Gedenkstättenleiter warnt vor "Zwangsführungen" für Flüchtlinge

"Nur Freiwilligkeit hilft"

Dieser Vorschlag aus Kreisen der Politik und Gesellschaft stößt nicht nur auf Gegenliebe: Der Leiter der KZ-Gedenkstätte Bergen-Belsen, Jens-Christian Wagner, warnt davor, Flüchtlinge zu Besuchen in NS-Gedenkstätten zu verpflichten.

Autor/in:
Martina Schwager
KZ-Gedenkstätte Bergen-Belsen / © Holger Hollemann (dpa)
KZ-Gedenkstätte Bergen-Belsen / © Holger Hollemann ( dpa )

Er und seine Kollegen seien generell gegen "Zwangsführungen", sagte der Historiker im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Er halte deshalb auch nichts davon, solche Besuche in den verpflichtenden Lehrplan von Integrationskursen aufzunehmen. Freiwilligkeit sei eine Grundvoraussetzung für politische Bildung.

Gezielte Maßnahme gegen Antisemitismus?

Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz (SPD), und der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, hatten sich in Interviews dafür ausgesprochen, mit Flüchtlingen jüdische Gedenkstätten zu besuchen. Schuster hatte gefordert, gezielter gegen Antisemitismus von muslimischen Flüchtlingen vorzugehen.

Die Idee, Gedenkstättenkurzbesuche als "demokratische Schutzimpfung" zu sehen, sei naiv, sagte Wagner, der auch Geschäftsführer der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten ist. "Jemand mit gefestigtem antisemitischem oder rassistischem Gedankengut kommt nicht nach zwei Stunden Bergen-Belsen als geläuterter Demokrat wieder heraus." Deshalb werde es auch jedem Mitglied einer Gruppe oder Schulklasse, die sich zu Führungen angemeldet hätten, freigestellt, draußen zu warten. Tatsächlich passiere es immer wieder einmal, dass jemand äußere, er habe "keine Lust".

Themen in Integrationskursen behandeln

Wagner betonte, er würde es allerdings begrüßen, wenn Nationalsozialismus und Holocaust in Integrationskursen umfassend behandelt werden. Dabei sollten auch die jeweiligen Fluchtgeschichten der Teilnehmer berücksichtigt werden, sagte der Historiker: "Im Rahmen eines langfristig angelegten Projektes kann ein Gedenkstättenbesuch dann sogar sehr sinnvoll sein - vorausgesetzt er ist freiwillig." Solche gut vor- und nachbereiteten Besuche gebe es bereits vereinzelt.

Darüber hinaus warnte der Gedenkstättenleiter davor, unter Hinweis auf einen mutmaßlichen Antisemitismus unter Migranten vom deutschen Antisemitismus abzulenken. "Es ist wohlfeil, immer auf die angeblich bösen Migranten zu zeigen. Hier sollte man differenzieren, um nicht von der falschen Seite, etwa von der AfD, Beifall zu erhalten."


Jens-Christian Wagner / © Holger Hollemann (dpa)
Jens-Christian Wagner / © Holger Hollemann ( dpa )
Quelle:
epd