Glöckner-Aufruf von Zürcher Pfarrer traf auf reges Interesse

Gefragter "spiritueller Abdruck im Quartier"

Nach zehn Minuten Vollgeläut kann er erstmal duschen, sagt der Zürcher Pfarrer Marcel von Holzen. 14 Tonnen bewegt er wieder analog. Wer selbst läutet, weiß: Es geht um wesentlich mehr als ein Ritual oder das damit verbundene Workout.

Pfarrer Marcel von Holzen am 1. Juni 2023 im Glockenturm der Kirche Guthirt in Zürich / © Magdalena Thiele (KNA)
Pfarrer Marcel von Holzen am 1. Juni 2023 im Glockenturm der Kirche Guthirt in Zürich / © Magdalena Thiele ( KNA )

Elektro – nein danke. Das Klus-Glöckli wird von Hand geläutet. Als vor zweieinhalb Jahren die vollständige Automatisierung drohte, haben sich die Bewohner des Altenzentrums, zu dem Kapelle und damit auch Glocke gehören, erfolgreich dagegen gewehrt, berichtet Schwester Elsa Hess: "Solange es ihnen möglich ist, möchten sie den Dienst gerne weiterführen."

Heimbewohner und Schwestern teilen sich das Läuten

Also tönt weiterhin das "Ave Maria, der Herr sei mit Dir" – so die Inschrift der Glocke – in verschiedenen Variationen über die Nachbarschaft – getreu der Inschrift von 1898.

Glocke im Glockenturm der Kirche Guthirt am 1. Juni 2023 in Zürich / © Magdalena Thiele (KNA)
Glocke im Glockenturm der Kirche Guthirt am 1. Juni 2023 in Zürich / © Magdalena Thiele ( KNA )

"Es kommt ganz drauf an, wer läutet", sagt Schwester Elsa und lächelt. Die 65-jährige Franziskanerin steigt jeden Abend um 19 Uhr die Treppenstufen der Kapelle im Zürcher Klus-Park hinauf.

Die Gemeinschaft der Schwestern wohnt vis-a-vis. Um 11 Uhr vormittags hat das Läuten eine Gruppe von Heimbewohnern übernommen. "Es ist Übungssache, aber besonders widerspenstig ist unser kleines Glöckli nicht."

Achtmal mit dem ganzen Gewicht in das Seil hängen

Im Gegensatz dazu hat Pfarrer Marcel von Holzen in seiner Kirche etwas mehr Mühe mit dem Geläut.

Nicht einmal, nicht zweimal – ganze achtmal muss er sich mit seinem ganzen Gewicht in das Seil hängen, bis eine der bronzenen Schönheiten sich einen Ton entlocken lässt.

Pfarrer Marcel von Holzen leutet die Glocke im Glockenturm der Kirche Guthirt am 1. Juni 2023 in Zürich / © Magdalena Thiele (KNA)
Pfarrer Marcel von Holzen leutet die Glocke im Glockenturm der Kirche Guthirt am 1. Juni 2023 in Zürich / © Magdalena Thiele ( KNA )

Wenn Pfarrer von Holzen den Glockenturm seiner Guthirt-Kirche in Zürich-Wipkingen besteigt, bewegt er dort 14 Tonnen – ein Kraftakt, den er nur zu besonderen Anlässen vollbringt.

Damit das Vollgeläut möglichst oft von Hand erklingen kann, hat der 52-Jährige jüngst medial um Unterstützung geworben.

Eine Glöckner-Gruppe hat sich zusammengefunden – zwei bis drei Einsätze pro Person sind geplant.

Alle Glocken und ihre Botschaften sind einzigartig

"Nach zehn Minuten Läuten sollte man erstmal duschen", sagt von Holzen lachend. Eine Glöckner-Gilde bestehe deshalb idealerweise aus zehn Personen – nach ein paar Minuten rotieren die Glöckner.

Die Technik lässt sich erlernen; allerdings sollte man eine gewisse Körpergröße mitbringen: "Wenn das Seil nach oben zieht, darf man es nicht unkontrolliert loslassen, sonst kommt man aus dem Rhythmus."

Jede Glocke ist einzigartig und transportiert eine Botschaft. Auf der Josephs-Glocke steht etwa "Heiliger Joseph, hilf uns zu einem unschuldigen Leben" (1933).

Läuten als "spiritueller Abdruck im Quartier"

Schließlich ist jedes Läuten mehr als ein Ritual oder ein Workout. "Das Läuten der Glocke ist ein spiritueller Abdruck im Quartier", sagt von Holzen. "Es berührt die Menschen. Ansonsten könnten wir einfach eine Sirene installieren."

