In den Ohren von Liao Yiwu muss es wie Hohn klingen: Das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Chinas beschloss kürzlich, die "große Entwicklung und Üppigkeit der Kultur" mehr zu fördern. Ziel sei, die "nationale Kultursicherheit" und das Ansehen Chinas im Ausland zu stärken. Liao flüchtete im Juli nach Deutschland. Am Montag (14. November) erhielt der 53-Jährige in München den mit 10.000 Euro dotierten Geschwister-Scholl-Preis. Er sehe die Ehrung als "Botschaft an die Schriftsteller im chinesischen Untergrund, dass am Ende die Freiheit siegen wird", sagte Liao Yiwu in seiner Dankesrede in der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität. Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller würdigte in ihrer Laudatio das Engagement des Preisträgers für die Achtung der Menschenrechte in China.
In seinem Buch "Für ein Lied und hundert Lieder" beschreibt Liao in drastischer Klarheit die Brutalität und Erniedrigungen seiner vierjährigen Haftzeit von 1991 bis 1994. Es ist in seiner Heimat verboten, ebenso wie einige seiner früheren Werke. In seiner Heimatstadt Chengdu hatten Polizisten den Dichter und Musiker immer wieder schikaniert und bedroht, falls er es wagen sollte, seine Gefängnis-Erinnerungen im Ausland herauszubringen.
Erst als er auf verschlungenen Wegen über Vietnam nach Deutschlang gelangt war, konnte er eine deutsche und eine amerikanische Ausgabe unbeschadet publizieren. "Für einen Schriftsteller, vor allem für einen, der sich als Zeugen der Geschehnisse in China begreift, bedeuten Rede- und Publikationsfreiheit mehr als das Leben selbst", begründete Liao seinen Entschluss zur Flucht in einem Essay in der "New York Times".
Reportagen machen Yiwu bekannt
International bekanntgeworden war er 2009 mit seinen Reportagen über Chinesen am unteren der Gesellschaft. Sie erschienen unter dem Titel "Fräulein Hallo und der Bauernkaiser". Er wolle nicht, wie sein Freund, der Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo, noch einmal im Gefängnis für seine Ideen büßen, schrieb Liao nun. Aber er fühle sich doch "dafür verantwortlich, die Welt über das wirkliche China zu informieren, das sich hinter der Illusion eines Wirtschaftsbooms versteckt - ein China, das die brodelnde Ablehnung gleichgültig hinnimmt, die ihm aus der einfachen Bevölkerung entgegengebracht wird."
Liao stammt aus einer Familie von Theater- und Peking-Oper-Leuten aus der Yangtse-Region. Er hatte in seiner Jugend die ideologischen Kampagnen Mao Tse-tungs mit ihren Massenspektakeln zur Denunziation angeblicher Klassenfeinde und die Kämpfe in der sogenannten Kulturrevolution (1966-1976) erlebt.
Nervenkraft, Beharrlichkeit
Nach der Schule schaffte er die Aufnahmeprüfung zur Universität nicht, schlug sich mit allerlei Jobs durch, bis er durch seine Lyrik auffiel und eine Anstellung in einem Verlag erhielt. Ins Visier der Behörden geriet er, als er nach der blutigen Niederschlagung der Demokratiebewegung am 4. Juni 1989 das lange Klage-Gedicht "Massaker" schrieb und vertonte, das schnell auf Kassetten kopiert im Land kursierte. Dieses Gedicht - und der mit Freunden gemeinsam aufgenommene Film "Requiem" - war der Grund für seine Inhaftierung im März 1991 und seine Verurteilung als "Konterrevolutionär". Bis dahin hatte er sich nie sehr für Politik interessiert und auch nicht Protestdemonstrationen teilgenommen.
Liao: "Ich bin Individualist, das Vagabundentum steckt mir noch im Blut, und nur als es zu einer dramatischen Kollision zwischen der Staatsideologie und meiner Eigenart als Dichter gekommen ist, blieb mir nichts anderes übrig, als mich zu wehren und sogar bis zur Selbstzerstörung Widerstand zu leisten."
Seine Gefängnis-Erinnerungen sollten nicht nur die Rechtlosigkeit und Grausamkeit des chinesischen Haftregimes offenlegen, sondern auch die Geschichten seiner Mitgefangenen festhalten - vor allem der politischen Häftlinge. Deren größte Angst sei es, schreibt Liao aus eigener Erfahrung, vergessen zu werden: "Wir hoffen, die draußen erinnern sich daran, dass wir wegen unseres Gewissens, wegen der Gerechtigkeit und der Wahrheit in die Fänge dieser Wirklichkeit geraten sind." Dass Liao sein Gefängnis-Buch am Ende doch noch veröffentlichen konnte, verdankt der Autor enormer Nervenkraft, Beharrlichkeit und seinem erstaunlichen Gedächtnis: Mehrmals war das Manuskript ganz oder teilweise von der Polizei konfisziert worden. Liao schrieb es neu.
Geschwister-Scholl-Preis für Liao Yiwu
Gefängnis-Tagebuch gegen das Vergessen
Die größte Angst der Häftlinge ist es, von der Außenwelt vergessen zu werden. Das weiß der chinesische Autor Liao Yiwu aus eigener Erfahrung. Doch in China durfte sein Gefängnis-Tagebuch nicht erscheinen. Er floh nach Deutschland und wird nun für seine Aufzeichnungen geehrt.
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