Gerichte bestätigen Regeln - und Politiker wollen sie ändern

Tauziehen um künstliche Befruchtungen

Es ist schon paradox: Einerseits sind die höchsten deutschen Gerichte gerade dabei, die geltenden Regelungen zur künstlichen Befruchtung zu bestätigen. Andererseits gefallen sich zahlreiche Politiker derzeit darin, diese Regeln als ungerecht und kontraproduktiv zu kritisieren.

Autor/in:
Christoph Arens
 (DR)

Am Donnerstag entschied das Bundesverfassungsgericht, dass Paare mit unerfülltem Kinderwunsch keinen Rechtsanspruch darauf haben, dass die gesetzliche Krankenkasse die Kosten für eine künstliche Befruchtung vollständig übernimmt. Die Richter bestätigten damit die von der rot-grünen Bundesregierung 2004 beschlossene Reform, nach der Paare die Hälfte der Behandlungskosten selbst übernehmen müssen - das sind pro Behandlungszyklus 1.700 bis 1.800 Euro. Zudem zahlen die Krankenkassen seitdem den Zuschuss nur für die ersten drei Zyklen.

Das Gericht betonte am Donnerstag, es sei verfassungskonform, wenn der Gesetzgeber eine künstliche Befruchtung nicht als Behandlung einer Krankheit einstufe. Eine Reagenzglasbefruchtung beseitige keinen "regelwidrigen körperlichen Zustand, sondern umgeht ihn mit Hilfe medizinischer Technik, ohne auf dessen Heilung zu zielen". Deshalb seien die Krankenkassen anders als bei der Heilung von Krankheiten nicht zur Finanzierung verpflichtet.

Dieses Urteil liegt auf einer Linie mit einem Richterspruch von 2007. Damals hatte das Verfassungsgericht entschieden, dass die medizinische Überwindung von natürlicher Kinderlosigkeit nicht als Therapie anzusehen sei. Daher dürfe der Gesetzgeber die Krankenkassenzuschüsse auch auf verheiratete Paare beschränken. Anfang März bestätigte auch das Bundessozialgericht in Kassel die geltende Regelung: Es sei kein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz, wenn die Kassen bei über 40 Jahre alten Frauen nicht für eine künstliche Befruchtung zahlten, entschieden die Richter.

Was die Juristen beschließen, ist das eine. Doch der Druck auf die Politik steigt, die künstliche Befruchtung wieder stärker finanziell zu unterstützen.Argumente dafür liefert nicht nur die nach wie vor geringe Geburtenrate. In Deutschland sind nach Schätzungen zwischen
1,4 und 2 Millionen Paare ungewollt kinderlos. Tendenz steigend, unter anderem, weil viele ihren Kinderwunsch erst sehr spät verwirklichen wollen.

Vor diesem Hintergrund erscheint es vielen als absurd, dass Staat und Krankenkassen sich aus der finanziellen Unterstützung der künstlichen Befruchtung zurückgezogen haben. In Deutschland kamen zwischen 1997 und 2005 mehr als 93.000 Kinder zur Welt, die durch eine Reagenzglasbefruchtung gezeugt wurden, so das Deutsche In-vitro-Fertilisations-Register (DIR) in Bad Segeberg. Die Reform von 2004 aber sorgte für einen drastischen Rückgang, weil viele Paare sich die Behandlung seitdem nicht mehr leisten können. Im Jahr 2003 waren 16.961 Kinder nach künstlicher Befruchtung auf die Welt gekommen, im darauffolgenden Jahr waren es nur noch knapp 10.000.

Seitdem häufen sich die Appelle von Politikern, die Behandlung ungewollter Kinderlosigkeit wieder stärker zu fördern - eine Forderung, für die sich auch Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (CDU) stark macht. Die Gesellschaft lasse die Finanzierung von Abtreibungen durch die Krankenkassen zu; der Kinderwunsch werde jedoch finanziell bestraft, brachte es der Bundesvorsitzende der Senioren-Union der CDU, Otto Wulff, auf den Punkt.

Ganz unterschiedliche Finanzierungsmodelle sind im Gespräch. Dass die Kassen wieder mehr schultern, lehnt Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) zwar ab. Doch ob das nach der Bundestagswahl noch gilt, ist ungewiss. Diskutiert wird auch eine Bezuschussung durch Steuergelder. Vorbild ist dabei der Freistaat Sachsen, der ungewollt kinderlosen Paaren seit Anfang März anteilig die Kosten für künstliche Befruchtungen erstattet. Der hessische Familienminister Jürgen Banzer (CDU) brachte am Mittwoch eine bundesweite Stiftung oder einen Fonds ins Gespräch. Woher das Geld dafür kommen soll, sagte er allerdings nicht.