Generalvikar Pfeffer will Mentalitätswandel im Bistum Essen

"Aus der Vergangenheit lernen"

Das Bistum Essen hat seine Missbrauchsstudie vorgestellt, die vor allem zeigt, dass sexualisierte Gewalt systemische Ursachen hat. Der Essener Generalvikar wünscht sich deshalb einen grundlegenden Wandel im Denken auf allen Ebenen.

Franz-Josef Overbeck, Bischof von Essen (l.); Klaus Pfeffer, Generalvikar von Essen (r.) / © Andre Zelck (KNA)
Franz-Josef Overbeck, Bischof von Essen (l.); Klaus Pfeffer, Generalvikar von Essen (r.) / © Andre Zelck ( KNA )

DOMRADIO.DE: Die Glorifizierung des Bistums Essen wird ab heute aufhören müssen, sagen Sie. Das ist etwas, was für uns als Außenstehende schwer nachzuvollziehen ist. Was genau muss sich ab jetzt ändern?

Klaus Pfeffer (Generalvikar im Bistum Essen): Es bezieht sich auf die Bistumsgeschichte, die sehr von den Gründerjahren mit Bischof Hengsbach geprägt war. Das Bistum Essen ist ja als ein Bistum gegründet worden, das die Ruhrgebietsidentität aufgreifen sollte. Das waren tolle Aufbruchjahre. Bischof Hengsbach war eine sehr prägende Gestalt auch für das Ruhrgebiet, sehr bodenständig, er hatte eine Verbundenheit zu den Arbeitern.

Das wird in der Rückschau manchmal doch sehr idealisiert. Die Schattenseiten dieser Geschichte, die es auch jetzt ohne diesen Missbrauchsskandal schon gab, wurden immer ausgeblendet.

Es gab viele ältere Priester, die erzählen, wie Bischof Hengsbach mit ihnen umgegangen ist. Er war ein sehr fürstlicher Bischof, sehr bestimmend und auch sehr autoritär geprägt. Das war aber kaum aussprechbar, weil er zu einer solch idealisierten Gestalt des Ruhrgebiets gehört.

Jetzt wird auf einmal deutlich, dass dieses Bistum ausgerechnet in dieser Zeit unter seiner Führung auch von ganz schrecklichen Missbrauchsfällen geprägt war, von einer Überhöhung des Priesteramtes mit ganz gefährlichen Auswirkungen.

Das muss man einfach mal ehrlich benennen und muss aufhören, so zu tun, als sei dieses Bistum ein besonderes. Das wirkt noch ein bisschen nach: Wir sind das Ruhrgebiet, bodenständig. Das ist uns allen, glaube ich, etwas in Fleisch und Blut übergegangen.

Das wird mit dem heutigen Tag sehr erschüttert, weil uns das auch bis heute weiter prägt. Es ist ja nicht so, dass das alles vorbei wäre.

DOMRADIO.DE: Sie sind Teil des Systems. Was hat sich in Ihrer persönlichen Einstellung zu dem Thema verändert?

Pfeffer: Seit 2010 bin ich in der Verantwortung und bin von Jahr zu Jahr mehr mit diesen ganzen Abgründen konfrontiert worden. Das hat mich an vielen Stellen Jahr zu Jahr mehr erschüttert.

Auch mein Ideal von Kirche, mein Ideal des Priesterberufs, ist erschüttert. Vor allem, weil ich auch erkannt habe, dass diese unglaubliche Idealisierung problematisch ist. Uns wird ja mit der Weihe theologisch zugesprochen, dass wir wesensmäßig verändert sind, ein unauslöschliches Prägemal, das sind so theologische Vokabeln. Wir werden manchmal auf einem Tablett getragen.

Heute ist es nicht mehr ganz so, wie das in früheren Jahren war. Aber das hat die Studie auch gezeigt, wie die Priesterausbildung gelaufen ist. Die habe ich auch durchlaufen.

Da jetzt zu merken, dass das unglaublich gefährlich ist, dass das Menschen, die auch noch narzisstisch veranlagt sind, ausnutzen, das muss aufhören. Von daher, glaube ich, zeigt diese Studie, wie eng der Zusammenhang dieses Missbrauchsskandals mit systemischen Hintergründen, mit einer Idealisierung des Priestertums ist.

