Zu Besuch bei der Schöpfungspädagogin Lucia Jochner-Freitag

Gottes Fährtenleserin

Einen neuen Beruf erfinden mit Anfang 50? Das muss man erst mal hinkriegen. Eine Inzeller Landschaftsökologin sucht und findet überall in der Natur Spuren Gottes. Und teilt diese Erfahrung nun mit anderen.

Autor/in:
Christoph Renzikowski
Lucia Jochner-Freitag, Landschaftsökologin und Schöpfungspädagogin / © Dieter Mayr (KNA)
Lucia Jochner-Freitag, Landschaftsökologin und Schöpfungspädagogin / © Dieter Mayr ( KNA )

Lucia Jochner-Freitag empfängt den Besuch an einem föhnigen Herbsttag auf der Terrasse ihres Bauernhauses. Kuhglocken, Vogelgezwitscher, vom Nachbarn tönt eine Kreissäge herüber. Auf dem Tisch steht eine Glaskaraffe Wasser, versetzt mit frisch gezupftem Ananas-Salbei. "Hier, reiben Sie mal die Blätter zwischen den Fingern", sagt die Hausherrin. Tatsächlich: Sie verströmen einen intensiven Duft nach der exotischen Frucht.

Die 53-Jährige lebt mit ihrer Familie im Voralpenland ohne Smartphone, Gefrierschrank und Wäschetrockner. In der Garage steht ein E-Auto. Das hält sie aber nicht für die Lösung aller Probleme, sondern eher für das kleinere Übel, unvermeidbar, solange es um den öffentlichen Nahverkehr auf dem Land so schlecht bestellt ist.

Was ist eigentlich "Schöpfungspädagogik"?

30 Jahre lang hat die promovierte Landschaftsökologin im behördlichen Naturschutz und in der Umweltbildung gearbeitet, aber immer fehlte ihr etwas: eine Verbindung zwischen ihrer fachlichen Arbeit und ihrem Glauben. Also hat sie eine neue Fachrichtung erfunden: Schöpfungspädagogik. In Kürze beginnt sie mit der ersten Weiterbildung von 20 Lehrkräften katholischer Schulen in Oberbayern. Schöpfungspädagogik - was muss man sich darunter vorstellen?

Jochner-Freitag holt einen Weidenkorb mit gesammelten Tierspuren: versteinerte Korallen, eine abgestreifte Schlangenhaut, ein Wespennest, das auf den ersten Blick wie zerknüllte Pappe ausschaut. "Die Natur ist eine große Inspirationsquelle und ein Ort, wo wir auch auf spiritueller Ebene ganz viel geschenkt bekommen", sagt sie. "Lebenssinnbilder" könnten entdeckt und meditiert werden.

Kein Fleisch essen und sogar Stechmücken das Leben retten

Den Verwandlungsprozess von einer Raupe zur Puppe und schließlich zum Schmetterling könne die Naturwissenschaft bis heute nicht ganz erklären. Wie sich da die Gestalt eines Geschöpfs völlig auflöst und neu wird, und wie sich das teilweise über Monate im Verborgenen, im Innern abspielt. Was könnte das für mein Leben, für mein Gottesbild bedeuten?

"Lernräume schaffen", darum geht es der Schöpfungspädagogin. Die Aussaat gilt ihr als das trefflichste Bild dafür. Einsichten sollen nicht "vermittelt" werden, sondern selber wachsen können. Zu ihrem eigenen, achtsamen Umgang mit der Natur gehört nicht nur der Verzicht auf Fleisch auf dem Teller. Stechmücken fängt sie im Glas, anstatt sie zu erschlagen. Und lässt sie wieder frei.

Der Arbeitskreis "Schöpfungsfreundlich leben"

Vor drei Jahren war es Zeit für einen neuen Aufbruch. Als Umweltbeauftragte ihrer Pfarrgemeinde überlegte Jochner-Freitag mit ihrem Arbeitskreis "Schöpfungsfreundlich leben", was sie zum Erreichen des 1,5-Grad-Ziels der Pariser Weltklimakonferenz beitragen könnten. Und so beschloss sie mit ihrem Mann und vier weiteren Christinnen und Christen, selbst klimaneutral zu leben.

Mit einem Rechner auf der Internetseite des Umweltbundesamtes wurde der persönliche CO2-Fußabdruck ermittelt, nach Einsparpotenzialen gesucht beim Wohnen, Heizen, Stromverbrauch, Mobilität und Ernährung. Was sich an Treibhausgasausstoß (noch) nicht vermeiden lässt, wird durch Spenden an zertifizierte Klimaschutzprojekte in Ländern des Südens kompensiert. Das kostet etwa 25 Euro pro Tonne CO2. Inzwischen haben sich mehr als 120 Menschen der Initiative "100xklimaneutral" angeschlossen. Nächstes Ziel ist die 1.000.

Ihr Kohlendioxidausstoß liegt bei unter vier Tonnen im Jahr

Eine klassische Graswurzelbewegung. Aus der einmal gesellschaftliche Normalität werden soll, findet die 53-Jährige. Jeder sollte die Kosten des eigenen Lebensstils wirklich selbst tragen. Ihren eigenen Kohlendioxidausstoß hat sie schon unter vier Tonnen im Jahr gedrückt. Aber da geht noch mehr. Wie? Beispielsweise mehr Wildpflanzen essen.

Die Schöpfungspädagogin spricht bedächtig, kann aber auch Nachdruck in ihre Stimme legen, ohne dogmatisch-belehrend zu wirken. Entschiedene Gelassenheit, vielleicht beschreibt das ihre Grundhaltung am besten. "Ich kann die Welt nicht retten", sagt sie. Das wäre aus ihrer Sicht genauso vermessen wie der von der Menschheit seit langem unternommene Versuch, die Natur zu beherrschen. Aber: "Ich kann meins hinlegen und Gott um Verwandlung bitten."


Lucia Jochner-Freitag ordnet Blüten und Samen auf einer Papierserviette an / © Dieter Mayr (KNA)
Lucia Jochner-Freitag ordnet Blüten und Samen auf einer Papierserviette an / © Dieter Mayr ( KNA )
Quelle:
KNA