Eine ältere Dame aus der Nachbarschaft habe ihm das neulich wieder einmal bestätigt. Sie komme nicht mehr oft zur Kirche, erzählt von Holzen.

Aber das tägliche Glockenläuten erinnere sie an vieles: die Taufe ihrer Kinder, ihre Heirat oder auch die Beerdigung der eigenen Eltern. Das Läuten sei für sie wie ein Gebet.

Utrecht ist "der" Glocken-Hotspot 

In manchen Gegenden Europas ist das Läuten von Hand vielleicht auch wegen der damit verbundenen Spiritualität noch deutlich weiter verbreitet. Auch anderswo in der Schweiz und in Deutschland gibt es – noch oder wieder – einige Von-Hand-Glocken.

"Der" Glocken-Hotspot liegt allerdings woanders: So wie Rom das Zentrum der katholischen Kirche ist, könne man das von Utrecht und den niederländischen Glockengilden behaupten, erklärt von Holzen.

Jeden Sonntag werden dort die Turmglocken im Dom – insgesamt 14 Stück mit einem Gewicht von 32 Tonnen (neben den 50 Carillonglocken) – zum Klingen gebracht.

Glockenläuten gegen die Technisierung

Seit über 40 Jahren übernimmt das die UKG, Utrechts Klokkenluiders Gilde. In zehn Stammkirchen ist der Verein regelmäßig tätig – und er betreibt eine intensive Nachwuchsarbeit. Einmal im Jahr läutet das Vollgeläut zur Eröffnung des Alte-Musik-Festivals im August.

Besonders passionierte Glöckner blieben indes nicht bei einer Stammglocke, erklärt der Zürcher Pfarrer. Teils reisen sie um die ganze Welt auf der Suche nach "neuen" Glocken – auch nach Zürich.

Die Szene kennt sich. Sie haben eine gemeinsame Passion. "Ganz grundsätzlich gehe es bei jedem Glockenschlag auch darum, der zunehmenden Technisierung etwas entgegenzusetzen", sagt von Holzen.

Öffentliches Interesse am Glockenläuten besteht

Der mediale Rummel um seinen Aufruf zeige: Das Interesse an solchen bewussten Tätigkeiten ist da. Mit so viel Resonanz hatte er gar nicht gerechnet.

Wer weniger sportlich unterwegs ist, kann übrigens trotzdem im Glockenturm vorbeikommen – entweder als Beobachter oder einmal im Monat als Bargast in der wohl geistlichsten Rooftop-Bar Zürichs.

Dann verwandeln sich Läutraum und Balkone des Turms in eine Lounge mit Drinks: die "DingDong-Bar".

Glockenläuten hilft bei Zeitschwinden

Schwester Elsa Hess leutet die sogenannte Klus-Glöckli in der Kluskapelle im Kluspark des Gesundheitszentrums am 1. Juni 2023 in Zürich / © Magdalena Thiele (KNA)
Schwester Elsa Hess leutet die sogenannte Klus-Glöckli in der Kluskapelle im Kluspark des Gesundheitszentrums am 1. Juni 2023 in Zürich / © Magdalena Thiele ( KNA )

Bescheiden wirkt dagegen die Kapelle im Kluspark mit ihrem Glöckli.

Bescheiden muss es auch sein, wenn Schwester Elsa an einem Abend keine Zeit hat und sich keine Vertretung finden lässt.

Dann wird ausnahmsweise auf Automatik umgestellt, verrät die Ordensfrau. Ansonsten wird weiterhin von Hand geläutet.

Denn es gelte immer noch, was eine ihrer Vorgängerinnen, die damals 86-jährige Schwester Fabiola, 2008 in einem Zeitungsinterview sagte: "Das Läuten der Glocke macht gelassen gegenüber dem Schwinden der Zeit."

Glocken

Glocken sind offene Hohlkörper. Mit einem Klöppel können Töne erzeugt werden. Die fast ausnahmslos in allen Religionen und Kulturen verwendeten Instrumente in verschiedenen Größen sind meist als kelchförmige Halbkugel gestaltet und häufig aus gegossenem Metall gefertigt. Die ältesten bekannten Glocken stammen aus der chinesischen Shang-Dynastie und wurden rund 1.500 Jahre vor Christus hergestellt.

Glocken in einem Kirchturm / © CeltStudio (shutterstock)
Glocken in einem Kirchturm / © CeltStudio ( shutterstock )
Quelle:
KNA