Die Studie blickt sehr intensiv auch in die Priesterausbildung, auch in die Frage von Sexualität und Zölibat. Ich glaube, das muss sich sehr gründlich innerkirchlich angeguckt werden, damit wir hier zu radikalen Veränderungen kommen.

DOMRADIO.DE: Sie sprechen die systemischen Ursachen an, es war heute explizit nicht das Ziel, konkrete Beschuldigte und konkrete Veränderungen anzusprechen. Trotzdem sind das die Fragen, die sich in der Öffentlichkeit gestellt werden. Können Sie diese Ungeduld, diesen Frust in der Gesellschaft verstehen?

Pfeffer: Das ist ja sehr konkret. Wenn Sie sich die Fallanalysen anschauen. Die gehen durch alle Episoden der Bistumsgeschichte durch, und da werden auch zumindest die führenden Personen benannt. Die Personalverantwortlichen haben wir heute auch in den Unterlagen benannt. Die sind bekannt. Von daher kann man schon sehr deutlich erkennen, wie da von den Verantwortlichen auf der Leitungsebene des Bistums gehandelt wird.

Die Frage, die dann immer wieder gestellt wird, was es da für Konsequenzen gibt, ist natürlich schwierig bei denjenigen, die verstorben sind, zu beantworten.

Dann haben wir noch einige, die älter sind, die im Ruhestand sind, die teilweise sehr alt sind. Da sehe ich schon die Verantwortung, dass wir auch mit dem Bischof darüber nachdenken müssen, wie wir mit diesen Personen ins Gespräch kommen. Bestrafen wird da nicht mehr gehen.

Da bin ich auch im Zweifel, wie das arbeitsrechtlich überhaupt gehen soll, wenn deutlich wird, dass es handelnde Personen gibt, die aber mit anderen zusammen gehandelt haben. Das ist immer eine juristisch sehr, sehr schwierige Abwägung. Wer trägt denn da nun eigentlich die Schuld, die Verantwortung? Wer hat wen beauftragt? Das war bei der juristischen Aufarbeitung eines Falles von vor wenigen Jahren auch eine explizite Herausforderung.

Ansonsten, finde ich, haben auch manche Studien gezeigt, dass es nicht damit getan ist, ein paar Leute irgendwie an den Pranger zu stellen und anschließend im System alles so zu belassen, wie es ist. Wir wollen aus dieser Studie, aus diesen Vorgängen der Vergangenheit lernen und diese Kirche, dieses Bistum verändern. Nur das hilft, damit wir wirklich sicherstellen können, dass sich diese Verbrechen nicht wiederholen.

DOMRADIO.DE: Was muss morgen anders laufen im Bistum Essen, als es gestern gewesen ist?

Pfeffer: So viele Menschen wie möglich in diesem Bistum müssen die Perspektive der Betroffenen einnehmen, müssen verstehen, was diese Menschen erlitten haben und erleiden. Das wissen noch viel zu wenige, um daraus eine Haltung zu entwickeln, dass wir diese Kirche verändern wollen.

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.

Essener Missbrauchsstudie greift zwei bekannte Fälle heraus

Sozialforschende haben Missbrauchsfälle im Bistum Essen aufgearbeitet. Ihnen geht es um die Strukturen, die Taten begünstigten. Zwei Bischöfe haben bereits Fehler eingeräumt.

Wieder wird es um sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche gehen. Wieder werden Betroffene Schmerz und Wut zum Ausdruck bringen, Kirchenvertreter ihre Betroffenheit ausdrücken und Bischöfe ihren eigenen Umgang mit beschuldigten Priestern erklären müssen. Am 14. Februar stellt ein sozialwissenschaftliches Team aus München seine Missbrauchsstudie für das Bistum Essen vor.

Ein Plakat, brennende Opferlichter und ein symbolischer Sarg bei einer Kundgebung von Betroffenen sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche am 21. Januar 2022 vor dem Essener Dom. / © Andre Zelck (KNA)
Ein Plakat, brennende Opferlichter und ein symbolischer Sarg bei einer Kundgebung von Betroffenen sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche am 21. Januar 2022 vor dem Essener Dom. / © Andre Zelck ( KNA )
Quelle:
DR