Kann ein 63 Meter hohes und 110 Meter langes Gebäude tatsächlich im Schatten stehen? In gewisser Weise schon. Denn noch mal wird Frankreich an diesem Wochenende nicht derart groß feiern wie im Dezember 2024 bei Notre-Dame in Paris.
Dabei ist das, was der Kathedrale von Nantes 2019 widerfahren ist, schon durchaus ähnlich gewesen. Die vor fünf Jahren in Brand gesteckte spätgotische Bischofskirche Peter und Paul wird nun ab Samstag (27. September) feierlich wiedereröffnet. Donald Trump wird diesmal aber nicht anreisen.
An einem Samstagmorgen um 7.45 Uhr, am 18. Juli 2020, bricht ein Brand in der Kathedrale aus. Binnen kurzer Zeit sind 104 Feuerwehrleute mit Löschfahrzeugen vor Ort. Nach weniger als drei Stunden sind die Flammen zwar unter Kontrolle. Doch in der 600 Jahre alten spätgotischen Fassade klafft eine rußgeschwärzte Wunde.
Das kostbare Glas im Spitzbogenfenster über dem Hauptportal aus dem 16. Jahrhundert hat der Hitze nicht standgehalten, ist zerborsten. Die darunter liegende Orgel, ein mächtiges historisches Instrument mit 74 Registern aus dem 17. Jahrhundert, haben die Flammen vollständig zerstört, dazu Kunstgegenstände und Gemälde. Das prächtige Renaissance-Grabmal des bretonischen Herzogs François II. und seiner Frau Marguerite ist nur knapp der Vernichtung entgangen.
Es war Brandstiftung!
Allerdings: Anders als in Paris deutet hier alles auf Brandstiftung hin! An drei Stellen wurde Feuer gelegt: direkt an der Orgel sowie links und rechts davon im Hauptschiff. Und: Einbruchsspuren finden sich nicht. Wenig später nimmt die Polizei einen 39-jährigen Mann aus Ruanda fest: einen ehrenamtlichen Mitarbeiter der Diözese. Zu den Aufgaben von Emmanuel Abayisenga gehört es, die Kathedrale auf- und abzuschließen.
Nach einer Woche gestand Abayisenga die Tat. Sein Asylantrag war abgelehnt, die Aufenthaltsgenehmigung nicht verlängert worden. Von Abschiebung bedroht, obsiegte die Wut. Er wurde zum Trittbrettfahrer des Brandes von Notre-Dame in Paris.
Und er machte es wohl noch viel schlimmer: Vor dem Prozess, nach der zeitweisen Entlassung aus der Untersuchungshaft, wurde der reumütige Ruander in der kleinen Gemeinde Saint-Laurent-sur-Sèvre in der Vendée aufgenommen, knapp 60 Kilometer von Nantes entfernt: von Olivier Maire, einem 61-jährigen katholischen Ordenspriester.
... und mutmaßlich Mord
Am 9. August 2021, fast genau ein Jahr nach seiner Brandstiftung, meldete sich Abayisenga dann bei der Polizei: Père Olivier sei tot. Er habe ihn getötet. In der Zwischenzeit wurde der offenkundig labile Ruander seither zu vier Jahren Haft ohne Bewährung verurteilt – für die Zerstörung der Kathedrale. Für den mutmaßlichen Mord steht das Urteil noch aus.
Die eigentlich für Ende 2024 geplante Wiedereröffnung der Kathedrale verzögerte sich dann. Nicht nur wegen hoher Bleibelastung durch die geschmolzene Orgel. Sondern auch weil festgestellt wurde, dass weitere umfangreiche Arbeiten erforderlich waren, insbesondere bei der Stromversorgung, Beleuchtung und Sicherheit. Sie wurden komplett erneuert.
Auch jetzt sind die Arbeiten noch lange nicht abgeschlossen. Die Westfassade wird noch für fast drei weitere Jahre restauriert. Ein imposantes Gerüst steht nach wie vor, und auch das erste Joch des Kircheninneren bleibt noch geschlossen. Das große Tafelbild "Der heilige Clair heilt die Blinden" aus dem 19. Jahrhundert ist in Flammen aufgegangen. Und die große Orgel wartet noch darauf, ersetzt zu werden. Das Grabmal der Herzöge der Bretagne wird erst 2026 zurückkehren.
Wunden bleiben
Trotzdem soll nun am Wochenende gefeiert werden. Das Programm startet mit Zeremonien zu Ehren der Feuerwehrleute, der Ordnungskräfte und der an der Restaurierung beteiligten Handwerker. Am Samstagabend folgen ein Konzert mit Vesper in der Kathedrale, am Sonntag zunächst geführte Besichtigungen der Kathedrale sowie dann, am Nachmittag, die Messe zur Wiedereröffnung mit geladenen Gästen des Bistums.
Der zuletzt arg gebeutelten Kulturnation Frankreich steht also erneut eine feierliche Wiedereröffnung bevor. Doch Wunden werden bleiben: in Nantes wie in Paris, in Saint-Laurent-sur-Sèvre – und bei Emmanuel Abayisenga ohnehin.