Heribert Prantl kritisiert Aussagen von Julia Klöckner zu Kirchen

"Sie macht die Kirchen sehr klein"

In einem Interview hat Bundestagspräsidentin Julia Klöckner bemängelt, dass sich die Kirchen zu viel zur Politik äußern würden. Der Journalist Heribert Prantl antwortet nun auf die CDU-Politikern und weist ihre Kritik zurück.

Autor/in:
Roland Müller
Julia Klöckner und Heribert Prantl / © Collage DOMRADIO.DE (dpa)
Julia Klöckner und Heribert Prantl / © Collage DOMRADIO.DE ( dpa )

DOMRADIO.DE: In der vergangenen Woche hat die neue Bundestagspräsidentin Julia Klöckner kritisiert, dass die Kirche eine "weitere NGO" sei und sich zur Tagespolitik äußere. Liegt sie mit ihrer Kritik richtig?

Prof. Dr. Heribert Prantl (Journalist und Publizist): Ich denke, da irrt Frau Klöckner. Die Kirche ist eine NGO – und zwar eine sehr große. Die katholische Kirche hat 1,2 Milliarden Mitglieder. Ich glaube, dass Frau Klöckner die Aufgabe der Kirchen und die biblische Tradition verkennt: Das Evangelium, die Bergpredigt und die Propheten sind politisch. Von den Propheten kann man sogar sagen, dass sie tagespolitisch waren. 

Professor Dr. Heribert Prantl / © Jürgen Bauer (Photographie Jürgen Bauer)

Sie waren in einer Weise politisch, wie man das heute von kaum einem kirchlichen Funktionsträger sagen könnte. Man muss Frau Klöckner entgegnen: Die christlichen Kirchen sind nicht zu politisch, sondern die Politikerinnen und Politiker der Unionsparteien sind zu wenig christlich. 

DOMRADIO.DE: Aber hat Frau Klöckner mit ihrer Kritik nicht auch ein Stück weit Recht? 

Prantl: Die Kirche hat lang genug Parteipolitik gemacht und für die C-Parteien geworben. Da war es aber natürlich so, dass es der Union gefallen hat, weil es eine Wahlempfehlung für sie war. Als Ministrant habe ich das noch erlebt – und deshalb klingelt es schon ein wenig in meinen Ohren, wenn ich heute entsprechende Kritik an den Kirchen höre, wie nun von Frau Klöckner. 

Heribert Prantl

"In den Flüchtlingen wird ausschließlich etwas Negatives gesehen. Das halte ich für zutiefst unchristlich."

Ich bin auch etwas genervt davon, dass jedwede Kritik, die Politikern nicht passt, einfach als Äußerungen zur Tagespolitik deklariert werden. Sind Einlassungen der Kirchen zu einem Tempolimit auf Autobahnen aber wirklich Tagespolitik? Ich verstehe das als einen Diskussionsbeitrag zur Bewahrung der Schöpfung. Das ist eine Aufgabe, die den Christinnen und Christen sowie den Kirchen aufgegeben ist. 

Gleiches gilt auch für andere Themen: Wenn die Kirchen den Koalitionsvertrag wegen der darin enthaltenen Migrationspolitik kritisieren würden, dann wäre das vollkommen berechtigt. Auf den Freiheitsdrang der Flüchtlinge, der eine biblische Grundlage hat, antwortet der Koalitionsvertrag mit einer organisierten Verantwortungslosigkeit. 

Es ist eine Verantwortungslosigkeit, die den Tod der Flüchtlinge im Meer als Teil einer Abschreckungsstrategie betrachtet. In den Flüchtlingen wird ausschließlich etwas Negatives gesehen. Das halte ich für zutiefst unchristlich. 

Heribert Prantl

"Die Kirchen sind nicht zu politisch, sondern zu wenig politisch."

DOMRADIO.DE: Würden Sie sich von den Kirchen mehr Wortmeldungen zur Politik wünschen?

Prantl: Jedes Jahr treten viele Hunderttausende Menschen aus den christlichen Kirchen aus. Das hat viele Gründe, wie etwa die Missbrauchsskandale. Aber es hat sicherlich auch damit zu tun, dass die Kirchen in der Gesellschaft zu wenig relevant sind. 

Die Kirchen sind nicht zu politisch, sondern zu wenig politisch. Sie hätten vor dem Hintergrund der katholischen Soziallehre und christlichen Sozialethik noch viel mehr zu sagen, etwa zum Koalitionsvertrag. Früher gab es in den Unionsparteien Politiker, wie Heiner Geißler, die sich an der Soziallehre orientiert haben. In der Merz-CDU ist davon sehr wenig übriggeblieben.

Bundestagspräsidentin Julia Klöckner  / © Kay Nietfeld/dpa (dpa)
Bundestagspräsidentin Julia Klöckner / © Kay Nietfeld/dpa ( dpa )

DOMRADIO.DE: Oft wird kritisiert, die Kirche vernachlässige ihr Kerngeschäft und müsse mehr Glaubensvermittlung und Seelsorge betreiben. Ist das aus Ihrer Sicht zutreffend?

Prantl: Wenn ich an die Seelsorger denke, die ich gut kenne, dann stelle ich fest: Sie betreiben Seelsorge und sie sehen die Pastoral nicht als Ersatz für die notwendigen Stellungnahmen zu den großen politischen und drängenden Fragen der Zeit. Zur Seelsorge gehört in der Kirche eben auch der Versuch, eine Antwort auf diese Fragen anzubieten. 

Sich für die Bewahrung der Schöpfung, den Frieden oder den Schutz der Flüchtlinge einzusetzen ist letztendlich auch Seelsorge. Da sind wir wieder bei den schon erwähnten Propheten: Sie sprechen die unangenehmen Wahrheiten aus und warnen davor, dass alles so weitergeht wie bisher.

Heribert Prantl

"Das zeugt von einem sehr engen Verständnis des Glaubens – und das schmerzt."

DOMRADIO.DE: Was sagt es über die Unionsparteien aus, wenn eine katholisch sozialisierte und gläubige Politikerin wie Julia Klöckner die Kirche in der der Art kritisiert, wie sie es getan hat?

Prantl: Das zeugt von einem sehr engen Verständnis des Glaubens – und das schmerzt. Ich erwarte mir von den C-Parteien, wie auch von den Kirchen, ein größeres Engagement für sozial relevante Themen. Frau Klöckner ist eine bedeutende Politikerin, sie hat das zweithöchste Staatsamt inne. Doch sie macht die Kirchen sehr klein und darüber bin ich wirklich enttäuscht.

Das Interview führte Roland Müller.

Quelle:
DR

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