Historiker beobachtet Instrumentalisierung von Religiosität in USA

Wenn Hass zur politischen Währung wird

Es reicht von der Radikalisierung im Präsidentenamt bis zur Instrumentalisierung von Religion. Der Historiker Bernd Greiner analysiert die innere Zerrissenheit Amerikas und ihre Folgen für die Demokratie. Das Ergebnis ist düster.

Autor/in:
Christiane Laudage
Menschen halten Schilder mit der Aufschrift "This is what Democracy looks like" (dt. So sieht Demokratie aus) bei einer Demonstration gegen den Autoritarismus und die Migrationspolitik der Regierung von US-Präsident Donald Trump / © Tobias Käufer (KNA)
Menschen halten Schilder mit der Aufschrift "This is what Democracy looks like" (dt. So sieht Demokratie aus) bei einer Demonstration gegen den Autoritarismus und die Migrationspolitik der Regierung von US-Präsident Donald Trump / © Tobias Käufer ( KNA )

Die amerikanische Demokratie kennt Konflikte seit jeher - doch was derzeit passiert, ist anders. "Als ersten Punkt würde ich die Tatsache benennen, dass im aktuellen Fall die Radikalisierung vom obersten Staatsamt mit vorangetrieben wird", erklärt der Historiker Bernd Greiner im Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Greiner hat gerade das Buch "Weißglut. Die inneren Kriege der USA" veröffentlicht.

Anlass für seine Einschätzung ist unter anderem, dass der amtierende US-Präsident beim Begräbnis von Charlie Kirk vor einem großen Publikum geäußert habe, dass er seine politischen Gegner hasst. "Von der obersten Stelle wird eine politische Währung in Umlauf gebracht, die man als schweres Gift für das politische und zivile Zusammenleben bezeichnen kann", so Greiner, und betont, dass dies einen bedeutenden Unterschied zu allen Präsidenten des 20. Jahrhunderts darstellt.

Extremisten aus der Mitte der Gesellschaft

Ein weiterer Faktor sei die Rolle verschiedener gesellschaftlicher Bewegungen, so der Historiker. Spätestens seit der Wahl von Barack Obama 2008 sei der Aufstieg der Tea Party zu beobachten, daraus resultierend die sogenannte MAGA-Bewegung - "Extremisten der Mitte", wie Greiner sie nennt.

Eine Frau hält ein Schild mit der Aufschrift "Jesus fue Refugiado" (dt. Jesus war ein Flüchtling) bei einer Demonstration gegen den Autoritarismus und die Migrationspolitik der Regierung von US-Präsident Donald Trump / © Tobias Käufer (KNA)
Eine Frau hält ein Schild mit der Aufschrift "Jesus fue Refugiado" (dt. Jesus war ein Flüchtling) bei einer Demonstration gegen den Autoritarismus und die Migrationspolitik der Regierung von US-Präsident Donald Trump / © Tobias Käufer ( KNA )

Diese Akteure kämen nicht von den Rändern der Gesellschaft, erklärt der Historiker, sondern aus deren Mitte: Anwälte, Ärzte, Lehrer, Journalisten oder Juristen, die das Rückgrat der bürgerlichen Gesellschaft bilden. "Sie machen Politik auf eigene Rechnung mit dem Anspruch, die Demokratie zu retten. Gleichzeitig bestreiten sie anderen aber die demokratische Teilhabe." Damit knüpften sie an eine lange Tradition an, die bis ins späte 19. Jahrhundert zurückreiche.

Wenn Religion politisch wird

Besonders dramatisch werde die politische Situation durch die Politisierung der Religion, wie bei der Beerdigungsfeier für den politischen Influencer und Aktivisten Charlie Kirk geschehen. Greiner kritisiert den Umgang mit dem Mord an Kirk: "Jeder Mord, egal aus welchem Motiv, ist verwerflich. Worüber wir allerdings reden sollten, ist die Instrumentalisierung dieses Mordes für durchsichtige politische Zwecke und die gleichermaßen schamlose Instrumentalisierung von Religiosität und Christentum."

Ein Foto des konservativen Aktivisten Charlie Kirk ist auf einem großen Bildschirm während der Trauerfeier im State Farm Stadium zu sehen. / © John Locher/AP/dpa (dpa)
Ein Foto des konservativen Aktivisten Charlie Kirk ist auf einem großen Bildschirm während der Trauerfeier im State Farm Stadium zu sehen. / © John Locher/AP/dpa ( dpa )

Der Historiker sieht es als Perversion, christliche Versatzstücke einzusetzen, um eine Agenda durchzupeitschen, "die im Grunde genommen nichts anderes im Sinne hat als die Verteufelung und die Exklusion politischer Gegner, die damit faktisch zum Abschluss freigegeben werden."

Trumpismus ohne Trump?

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie Amerika aus der "Weißglut" zurückfinden könnte. Greiner antwortet vorsichtig, aber deutlich: "Als erstes müsste dafür gesorgt werden, dass der 'Commander in Poison', der oberste Vergifter, 2028 aus dem Amt gewählt wird." 

Zudem brauche die unzufriedene Mehrheit politische Ansprechpartner, um ihre Sorgen und Nöte artikulieren zu können. Die Demokratische Partei müsse sich reformieren und wieder wie früher die Stimme aller gesellschaftlichen Gruppen vertreten - nicht nur der Akademiker, sondern auch der Arbeiter, der Abgehängten und Entrechteten. Schließlich müssten Graswurzelbewegungen lernen, interne Konflikte zu überwinden, anstatt sich selbst zu zerlegen.

US-Präsident Donald Trump (r.) und Vizepräsident JD Vance (l.) / © Kenny Holston (dpa)
US-Präsident Donald Trump (r.) und Vizepräsident JD Vance (l.) / © Kenny Holston ( dpa )

Wie realistisch ist diese Vorstellung? Greiner bleibt skeptisch: "Ob das in absehbarer Zeit gelingen wird, wage ich zu bezweifeln. Ich neige eher dazu zu sagen, es wird einen Trumpismus ohne Trump geben." Auch wenn der derzeitige Präsident 2028 vermutlich aus dem Amt scheide, stünden bereits Nachfolger wie US-Vizepräsident J.D. Vance bereit.

Wiederaufbau ein Werk für Generationen

Was dem Historiker große Sorgen bereitet ist, dass Trump und seine Regierung es geschafft haben, innerhalb kurzer Zeit die Axt an die Wurzeln des demokratischen Systems zu legen. "Sie haben den Skandal normalisiert, die Absage an Gewaltenteilung normalisiert und dazu beigetragen, dass sich die Gesellschaft in einem Lügenspektrum einrichtet."

Trump und seine Regierung habe die für eine Demokratie wichtigen Institutionen der Lächerlichkeit preisgegeben oder als politisch manipulierbar dargestellt. Greiner warnt: "Es ist einfach, mit der Abrissbirne vorzugehen. Doch das, was man zerlegt hat, wieder aufzubauen, insbesondere das Gespür für Werte, Zivilität und demokratischen Umgang miteinander, ist im Zweifelsfall eine Aufgabe von Generationen."

Quelle:
KNA