Historiker bedauert Bedeutungsverlust der Lateranbasilika

"Fast Stiefkind und Klotz am Bein"

Die Lateranbasilika feiert ein Jahr lang ihr 1.700-jähriges Jubiläum. Jahr und Datum der Weihe sind jedoch historisch nicht belegt, sagt Stefan Heid. Auch sei von der einstigen Vorrangstellung des Gotteshauses nicht mehr viel übrig.

Ostfassade der Lateranbasilika / © Viacheslav Lopatin (shutterstock)
Ostfassade der Lateranbasilika / © Viacheslav Lopatin ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Die Lateranbasilika feiert 2024 den 1.700. Jahrestag ihrer Weihe. Inwieweit ist der 9. November 324 als Weihetag historisch belegt?

Prof. Dr. Stefan Heid (privat)
Prof. Dr. Stefan Heid / ( privat )

Prof. Dr. Stefan Heid (Direktor des Römischen Instituts der Görres-Gesellschaft und Universitätsrektor des Pontificio Istituto di Archeologia Cristiana): Weder das Jahr noch der Tag sind historisch belegt. Wie es oft bei so weit zurückliegenden Ereignissen der Fall ist, wählt man heute einfach ein mehr oder weniger plausibles Datum.

Das Weihejahr 324 ist in keiner Weise historisch gedeckt. Man geht eher davon aus, dass die Kirche schon früher fertig war, vor 320. Auch der 9. November als Weihetag ist sehr spät greifbar, erst bei Cesare Baronio, und kann daher kaum authentisch sein.

Man muss auch sagen, dass es im 4. Jahrhundert noch keinen Kirchweiheritus gab. Eine Kirche wird sozusagen mit der ersten offiziellen Messfeier des Bischofs in Betrieb genommen. Merkwürdig ist allerdings schon, dass man diesen Tag, wie es scheint, in den folgenden Jahren nicht beging, während man den Weihetag anderer Kirchen sehr wohl im römischen Festkalender vermerkt hat.

Selbst über das Patrozinium der Bischofskirche herrscht Unsicherheit: War sie dem Erlöser oder Johannes (der Täufer, der Evangelist?) geweiht? Wie Cesare Baronio auf den 9. November als Weihetag kam, müsste tatsächlich einmal geklärt werden. Angemerkt sei, dass das beste Buch über die Baugeschichte der Laterankirche von Peter Cornelius Claussen stammt (2008).

DOMRADIO.DE: Wie hat sich das am Südrand des antiken Rom gelegene Gotteshaus zum kulturellen und geistlichen Zentrum der Stadt und darüber hinaus entwickelt?

Heid: Die Lateranbasilika war der erste, noch dazu enorm große Kirchenraum Roms. Die Kirche war eine kaiserliche Stiftung, von Konstantin gewollt und sicher bald nach 312 in Auftrag gegeben. In den Jahrhunderten davor gab es sicher schon eine Bischofskirche (keine Hauskirchen!), deren Ort jedoch nicht bekannt ist.

Prof. Dr. Stefan Heid

"Die neue Lateranbasilika sollte allen Christen der sieben Stadtregionen Platz bieten."

Dass Konstantin innerhalb der Stadt dann eine einzige Kirche, und diese noch dazu am Stadtrand, errichten lässt, ist ein sicheres Zeichen dafür, dass man auch bisher nur eine einzige große Kirche, die des Bischofs, hatte. Die neue Lateranbasilika sollte allen Christen der sieben Stadtregionen Platz bieten.

Sie lag gegenüber dem Kaiserpalast, in dem sicher die Kaisermutter Helena, zuweilen wohl auch Konstantin selbst residiert hat, wenn er in Rom war. Die Kirche besaß ein großes Baptisterium (Taufhaus), in dem damals alle Christen durch den Bischof und seinen Klerus getauft wurden. Das schuf ein starkes Einheitsbewusstsein.

Die römische Kirche war längst vor Konstantin die reichste und am besten organisierte Kirche des Westens, aber durch Konstantin wurde sie sozusagen noch einmal in eine ganz andere Liga katapultiert. Jetzt konnte der römische Bischof darangehen, nach und nach die ganze Stadt, Latium und ganz Italien zu christianisieren.

DOMRADIO.DE: Wie hat sich die Lage direkt an der südlichen Stadtmauer auf die Topografie in der und rund um die Basilika ausgewirkt?

Heid: Die Randlage schuf natürlich Probleme. Sicher war dieser Ort vom Kaiser selbst gewählt worden, weil große Teile des weitgehend unbewohnten Südostens der Stadt kaiserliche Domäne waren und er darüber frei verfügen konnte. Zudem lag sein eigener Palast in der Nähe.

Man muss annehmen, dass bei der Laterankirche auch die Residenz des Bischofs von Rom gebaut wurde, zu der natürlich alle Annehmlichkeiten gehörten, die ein Papst braucht: Repräsentationsräume, Gästehotel, Wellnessbereich (Bad, Sauna), Fuhrpark (Pferde, Kutschen) u.s.w.

