Günther Beckstein wirbt für gemeinsame Anstrengungen der Kirchen

"Wir sind wieder Missionsgebiet"

Die Christen in Deutschland sollten nach Ansicht von Günther Beckstein mehr für ihren Glauben werben. Wie, erklärt der Vizepräses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland und ehemalige bayrische Ministerpräsident im domradio.de-Interview.

 (DR)

domradio.de: Was muss die Kirche tun, um wieder mehr überzeugen zu können?

Beckstein: Es ist ganz offensichtlich, dass die Kirchen ein Stück Bindekraft verloren haben. Wir erleben eine Zeit, in der die Säkularisierung voranschreitet. Das sehen wir an der geringen Anzahl der Gottesdienstbesucher. Wir erkennen das an der abnehmenden Bereitschaft junger Menschen, sich in Kirchen zu engagieren. Das bedeutet: Wir sind in Deutschland wieder Missionsgebiet. Wir müssen uns deshalb ganz besonders wieder um junge Menschen kümmern. Dass das nicht aussichtslos ist, sieht man an den Muslimen. Dort sagen zwei Drittel der jungen Menschen, dass ihnen Religion wichtig oder sehr wichtig ist. Wir haben also gute Chancen, nur müssen wir uns kümmern: auf festen Boden die Botschaft Christi zeitgemäß vermitteln. Das ist die Aufgabe.



domradio.de: Sie haben gesagt: Es muss so selbstverständlich sein, über die Religion zu reden wie über die Fußball-Bundesliga. Wie meinen Sie das?

Beckstein: Wenn wir mit anderen Menschen zusammenkommen, sprechen wir über das, was uns wichtig ist - auch über die Ergebnisse des Lieblingsvereins, ob das der 1. FC Köln oder der FC Bayern München ist. Und wenn wir als Erwachsene wirklich von unserem Glauben überzeugt sind, dann muss es für uns auch selbstverständlich sein, darüber mit anderen Menschen zu sprechen: darüber, dass das Christsein eine große Hilfe ist; darüber, auch mal ein Stoß- und Dankgebet zum Himmel zu richten und der Glaube das eigene Fundament ist. Und dieses Zeugnis muss nicht mit großem Pathos, sondern in einer ganz normalen Sprache erfolgen.



domradio.de: Muss man in Fragen der Neuevangelisierung zwischen den christlichen Kirchen enger zusammenarbeiten?

Beckstein: Ich bin überzeugt, dass junge Menschen weniger von den Konfessionen geprägt sind, als wir älteren es sind. Wir haben noch Zeiten erlebt, in denen die Kirchen gegeneinander standen. Gott sei Dank ist das vorbei. Aber ich glaube, dass die Kirche auch heute noch viel überzeugender sein können - dann, wenn sie die Konfessionsgrenzen ein Stück weiter zurückdrängen. Wenn es um die Frage geht, ob man sich zu Christus bekennt, spielt es nicht die Rolle, ob man evangelisch oder katholisch ist. Aber um Missverständnisse zu vermeiden: Ich halte konfessionelle Überzeugungen für wichtig. Aber wenn es um die Frage geht, ein Leben als Christ zu führen, darf nicht die Konfession an erster Stelle stehen.



Das Gespräch führte Matthias Friebe. Hören Sie es hier in voller Länge nach.