Haben "Reichsbürger" und rechte Christen Schnittmengen?

"Wer dabei bleibt, muss immer radikaler werden"

Nach einer Razzia gegen eine Vereinigung aus der "Reichsbürger"-Szene wird das Geschehen aufgearbeitet. Der Religionswissenschaftler Michael Blume glaubt, dass sich auch Christen in den Gruppen befinden und appelliert an die Kirchen.

Protest gegen Corona-Maßnahmen Berlin - ein Teilnehmer hält eine Reichsflagge / © Fabian Sommer (dpa)
Protest gegen Corona-Maßnahmen Berlin - ein Teilnehmer hält eine Reichsflagge / © Fabian Sommer ( dpa )

DOMRADIO.DE: Bislang wurden die Reichsbürger eher belächelt. Dass zum Teil ehemalige Mitglieder des "Kommandos Spezialkräfte" (KSK) der Bundeswehr dabei sind, dass es sich um eine gut organisierte und vor allem massiv bewaffnete Gruppe handelt, haben sich die meisten aber wohl nicht so vorgestellt. Waren auch Sie von der Razzia und dem Ausmaß überrascht?

Dr. Michael Blume (Die Arge Lola)

Dr. Michael Blume (Religionswissenschaftler und Antisemitismusbeauftragter des Landes Baden-Württemberg): Leider nicht. Man kann das sogar noch im Internet sehen. Ich hatte im August letzten Jahres bei "Watson" ein Interview gegeben, in dem ich gewarnt und prognostiziert habe, dass sich aus dem Umfeld von sogenannten "Querdenkern" Terrororganisationen entwickeln werden. Das ist damals noch ziemlich verlacht worden.

Aber leider haben wir diese Entwicklung immer wieder. Die meisten Leute steigen aus und bleiben vernünftig. Aber wer dabei bleibt, muss immer radikaler werden, muss immer weiter eskalieren. Dann haben wir leider diese Entwicklung.

Ich muss sogar sagen, dass dies wahrscheinlich nicht die letzte Terrorzelle gewesen sein wird, die wir in Deutschland finden.

DOMRADIO.DE: Wer sind diese "Reichsbürger"? Haben die eine gemeinsame Ideologie oder führt sie nur die Ablehnung der Bundesrepublik zusammen?

Blume: Es ist sogar international so, dass die moderne Republik abgelehnt wird. Da sind die "Texas Souveranists" in den USA ein Beispiel. Solche Gruppen gibt es mit verschiedenen Namen in allen Demokratien. Allen gleich ist, dass man sagt, dass es davor quasi einen idealen Staat gab, der auf Blut und Adel gründet war. Da hatten Fremde keinen Zugang und die Frauen waren gehorsam. Jetzt ist diese blöde Republik da. Es gibt Zuwanderer, die Gleichberechtigung der Frau und demokratische Wahlen. Das will man nicht.

Die "Reichsbürger" sind also quasi in einem internationalen Kontext zu sehen. Das haben wir leider in jeder Republik und jeder Demokratie. Wir haben in den USA ja den Angriff auf den Kongress gesehen. So weit sind diese Ideologien nicht voneinander entfernt. Sie stehen sich sehr, sehr nahe.

Michael Blume (Religionswissenschaftler und Antisemitismusbeauftragter des Landes Baden-Württemberg)

"Dualismus funktioniert grundsätzlich mit allen Religionen und Weltanschauungen."

DOMRADIO.DE: Sie sind Religions- und Politikwissenschaftler. Was glauben Sie, warum sich Menschen solchen Gruppierungen anschließen? Was ist da der Antrieb?

Blume: Dahinter steckt der sogenannte Dualismus. Das heißt, alles, was mir Angst macht, alles, was mich überfordert, also zum Beispiel das Virus, aber auch die Demokratie und die Vielfalt spalte ich ab und verwandle es in eine Feindbild-Erzählung.

Man sagt dann zum Beispiel beim Virus, dass die Rothschilds und Bill Gates schuld waren. Die Medien sind ohnehin alles Verschwörer und die demokratischen Politiker*innen sind alle gekauft. Das heißt, anstatt sich mit der eigenen Angst und den eigenen Widersprüchen auseinanderzusetzen, projiziert man das auf Feindbilder und greift die dann auf.

Das hat stark zugenommen. Zum einen durch die Corona-Pandemie, aber auch durch das Internet. Es war noch nie so einfach für Leute, sich in Gruppen zurückzuziehen und zu radikalisieren. Deswegen haben wir auch diese Zunahme an antisemitischen Straftaten.

Auch dieser Prinz (Heinrich XIII. Prinz Reuß aus Frankfurt, der im Zuge der Razzia gegen Reichsbürger festgenommen wurde, Anm. d. Red.) hat über die Rothschild-Verschwörung schwadroniert. Leider ist das ein psychologisch ganz häufiger Mechanismus.