Die periphere Lage bot, solange der Kaiserpalast noch in Funktion war, einen gewissen Schutz, zum anderen musste eine Art Brücke zur bewohnten Stadt hergestellt werden. Dazu diente seit dem fünften Jahrhundert die Kirche Santa Maria Maggiore auf dem höchsten Hügel Roms, dem Esquilin (wer heute in den angrenzenden Hotels, etwa in der Via Olmata, auf der Dachterrasse steht, kann auf ganz Rom herabschauen).

Dieser Hügel wurde bewusst mit einem Prunkbau, finanziert aus der päpstlichen Schatulle, besetzt, um die päpstliche Stadthoheit zu signalisieren, seit die Kaiser nach Konstantinopel gezogen waren. Die wichtigsten Prozessionen der Päpste in die Stadt bzw. nach Sankt Peter führten über Santa Maria Maggiore. Auch diese Kirche, in der die Krippenreliquie aufbewahrt wurde, war sehr geräumig, weil am Weihnachtsfest im Prinzip alle Christen Roms darin Platz finden sollten.

Basilika Santa Maria Maggiore in Rom / © essevu (shutterstock)
Basilika Santa Maria Maggiore in Rom / © essevu ( shutterstock )

Santa Maria Maggiore hatte keinen eigenen Klerus, sondern war eine Satellitenkirche des Laterans, genauso wie die Kirche Santa Croce in Gerusalemme (mit der Kreuzreliquie) und Santo Stefano Rotondo (wohl mit Steinen der Steinigung des Stephanus).

Alle drei Kirchen lagen wie Satelliten im Halbkreis um die Lateranbasilika herum und schufen somit einen heiligen Bezirk, der in gewisser Weise in Konkurrenz trat zu den großen Pilgerheiligtümern außerhalb der Stadt: Sankt Peter und Sankt Paul vor den Mauern. 

DOMRADIO.DE: Welche für die Kirchengeschichte bedeutenden Ereignisse haben in der Basilika stattgefunden?

Heid: Wir sind erstaunlich wenig darüber informiert, welche großen Ereignisse in der Basilika selbst stattgefunden haben. Man muss aber annehmen, dass viele römische Synoden in der Kirche getagt haben. Man saß dann wohl vor dem Altar in der sogenannten Schola Cantorum, in der auch der Kathedralklerus das Stundengebet abhielt. Wir wissen von den römischen Synoden der Jahre 499 und 595.

Im Mittelalter gab es mehrere sogenannte Laterankonzilien, an denen dann schon bedeutend mehr Kleriker und Bischöfe teilnahmen. Die bedeutendste Synode war sicher das 4. Laterankonzil unter Innozenz III. von 1213 bis 1215 mit etwa 1.500 Teilnehmern.

Allerdings ist bei den kleineren Synoden nicht unbedingt gesagt, dass nach der feierlichen Eröffnung auch die Sitzungen in der Basilika selbst stattfanden. In Frage kommen auch große Säle im päpstlichen Palast. Immerhin war der Papstpalast am Lateran bis ins hohe Mittelalter die größte Palastanlage der damaligen Welt.

Die Bischofskirche rückte ins Zentrum auch einer geistlichen Erneuerung der Gesamtkirche, als im 13. Jahrhundert der Kreuzgang mit einer Klosteranlage gebaut wurde und die dortigen Kanoniker ein gemeinsames Leben führten, so dass täglich eine feierliche Liturgie stattfand. Wie wichtig die Bischofskirche war, zeigt sich auch daran, dass sich im Kirchenschiff zahlreiche Hochgräber der Päpste befanden.

Prof. Dr. Stefan Heid

"Seit den Renaissance-Päpsten spielt sich sowieso die große Kirchengeschichte an Sankt Peter ab."

Von der immensen Kunstausstattung ging der erhaltene Rest verloren, als Borromini im 17. Jahrhundert Hand an den Dom legte. Seit den Renaissance-Päpsten spielt sich sowieso die große Kirchengeschichte an Sankt Peter ab. Der neue Petersdom entscheidet endgültig die jahrhundertelange, zum Teil erbitterte Konkurrenz zwischen dem Lateran und Sankt Peter.

Von dem stolzen Wort der Lateranbasilika, die Haupt- und Mutterkirche aller Kirchen der Stadt und des Erdkreises zu sein, bleibt nur eine entfernte Erinnerung. Als Papst Pius XI. im Mai 1933 von der Loggia der Fassade der Lateranbasilika aus die Gläubigen gesegnet hat, war dies womöglich das letzte Mal. 

DOMRADIO.DE: Wie ist es zum Niedergang und dem damit einhergehenden Bedeutungsverlust der Lateranbasilika gekommen, so dass die Päpste in den außerhalb der Stadtmauern gelegenen Vatikan umgezogen sind?

