Historiker Rödder wirbt für Rückbesinnung aufs Christliche

"CDU ist in eine Identitätskrise gekommen"

Die herbe Wahlniederlage der Union bei der Bundestagswahl hat in der CDU Spuren hinterlassen. Die Partei will sich neu aufstellen und erforscht dazu die christliche Identität. Der Historiker Rödder analysiert den Zustand seiner Partei.

Friedrich Merz (l), künftiger CDU-Bundesvorsitzender, nimmt die Gratulation von seinem Vorgänger Armin Laschet beim Bundesparteitag der CDU im Konrad-Adenauer-Haus entgegen / © Michael Kappeler (dpa)
Friedrich Merz (l), künftiger CDU-Bundesvorsitzender, nimmt die Gratulation von seinem Vorgänger Armin Laschet beim Bundesparteitag der CDU im Konrad-Adenauer-Haus entgegen / © Michael Kappeler ( dpa )

DOMRADIO.DE: Könnte es am Ende sein, dass die Fachkommission empfehlen wird, das "C" für christlich aus dem Parteinamen ganz verschwinden zu lassen? Oder sollen solche radikalen Vorschläge gar nicht erst auf den Tisch?

Prof. Andreas Rödder, Historiker an der Uni Mainz / © Anne-Beatrice Clasmann (dpa)
Prof. Andreas Rödder, Historiker an der Uni Mainz / © Anne-Beatrice Clasmann ( dpa )

Prof. Dr. Andreas Rödder (Historiker an der Universität Mainz und Leiter der Fachkommission "Wertefundament und Grundlagen der CDU"): Jetzt würde ich mal den Ergebnissen nicht vorgreifen. Aber wenn ich die Debatte der letzten Tage erlebe, dann kann ich es mir nicht vorstellen, dass die Fachkommission das empfehlen würde.

Interessant ist ja gewesen, dass hier eine Diskussion ganz schnell aufgebrandet ist, in der vielleicht auch manches Missverständliche geäußert worden ist, aber in der die Union doch in einer Lebendigkeit über ihr Selbstverständnis diskutiert hat, wie das in dieser Partei lange nicht mehr der Fall gewesen ist. Die Äußerungen waren ja sehr, sehr dezidiert zugunsten des "C".

Ich hatte ja auch nicht nicht vorgeschlagen, das "C" abzuschaffen, sondern darüber nachzudenken. Aber das Entscheidende ist, dass man weiß, was man damit meint und dass man es mit Leben füllt. Insofern habe ich gerade die Debatte der letzten Tage als Chance und als Auftrag verstanden, dieses "C" neu unter veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen mit Leben zu füllen.

DOMRADIO.DE: Tatsächlich hat sich die Gesellschaft seit Gründung der CDU stark gewandelt, gerade auch was das Verhältnis zur Religion angeht. Viele Menschen stehen den Kirchen, stehen der Religion allgemein heute viel, viel distanzierter gegenüber als früher. Muss eine Volkspartei da mit der Zeit gehen?

Rödder: Ja, natürlich muss eine Volkspartei mit der Zeit gehen. Wissen Sie, es ist ja manchmal die Rede davon, die Union sei der letzte Dinosaurier der christdemokratischen Parteien in Europa. Ich finde das immer eine etwas zweifelhafte Zuschreibung, denn wir alle wissen, was ja urgeschichtlich mit den Dinosauriern passiert ist. Es ist keine sehr zukunftsweisende Strategie, einfach auf die nächsten Meteoriteneinschläge zu warten, sondern man muss in der Tat immer wieder die Frage stellen: Wie zeitgemäß sind unsere Grundlagen noch und wo müssen wir sie modernisieren?

Und in diesem Sinne war das "C" 1945 ja etwas, was enorm inklusiv war. Es brachte Protestanten und Katholiken zusammen, die politisch und gesellschaftlich vorher herzlich wenig in Deutschland miteinander zu tun hatten. Aber gilt das auch noch? Deswegen hieß diese Partei auch Union. Aber gilt das auch noch in einer Gesellschaft, in der weniger als die Hälfte der Menschen einer christlichen Konfession angehören?

Ich glaube, dass man das "C" sehr wohl so füllen kann. Aber man muss es tun und man muss es so tun, dass es überzeugend wird. Da reicht es eben nicht, an die alten Überzeugungen einfach nur stur festzuhalten, sondern man muss sie neu begründen. Dann wird eine solche Partei wirklich lebendig und zukunftsfähig.

DOMRADIO.DE: Wie könnte das neue Füllen des "C" s denn aussehen?

CDU setzt Kommission für neues Grundsatzprogramm ein

Die CDU hat nach der Neuwahl der Parteiführung eine Kommission eingesetzt, die ein neues Grundsatzprogramm erarbeiten soll. Den Vorsitz übernimmt Bundesparteivize Carsten Linnemann, wie der CDU-Vorstand am Montag beschloss. Stellvertretende Vorsitzende sollen die Bundestagsabgeordnete Serap Güler aus Nordrhein-Westfalen und der Thüringer CDU-Fraktionschef Mario Voigt sein. Die Kommission soll bis zur Europawahl im Frühjahr 2024 die inhaltlichen Grundlagen der CDU-Politik für die Zukunft beschreiben, wie die Partei mitteilte.