DOMRADIO.DE: Sie sind der Antisemitismusbeauftragte des Landes Baden-Württemberg. Wie besorgt sind denn die jüdischen Gemeinden angesichts dieser Entwicklungen?

Polizisten bei einer Razzia gegen Reichsbürger-Szene / © Bodo Schackow (dpa)
Polizisten bei einer Razzia gegen Reichsbürger-Szene / © Bodo Schackow ( dpa )

Blume: Wir nehmen das in Baden-Württemberg schon länger wahr. Auch in dieser Gruppe hatten wir Bezüge nach Pforzheim und Calw. Das ist hier ein Schwerpunkt. "Querdenken" ist in Stuttgart entstanden. Das ist bei uns natürlich ein großes Thema.

Die jüdischen Gemeinden hatten mich für dieses Amt vorgeschlagen, weil sie gesagt haben, dass dies ein großes Thema wird. Der Vorschlag kam gemeinsam von Baden und Württemberg. Das ist in jeder Religion eine Sensation, wenn sich Badener und Württemberger einig sind. Die jüdischen Gemeinden haben die Gefahr sehr früh erkannt. Wir gehen diesen Weg jetzt aber gemeinsam und lassen sie da nicht im Stich.

DOMRADIO.DE: Gibt es unter den Reichsbürgern denn auch Christen, die diese Ideologie irgendwie mit ihrem Glauben zusammenfügen?

Blume: Ja. Der Dualismus funktioniert grundsätzlich mit allen Religionen und Weltanschauungen. Im süddeutschen Raum ist auch Esoterik sehr stark vertreten. Soweit ich diese Gruppe einordnen kann, haben wir auch hier starke christlich, esoterische Inhalte.

Die großen Kirchen sind da inzwischen relativ firm. Ich bin eigentlich ganz glücklich, dass die diese Problematik erkennen. Wir müssen aber noch lernen, über Ängste zu sprechen. Wir haben die Corona-Pandemie einigermaßen hinter uns. Aber die Klimakrise kommt und mit ihr auch Flüchtlingsströme. Ein Riesenthema wird das Wasser werden, wenn sich Wasserknappheit weltweit ausbreitet.

Wenn die Kirchen und Religionsgemeinschaften da sprachlos sind und die Menschen mit ihren Ängsten alleine lassen, dann kann ich jetzt schon sagen, dass solche dualistischen Sekten großen Zulauf bekommen werden. Meine Bitte an die Kirchen, auch wenn man gerade schrumpft und gerade kleiner wird, ist die, dass wir kirchlich reflektiertes christliches Engagement gegen die Angst brauchen.

Michael Blume (Religionswissenschaftler und Antisemitismusbeauftragter des Landes Baden-Württemberg)

"Es ist natürlich sehr verführerisch, den Dualismus auch in der Religion zu leben."

DOMRADIO.DE: Warum sind denn Menschen, die ihren Glauben besonders streng auslegen, möglicherweise für solche Verschwörungstheorien noch empfänglicher?

Blume: Ich spreche bewusst von Verschwörungsmythen, weil das keine wissenschaftlichen Theorien sind. Es ist natürlich auch in den Religionen verführerisch, wenn man sagt, man habe einen guten Gott und einen bösen Teufel. Wir spalten das dualistisch auf. Dann gehören wir zu den Guten und Juden oder Muslime beispielsweise gehören zu den Bösen. Oder man spaltet es sogar zwischen evangelischen und katholischen Christen auf. Das hatten wir also sogar schon innerhalb der christlichen Konfessionen.

Es ist natürlich sehr verführerisch, den Dualismus auch in der Religion zu leben. Wenn man sich zum Beispiel das Vaterunser anschaut, wo es heißt "Führe uns nicht in Versuchung", dann ist ganz klar darin verborgen, dass von Gott Gutes und Böses ausgeht und dass wir Menschen diejenigen sind, die sich für eins davon entscheiden.

Es geht nicht darum, die eine oder andere Menschengruppe als Verschwörer zu identifizieren und anzugreifen, sondern es geht darum, sich auch mit dem Bösen im eigenen Inneren auseinanderzusetzen. Das ist der schwierigere Weg. Dem weichen viele aus. Aber ich glaube, billiger ist eine aufgeklärte Religiosität einfach nicht zu haben.

Das Interview führte Dagmar Peters.

Verschwörungsglaube

"Alle möglichen Verschwörungsideologien, die vorher schon herumgeisterten, bekommen in der Corona-Pandemie einen neuen Anstrich", sagt der Politikwissenschaftler Josef Holnburger von der Uni Hamburg. Hinter vielen der aktuellen Verschwörungsmythen steckt die "QAnon"-Bewegung aus den USA, die in den dunklen Ecken des Netzes mit anonymer Stimmungsmache ihr Gift verteilt.

Der "Aluhut" als Symbol für Verschwörungsglaube / © Suzanne Tucker (shutterstock)
Der "Aluhut" als Symbol für Verschwörungsglaube / © Suzanne Tucker ( shutterstock )
Quelle:
DR