Heid: Der Niedergang setzt schleichend ein. Zunächst einmal war das mittelalterliche Papsttum in gewisser Weise ein Wanderzirkus, wie ja auch die Kaiser von einer Pfalz zur andern gezogen sind. Das war die übliche mobile Art der Herrschaftsausübung. Insofern waren die Päpste oft abwesend.

Ferner befindet sich der Lateran in einer ungesunden Lage, so dass es dort im Sommer unerträglich ist. Die Päpste zogen in die höheren Lagen. Schon im 8. Jahrhundert residieren sie zeitweise auf dem Palatin. Wahrscheinlich halten sie sich zu dieser Zeit auch schon bei Santa Maria Maggiore auf.

Der Lateran hatte zudem den Nachteil, militärisch ungünstig zu liegen, direkt an der Stadtmauer. Er war praktisch nicht zu verteidigen, vor allem wenn sich die Stadt Rom selbst gegen den Papst erhob. Päpste haben immer Angst um ihr Leben. Im Falle der Gefahr blieb ihnen nur die Möglichkeit, vom Lateran auf einem Bergkamm nach Quattro Coronati zu fliehen. Diese Kirche ist eine Wehrkirche und hat für die Päpste dieselbe Funktion wie die Engelsburg bei Sankt Peter.

Petersdom und Papstpalast im Vatikan / © Viacheslav Lopatin (shutterstock)
Petersdom und Papstpalast im Vatikan / © Viacheslav Lopatin ( shutterstock )

Nach dem "Exil" in Avignon im 14. Jahrhundert ist der Lateran schließlich so heruntergekommen, dass die Päpste bald nach Sankt Peter umziehen und dort dauerhaft residieren. Dort im "Borgo" sind sie militärisch sicher. Später dann, als sie die Stadt fest im Griff haben, trauen sie sich sogar, mitten in der Stadt, auf dem Quirinal, zu residieren. Der Lateran spielt dann kaum noch eine Rolle.

DOMRADIO.DE: Welche Rolle spielt die Lateranbasilika heute im Alltag der Stadt Rom und woran merkt man ihre bis heute noch gültige Vorrangstellung vor allen anderen Kirchen weltweit?

Prof. Dr. Stefan Heid

"Der letzte fromme Rest, die große Fronleichnamsprozession vom Lateran nach Santa Maria Maggiore, wurde vom Papst abgeschafft."

Heid: Eine Vorrangstellung merkt man heute nicht mehr. Fast ist der Lateran zu einem Stiefkind und Klotz am Bein geworden. Große päpstliche Gottesdienste sind dort eine Seltenheit. Der letzte fromme Rest, die große Fronleichnamsprozession vom Lateran nach Santa Maria Maggiore, wurde vom Papst abgeschafft.

Trotzdem sollte man als Rombesucher nicht an ihm vorbeigehen. Das weiträumige Gebiet ist seit den Lateranverträgen exterritoriales Gelände des Vatikans. Leider hat man 1929 nicht die große Wiese vor der Kirche einbezogen, so dass dröhnende Konzerte und Demonstrationen dort stattfinden, die nicht gerade das fromme Gemüt erheben. Auch ist unvorteilhaft, dass wegen des nahen Krankenhauses pausenlos ohrenbetäubende Ambulanzen vorbeifahren.

Im ehemaligen Apostolischen Palast ist heute ein Museum, vor allem aber die Verwaltung der Diözese Rom untergebracht. Man darf nicht vergessen, dass in diesen Räumen (im piano nobile) am 11. Februar 1929 die Lateranverträge unterzeichnet wurden, die den neuen Vatikanstaat geschaffen haben. Neben der Kirche befinden sich die Lateranuniversität und das Diözesanarchiv.

Vielleicht sollte man als Deutscher auch wissen, dass nur wenig entfernt in der Via Torquato Tasso die Folterkammer des SD-Chefs Herbert Kappler war. Dort befindet sich heute das "Museum der Befreiung", das an die deutsche Besetzung Roms 1943/44 erinnert.

Die Fragen stellte Jan Hendrik Stens.

Lateranverträge von 1929

Während des Ersten Vatikanischen Konzils 1869/70 war der Vatikan von italienischen Truppen eingenommen worden und hatte damit auch jegliche weltliche Macht sowie die Ländereien des Kirchenstaates verloren. Erst 1929 sitzen sich beide Parteien wieder scheinbar gleichberechtigt gegenüber: Auf der einen Seite der vatikanische Kardinalstaatssekretär Pietro Gasparri, auf der anderen Seite der italienische Regierungschef Cavaliere Benito Mussolini.

Petersdom in der Abenddämmerung / © Cristian Gennari/Romano Siciliani (KNA)
Petersdom in der Abenddämmerung / © Cristian Gennari/Romano Siciliani ( KNA )
Quelle:
DR