Gewaltfreie Kommunikation erlebt einen Boom mit Grenzen

"Jesus Christus ist der Prototyp"

Coachings, Blockseminare, Trainerausbildung – Gewaltfreie Kommunikation ist en vogue. Jesus ist dafür ein Prototyp. Allerdings sei die Gesellschaft gut darin, das Konzept ad absurdum zu führen, sagt ein Kommunikationscoach.

Autor/in:
Magdalena Thiele
Gewalt: Eine Frau streckt abwehrend ihren Arm aus / © Julia Steinbrecht (KNA)
Gewalt: Eine Frau streckt abwehrend ihren Arm aus / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Bald findet das nächste Beziehungs-Seminar statt. Vier Paare seien schon angemeldet, berichtet Katharina Matthias. Und: "Alle Anmeldungen wurden von den Frauen getätigt." Das sei keine Ausnahme, sondern die Regel. Es geht um Gewaltfreie Kommunikation. 70 bis 80 Prozent der entsprechenden Seminarteilnehmer bei der NEURES-Akademie in Berlin sind weiblich.

Alles fängt bei der eigenen Person an

Das habe auch damit zu tun, dass empathisches Zuhören traditionell weiblich konnotiert sei, erläutert die Kommunikationstrainerin: "Das ist eine gesellschaftliche Frage. Dafür vergessen Frauen tendenziell häufiger die Selbst-Empathie."

Und genau damit fange das Konzept der Gewaltfreien Kommunikation (GFK) nach dem US-Psychologen Marshall B. Rosenberg an: Es sei wichtig, sich zuerst der eigenen Bedürfnisse bewusst zu werden, bevor man mit anderen kommuniziere, sagt Matthias. Erst danach sollten die Bedürfnisse des Gegenübers erfragt werden. "Wer die eigenen Bedürfnisse nicht formulieren kann, tut sich schwer, sich anderen mitzuteilen und einen zufriedenstellenden Kompromiss zu erzielen."

Der Mensch als empathisches und soziales Wesen

Bei Gewaltfreier Kommunikation drehe sich letztlich alles um Selbst- und Fremdempathie. Ziel des Konzepts ist ein wertschätzender Austausch, um Konflikte in Familie, Schule oder Arbeit zu lösen. Kann man Empathie lernen? Das sei etwas Angeborenes, meint Matthias. Allerdings gehe im Laufe des Erwachsenenlebens oft etwas von dieser Fähigkeit verloren.

Der Mensch sei grundsätzlich ein soziales Wesen, bestätigt auch ihr Schweizer Kollege, der selbstständige Kommunikationscoach Daniel Frei aus Zürich. Allerdings lebten die heutigen Menschen in einer Gesellschaft, die Empathie nicht fördere: "Wir wären gar nicht wettbewerbsfähig, wären wir stets an den Bedürfnissen der anderen interessiert", sagt Frei. Er erläutert dies an einem Beispiel aus der Politik: "Die EU etwa ist nur sehr beschränkt empathisch. Ihr Mitfühlungsvermögen endet spätestens an den Außengrenzen."

Chancen und Gefahren

Wie jedes Ideal-Modell sei auch Rosenbergs Gewaltfreie Kommunikation deshalb mit Vorsicht in die Praxis zu übertragen. "Authentizität kann schnell in Manipulation und Machtmissbrauch umschlagen", mahnt Frei.

"Wenn ich versuche, meinen Gesprächspartner durch suggerierte Kommunikation auf Augenhöhe zu etwas zu bringen, was er eigentlich gar nicht möchte, dann ist das nicht gewaltfrei, sondern manipulativ."

Wenn Unternehmen die Gewaltfreie Kommunikation als Konzept nutzen, um Hierarchien abzubauen, dann sei auch das meist ein Trugbild, hat Frei beobachtet. "Natürliche Hierarchien wie Besitzverhältnisse, Alter oder Erfahrung im Unternehmen bleiben immer bestehen. Es ist absurd, wenn Firmen von ihren Mitarbeitern intern eine gewaltfreie Kommunikation fordern, sich nach außen hin aber nur dem Kapitalismus verpflichtet sehen."

Prototyp gewaltfreier Kommunikation

Einen ähnlichen Mechanismus sieht Frei bei der Institution katholische Kirche. "Jesus Christus ist der Prototyp gewaltfreier Kommunikation. Er predigt, aber missioniert nicht. Er schildert seine Erlebnisse nicht mit der Absicht der Manipulation, sondern aus einem unverfälschten Empathiegefühl."

Die Kirche führe dies jedoch ad absurdum, insbesondere mit ihrer Kommunikation zum Thema Missbrauch, kritisiert Frei. Das Modell der Gewaltfreien Kommunikation sei letztlich ein Idealbild, das so in der Realität nicht existiere.

Der Nachfrage an den Seminaren von Katharina Matthias schadet dieser Einwand bisher nicht. 350 Euro kostet das dreitägige Einführungsseminar; Angebote zur Vertiefung werden je nach Dauer und Aufwand etwas teurer.

Etwa 60 Prozent der Teilnehmenden kommen den Angaben zufolge aus beruflichen Gründen - sie arbeiten meist in Jobs, die viel zwischenmenschlichen Kontakt erfordern: Führungskräfte, Personaler, Lehrerinnen, Sozialarbeiter, Erzieherinnen. Die übrigen 40 Prozent suchen nach persönlicher Weiterentwicklung.

Auch Expertin Matthias räumt ein: "Es gibt nicht die perfekte Formulierung." In der Kommunikation gehe es um ein Annähern an das Bestmögliche in einer konkreten Situation. Wer beispielsweise auf die Frage "Wie geht es Dir?" standardmäßig mit "gut" antworte, solle sich einmal fragen, ob das wirklich den eigenen Bedürfnissen gerecht wird.

Quelle:
KNA