Germanist erzählt Biografie des Deutschen

Aus fremden Sprachen vollgesaugt

Die Rede ist von einem Sprachenwunder. "Alle wurden mit dem Heiligen Geist erfüllt und begannen in fremden Sprachen zu reden", heißt es in der Bibel über den Ursprung des Pfingstfestes. Ein Sprach-Wunder anderer Art beschreibt das gerade erschienene Buch "Deutsch - Biografie einer Sprache".

Autor/in:
Christoph Arens
 (DR)

Der Kölner Germanist Karl-Heinz Göttert zeigt darin, wie sehr auch die deutsche Sprache in ihrer mehr als 1.000-jährigen Geschichte mit fremden Zungen zu reden gelernt hat. Und wie stark neben dem Reformator Martin Luther auch Mönche und Mystiker am Haus der deutschen Sprache mitgebaut und zu ihrer Ausdruckskraft beigetragen haben.

"Die deutsche Sprache war von Anfang an eine Sprache in Kontakt", schreibt der Germanist. "Sie nahm nicht nur ein paar Brosamen von hier und da auf, sondern ernährte sich munter von den Tischen der anderen." Vor allem vom Latein natürlich. Für Göttert sind die mittelalterlichen Mönche in den Skriptorien die Geburtshelfer des Deutschen, indem sie an den Rand von lateinischen Urkunden und Texten deutsche Übersetzungen schrieben und ganze Wörterbücher - Glossare - erstellten.

Mit Christianisierung neue Herausforderung
Als die Geschichte des Deutschen zwischen dem 6. und 8. Jahrhundert begann, hatte die überlegene Kultur der Römer schon viele Begriffe geprägt. Der Hausbau war latinisiert: von der Mauer über den Kalk bis zum Keller. Auch Handel und Verkehr strotzten vor Abwandlungen aus dem Latein - beispielsweise durch Wörter wie Straße und Meile.

Mit der Christianisierung aber entstand eine ganz neue Herausforderung: Das christliche Weltbild musste in den deutschen Wortschatz eingemeindet werden. Begriffe wie Kloster (claustrum) oder Mönch (monachus) stammen direkt aus dem Lateinischen. Worte wie Großmut (magnanimitas) oder Gewissen (conscientia) wurden dem Lateinischen nachgebaut. Und wieder andere Bedeutungen wurden bestehenden deutschen Wörtern aufgepfropft. Das erste überlieferte deutsche Wort, so Göttert, lautet "Demut".

Große Bedeutung für die Entwicklung des Deutschen spricht der Autor - neben der französischen höfischen Kultur und dem Minnegesang - auch der Mystik zu. Sie strebte eine innige persönliche Beziehung zu Gott an und suchte nach Begriffen, um Gefühle auszudrücken. Zum Glück für das Deutsche war die frühe Mystik weiblich: Weil die Frauen meist von lateinischer Bildung abgeschnitten waren, mussten sie sich in der Muttersprache ausdrücken. Und dabei ganz neue Worte erfinden. Bei Mechthild von Magdeburg etwa lässt sich noch heute nachlesen, wie sich Entzücken und Verzagtheit im mittelalterlichen Deutsch anhörten.

Die Bedeutung Luthers
Natürlich kommt keine deutsche Sprachgeschichte ohne Luther aus. Doch Göttert mahnt zur Zurückhaltung: Der Reformator sei weder der Schöpfer noch der Verderber des modernen Deutsch, schreibt er. Luther habe jedoch Deutschland auf den Weg zu einem sprachlich geeinten Land gebracht. Zwar gab es vor der Lutherbibel schon 72 Verdeutschungen - bahnbrechend war die Übersetzung des Reformators aber deshalb, weil er die Heilige Schrift nicht wörtlich übersetzt und den Text nicht als Gegenstand der Verehrung betrachtet habe. Es sei ihm darauf angekommen, klar und verständlich zu formulieren. Wer den Sinn übersetzen wolle, dürfe sich nicht an Wörter klammern.

Bei seiner Übersetzung wählte Luther geschickt den jeweils passenden mittel-, ober- oder niederdeutschen Ausdruck: also Lippe statt Lefze, Träne statt Zähre und gefallen statt behagen. Besonders kreativ war der Reformator mit seinen Wortzusammensetzungen: Blutgeld, Feuereifer und Herzenslust stammen laut Göttert ebenso von ihm wie Menschenfischer, Lockvogel oder wetterwendisch.

Götterts Gang durch die Biografie der deutschen Sprache ist faszinierend. Dabei bezieht der Germanist ganz eindeutig Position gegen Kulturkritiker, die das Deutsch schon als Opfer allgegenwärtiger Anglizismen sehen und ihm keine Zukunft geben. Eine reine Sprache habe es nie gegeben, betont er. Das Deutsche habe sich immer wieder regelrecht vollgesaugt mit Begriffen anderer Sprachen - um sie dann zu integrieren oder wieder abzustoßen.