CDU-Logo / © Hendrik Schmidt (dpa)
CDU-Logo / © Hendrik Schmidt ( dpa )

Rödder: Neu füllen kann vor allen Dingen heißen, dass man sich verlebendigt und klar macht, was es eigentlich bedeutet. Das Ganze ist ja irgendwie zu einer ritualisierten Beschwörungsformel geworden. Wenn Sie auf einem Parteitag wirklich Stimmung machen müssen, dann sagen Sie, dass Sie zum "C" stehen: Alle jubeln und hoffen, dass keiner nachfragt, was eigentlich gemeint ist. Und wenn sie dann doch nachfragen, dann wird es irgendwie so eine Beschwörungsformel für irgendwie mehr sozialstaatliche Leistungen oder Seenotrettung im Mittelmeer.

Aber das "C" bedeutet ja ganz andere Sachen. Das bedeutet, man hält alle Menschen für gleichwertig, aber für unterschiedlich. Und da steckt ein Schlüssel zum Beispiel für den Umgang mit Ungleichheit drin. Das heißt aber zugleich, wir akzeptieren Ungleichheit, wenn sie auf fairen Voraussetzungen beruht. Also wollen wir faire Voraussetzungen schaffen. Dann sind wir aber bei Gleichberechtigung und nicht bei Gleichstellung, von der heute alle reden.

Oder schauen Sie auf die Subsidiarität. Das ist ein ganz eigenes sozialpolitisches Konzept der Union, das einen Karl-Josef Laumann und einen Friedrich Merz in eine Partei bringt. Aber diese Balance muss man immer wieder neu ausdifferenzieren.

Zugleich sagt das christliche Menschenbild, dass der Mensch fehlbar ist, dass er nicht die vollständige Wahrheit erkennt. Das heißt, man geht auch nicht mit Wahrheitsansprüchen in die Politik.

Wenn Sie das beispielsweise in der Klimapolitik mal beherzigen, dann gewinnt diese überhitzte Diskussion auch einen anderen Tonfall. Also man sieht, da kann sich Christdemokratie durch das "C" sehr eigenständig, konstruktiv, positiv unterscheiden.

DOMRADIO.DE: Bis zum Parteitag soll die Grundrechtecharta stehen? Was kann da in Abgrenzung zum Beispiel zur Ampel drinstehen, aber auch zur AfD rechts der CDU?

Rödder: Ich glaube, dass dieses "C" auf bürgerliche Werte setzt, die auf Freiheit und Pluralismus, Eigenverantwortung, auf Subsidiarität, auf Rechtsstaatlichkeit und auf Marktorientierung und Technologieoffenheit fußen.

Da kommen wir an den Punkt, wo Sie wirklich gut unterscheiden können. Beispiel Rechtsstaatlichkeit: Der Rechtsstaat ist der Hüter der Ordnung und er ist der Hüter der Humanität. Dann sagen Sie also so ein Satz wie "der Staat kann seine Grenzen nicht schützen" - der kann es ja wohl nicht sein. Aber die Abschaffung des Asylrechts oder Fremdenfeindlichkeit, wie sie die AfD betreibt, ist mit unseren Vorstellungen von Humanität und Rechtsstaat für die CDU auch nicht zu machen.

Ich glaube, wenn man diese Grundlagen durchdekliniert, dann werden die auf eine sehr, sehr konstruktive Weise entscheidend. Und ich halte es auch generell für die ganz entscheidende Aufgabe, dass die Union wieder Sprechfähigkeit gewinnt und diese bürgerliche Mitte der Gesellschaft wieder inhaltlich lebendig und sprechfähig politisch vertritt.

DOMRADIO.DE: Kann, Analyse hin, Analyse her, es nicht einfach sein, dass der Kanzlerkandidat, mit dem Sie in den Wahlkampf gezogen waren, schlicht der falsche war? Dass nach 16 Jahren Merkel als Kanzlerin einfach kein passender Nachfolger, keine passende Nachfolgerin da war?

Rödder: Dass das Personalproblem der Union ein wesentliches Problem der Union ist und ein wesentliches Problem im Wahlkampf war, das steht außer Frage. Das stellt auch niemand infrage. Aber die Personalie Armin Laschet war Schaum auf einer Welle, deren Unterströmung die Union erkennen muss. Es geht nicht nur darum, dass man eine Person irgendwo ausgetauscht hätte, und dann wäre alles gut gewesen.

Die CDU ist in eine Identitätskrise gekommen, die jetzt in der Opposition eine Chance für sie ist. Insofern ist die Personalie das eine. Aber es ist die große Chance, dass die Union sagt, wir nutzen diese Krise, in der die Partei ist, für eine richtig nachhaltige Modernisierung der Partei. Das ist ein Vorzug dann nicht nur für die Union, sondern ich glaube insbesondere für das politische System in unserem Land, für unsere Demokratie.

Das Interview führte Hilde Regeniter.

Quelle:
DR
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