichte wird von Siegern geschrieben. Für die Päpste stellten ihre Gegenpäpste einen hässlichen Schluckauf dar: Sie wollten vergessen machen und ausradieren, dass es da mal einen Kontrahenten gegeben hat. Man spricht von einer "damnatio memoriae", also Lateinisch für "Verdammung des Andenkens". Es wurde, wo möglich, alles offiziell ausgelöscht, was das Antlitz der Kirche - und das eigene - beschmutzen konnte.



KNA: Nennen Sie ein Beispiel.

Laudage: Von spektakulärer Rachsucht war Innozenz II. (1130-1143). Er ging so weit, die Titelkirche seines Rivalen Anaklet II.

(Gegenpapst 1130-1138) niederreißen und sich in dem Neubau als Stifterfigur verewigen zu lassen. Beim Zweiten Laterankonzil 1139 riss er allen Kardinälen, die einst Anaklet anhingen, das Pallium herunter und schickte sie in die Wüste. Es gibt auch Darstellungen, auf denen der Gegenpapst dem Papst als Fußschemel diente - die höchste Demütigung für einen ambitionierten Kirchenmann.



KNA: Viele Päpste des 20. Jahrhunderts haben - aus verschiedenen Gründen - über die Möglichkeit eines Amtsverzichts nachgedacht. Ist es auch das mittelalterliche Phänomen der Gegenpäpste, das heute möglicherweise einen greisen Papst von einem Rücktritt abhält? Dass dann zwei Päpste mit womöglich verschiedenen Agenden und Anhängern existieren?

Laudage: Nein. Ein Papst stirbt im Amt, das ist heute wie damals der Anspruch. Und das haben auch die Gegenpäpste so praktiziert, solange sie an ihrem Anspruch auf Legitimität festhielten. Die Alternative war nur, dem anderen zu Füßen zu liegen und sich zu unterwerfen.



KNA: Es gibt ultrakonservative Splittergruppen namens Sedisvakantisten, die den Papstthron seit dem Tod Pius XII. 1958 für verwaist halten, weil die Nachfolger durch vermeintliche Liberalität nicht päpstlich agiert hätten. Sehen Sie im 21. Jahrhundert noch ernsthaftes Potenzial oder Ambitionen für ein neues Gegenpapsttum?

Laudage: Gibt man den Begriff Gegenpapst in eine Suchmaschine im Internet ein, trifft man auf reichlich merkwürdige Figuren, die die Schulweisheit sich nicht träumen lässt. Sie behaupten, sie seien die legitimen Nachfolger Pius XII. Aber die müssen von der Kirchenleitung weder wahr- noch ernstgenommen werden. Der einzige populäre Kandidat wäre vielleicht der "Gegenpapst aus Sursee", Hans Küng.



Das Interview führte Alexander Brüggemann.



Hinweis: Laudage, Christiane: Kampf um den Stuhl Petri. Die Geschichte der Gegenpäpste. Verlag Herder, Freiburg 2012, 260 S.,

19,99 Euro (ab 8. August). Für Herbst ist ein Aufsatzband mit Vorträgen einer wissenschaftlichen Tagung angekündigt: Harald Müller / Brigitte Hotz (Hrsg.): Gegenpäpste - Ein unerwünschtes mittelalterliches Phänomen, Böhlau Verlag, Köln 2012, 464 S., 69,90 Euro.