Vor 275 Jahren wurde Johann Heinrich Pestalozzi geboren

Grundrecht auf Erziehung

Er war ein Idealist und Philanthrop, der zum Sozialreformer und zum Vordenker moderner Bildung werden sollte. Nun jährt sich der Geburtstag des Schweizer Pädagogen Johann Heinrich Pestalozzi zum 275. Mal.

Autor/in:
Anselm Verbeek
 (DR)

Feierliche Bücherverbrennung auf dem Fraumünsterplatz in Zürich: An einem kalten Januartag 1767 verbrannte der Henker eine Flugschrift, die den Stadtvätern revolutionär schien. Darin wurde die Meinung vertreten, das Volk könne die Herrschaft der wenigen Geschlechter beseitigen, eine Republik errichten. Johann Heinrich Pestalozzi war begeistert. Obwohl der Sympathisant drei Tage Untersuchungshaft hatte absitzen müssen, wohnte er der Verbrennungsaktion bei.

Eine folgenreiche Weggabelung im Lebenslauf Pestalozzis, des berühmten Erziehers und Sozialreformers, der vor 275 Jahren, am 12. Januar 1746, geboren wurde: Nach seiner Kundgebung für den Umsturz in seiner Vaterstadt konnte der Feuerkopf nicht mehr mit einem Staatsamt rechnen, das er bisher angestrebt hatte.

Rousseau statt Bibel

Heinrich war nach dem frühen Tod des Vaters in einer Familie aufgewachsen, die schwer ringen musste. Unterstützt von ihrer energischen Magd hatte seine Mutter für sieben Kinder zu sorgen. In der Schule wurde Heinrich als Sonderling geneckt. "Heiri Wunderli" war zerstreut in den kleinen Dingen des Alltags, aber voll von sprudelnder Fantasie, wenn große Pläne zu entwerfen waren.

Der Schüler liebte Jean Jacques Rousseau, den Weltverbesserer am Vorabend der Französischen Revolution. Ihn beflügelten die Freiheitsideen und die Botschaft, dass der Mensch von Natur aus gut und eher ein Opfer der korrupten Gesellschaft sei, wenn er anders handle. Heinrich verehrte Rousseau so sehr, dass er den Erziehungsroman "Emile" in den Gottesdienst mitnahm - anstelle der Bibel.

Der Franzose war auch der Ideengeber für Pestalozzi, als er nach der Zürcher Schriftverbrennung beschloss, Bauer zu werden. In Anna Schultheß gewann er eine idealistische Ehefrau, die bereit war, sich gegen den Widerstand ihrer reichen Kaufmannsfamilie auf eine unsichere Existenz einzulassen. Kurz nach Geburt ihres einzigen Kindes bezog die Familie Gut Neuhof bei Brugg im Aargau.

Individualbestimmung statt "vorwitziger Herrenbauer"

Als "vorwitziger Herrenbauer" hatte Pestalozzi in der Landwirtschaft keine glückliche Hand. Um Arbeitskräfte zu gewinnen, stellte er verwahrloste Kinder ein. Sie leisteten leichte Landarbeit wie Spinnen und Weben. Doch die Pestalozzis boten mehr als Kost und Logis; sie lehrten Schreiben, Lesen und Rechnen und waren bemüht, fit fürs Leben zu machen: eine Frühform der Berufsschule.

Den Visionär bewahrte das Geld der eingeheirateten Kaufmannsfamilie vor der Pleite. Pestalozzi wuchs in der Not, begann seine Ideen zu veröffentlichen. Im Zentrum stand die "Individualbestimmung". Die Erziehung jedes Kindes ordnete er nach konzentrischen Lebenskreisen, von der vertrauten Familienwelt bis zum Staat. Die tiefste Schicht des Ich war für ihn ein Urvertrauen zu Gott, das zuerst die mütterliche Liebe im Säugling wecke. Dieses Urvertrauen hielt er für die Grundlage aller sozialen Bindungsfähigkeit.

Im Klima vor der Revolution 1789 geißelte der Sozialreformer eine Gesellschaft, die junge unverheiratete Frauen zum Mord an ihrem Kind trieb. Pestalozzi verlangte die Gleichstellung von ehelichen und unehelichen Kindern - eine Reform, die erst im 20. Jahrhundert verwirklicht wurde. Der Durchbruch als Autor gelang ihm mit seinem realutopischen Roman "Lienhard und Gertrud" (1781): In seinem Modelldorf schaffen eine Maurerfamilie, an der Spitze eine mutige Frau und ein menschenfreundlicher Junker, eine bessere Welt.

Für ein Grundrecht auf berufliche Ausbildung

Der Buchautor bewies auch Tatkraft: Französische Revolutionstruppen hatten 1798 in Stans einen Aufstand blutig niedergeschlagen, viele Kinder ihre Eltern verloren. Dem fast 53 Jahre alten reformierten Christen gelang es, das Vertrauen der katholischen Landbevölkerung zu gewinnen, als er in einem Kraftakt bis zu 80 Waisenkinder in alleiniger Verantwortung unterrichtete.

Die letzten Lebensjahre leitete Pestalozzi ein Internat von europäischer Ausstrahlung in Yverdon. Pestalozzi starb am 17. Februar 1827. Im Grundrecht auf eine berufliche Ausbildung lebt er fort: Besonders die Bewegung für die Volksschule berief sich auf den Schweizer Visionär.


Quelle:
KNA