Künstliche Befruchtung erneut in der Diskussion

Das Kind mit dem Bade ausgeschüttet?

In Deutschland sind nach unterschiedlichen Schätzungen zwischen 1,4 und 2 Millionen Paare ungewollt kinderlos - Tendenz steigend. Für viele bleibt als letzte Möglichkeit eine künstliche Befruchtung. Doch hohe Kosten schrecken ab. Ob das so bleibt, ist allerdings fraglich.

Autor/in:
Christoph Ahrens
 (DR)

"Hallo! bin schon langsam am verzweifeln, wir üben nun schon 3 jahre an unserem wunschkind, haben zahlreiche hormonbehandlungen etc. durchgeführt. will aber nicht klappen." Verzweifelte Hilferufe von Paaren, die gern ein Kind hätten, finden sich in Internetforen wie "netmoms.de" zuhauf. In Deutschland sind nach unterschiedlichen Schätzungen zwischen 1,4 und 2 Millionen Paare ungewollt kinderlos - Tendenz steigend, unter anderem, weil viele ihren Kinderwunsch erst sehr spät verwirklichen wollen. Für manche von ihnen bleibt als letzte Möglichkeit eine künstliche Befruchtung. Doch hohe Kosten schrecken ab.

Ob das so bleibt, ist allerdings fraglich. Am Montag machte sich auch Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (CDU) für mehr Unterstützung dieser Paare stark. Zuvor hatte das Bundesland Sachsen die Bundespolitik unter Zugzwang gesetzt: Ab März will der Freistaat bei verheirateten Paaren, die ihren Kinderwunsch mittels künstlicher Befruchtung erfüllen wollen, deren Eigenanteil an den Behandlungskosten aus Steuermitteln übernehmen. Schon im vergangenen Sommer hatte der Bundesrat einem Antrag von Thüringen, Sachsen und dem Saarland zugestimmt, wonach die Kosten für künstliche Befruchtung wieder vollständig von den Krankenkassen übernommen werden sollen.

Die Zahl der künstlichen Befruchtungen im Sturzflug
Allein in Deutschland kamen zwischen 1997 und 2005 mehr als 93.000 Kinder zur Welt, die durch eine Reagenzglasbefruchtung gezeugt wurden, so das Deutsche In-vitro-Fertilisations-Register (DIR) in Bad Segeberg. Doch seit dem Jahr 2004 befindet sich die Zahl der künstlichen Befruchtungen im Sturzflug. Denn seit dem Gesundheitsmodernisierungsgesetz (GMG) müssen Paare die Hälfte der Behandlungskosten selbst übernehmen - das sind pro Behandlungszyklus 1.700 bis 1.800 Euro. Zudem zahlen die Krankenkassen den Zuschuss nur für die ersten drei Zyklen.

Um 43 Prozent seien die künstlichen Befruchtungen seitdem zurückgegangen, heißt es beim DIR. Im Jahr 2003 waren 16.961 Kinder nach künstlicher Befruchtung auf die Welt gekommen, im darauf folgenden Jahr waren es nur noch knapp 10.000. Ein drastischer Rückgang, auf den der saarländische Minister für Bundesangelegenheiten, Karl Rauber (CDU), im vergangenen Jahr mit den Worten reagierte, der Gesetzgeber habe 2004 "das Kind mit dem Bade ausgeschüttet".

Das sieht Familienministerin von der Leyen offenbar ähnlich: Sie lobte am Montag vor Journalisten in Berlin den sächsischen Weg und erklärte, Versuche einer staatlichen Unterstützung mit Eigenbeteiligung seien "durchaus denkbar". Auch Bundesländer wie Nordrhein-Westfalen oder Hessen prüfen jetzt, ob sie dem Beispiel Sachsens folgen.

Die katholische Kirche lehnt künstliche Befruchtung ab
Landesregierungen wie das Saarland oder Niedersachsen dagegen fordern eine Rückkehr zur Kostenübernahme durch die Krankenkassen.  Dagegen allerdings wehrt sich das Bundesgesundheitsministerium: "Es ist weiterhin Haltung des Ministeriums, dass die Einschränkungen aus dem Jahr 2004 richtig waren, weil es sich im Wesentlichen um eine familienpolitische und damit versicherungsfremde Leistung handelt", sagte eine Sprecherin von Ministerin Ulla Schmidt der "Thüringer Allgemeinen" (Montag).

Das weltweit erste Retortenbaby war Louise Brown, die am 25. Juli 1978 in Großbritannien zur Welt kam. Weltweit wird die Zahl der Retortenkinder mittlerweile auf mehr als 3,5 Millionen geschätzt. Die katholische Kirche lehnt künstliche Befruchtung als Weg der menschlichen Fortpflanzung ab. Noch im Dezember hatte der Vatikan alle Praktiken als unethisch verworfen, die mit der Vernichtung von Embryonen einhergehen oder die Zeugung vom ehelichen Geschlechtsakt abkoppeln. Der Kinderwunsch eines Paares stehe nicht über der Würde des gezeugten Lebens, betonte die Glaubensbehörde.