Gastkommentar zum Friedenswort der deutschen Bischöfe

An der Bergpredigt und der Expertise der kritischen Friedensforschung vorbei

Mit einem "Friedenswort" haben sich die deutschen Bischöfe zum Einsatz militärischer Gewalt geäußert. Der Theologe und Politologe Egon Spiegel blickt kritisch auf das Schreiben der Bischöfe. Ein Gastkommentar.

Autor/in:
Egon Spiegel
Das Friedenswort "Friede diesem Haus" wurde heute (21. Februar 2024) in einer Pressekonferenz während der Frühjahrs-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz von Bischof Georg Bätzing (3.v.r.), Bischof Bertram Meier (2.v.r.) und Prof. Dr. Heinz-Günther Stobbe (3.v.r.) vorgestellt. Der Text steht in der Tradition der friedensethischen Grundlagentexte „Gerechtigkeit schafft Frieden“ (1983) und "Gerechter Friede" (2000). / © Marko Orlovic (DBK)
Das Friedenswort "Friede diesem Haus" wurde heute (21. Februar 2024) in einer Pressekonferenz während der Frühjahrs-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz von Bischof Georg Bätzing (3.v.r.), Bischof Bertram Meier (2.v.r.) und Prof. Dr. Heinz-Günther Stobbe (3.v.r.) vorgestellt. Der Text steht in der Tradition der friedensethischen Grundlagentexte „Gerechtigkeit schafft Frieden“ (1983) und "Gerechter Friede" (2000). / © Marko Orlovic ( DBK )

Im Rahmen einer umfänglichen Tour d'Horizon durch die bekannten globalen und regionalen Konfliktfelder haben sich die deutschen Bischöfe in einem soeben veröffentlichten "Friedenswort" insbesondere zum Einsatz militärischer Gewalt klar positioniert. Diese haben sie im Sinne der klassischen Ausnahme – einschließlich damit zusammenhängender Rüstungsaktivitäten und -transfers (als "moralisches Übel") – mit vor allem dem Argument eines Rechts auf Selbstverteidigung legitimiert.

Prof. Egon Spiegel / © Egon Spiegel (privat)
Prof. Egon Spiegel / © Egon Spiegel ( privat )

Keine neuen Impulse

Überraschend Neues kann man den Ausführungen nicht entnehmen, eine ethische Alternative zu den im Blätterwald vertretenen Standpunkten sucht man vergebens. Rückgriffe auf die Kerninhalte der Friedensprogrammatik Jesu – Fehlanzeige. Von der Bergpredigt mit ihren Seligpreisungen jener, die auf Gewalt verzichten, keine Spur. 

In einem späteren historischen Rückblick wird man auch dieses Wort als bloße, nicht wirklich weiterführende, ebenso wortreiche wie blasse Rhetorik erinnern. Militärische Gewalt als Ausnahme – das vertreten, in Anlehnung an ein Zitat aus der Bergpredigt, "sogar die Heiden, die Gott nicht kennen". 

Abgrenzung von einem imaginären pazifistischen "Lager"

Ins Auge sticht allerdings im Friedenswort die durchgängig defensive, implizite wie explizite, Abgrenzung von einem imaginären pazifistischen "Lager" mit den dort vorausgesetzten Positionen. Reiben sich die Bischöfe an mit dem Schlagwort "Pazifismus" gebündelten Überzeugungen an Stelle einer fundamentalen Beschäftigung mit der originären Friedensethik Jesu und ihren politischen Folgerungen? 

Ebenso redundant wie lapidar und ohne – zumindest – eine sachdienliche bibeltheologische bzw. exegetische Einlassung auf die erhellenden Texte wird Jesu konsequente Ablehnung jeder Art von Gewalt mit Hinweis auf eine besondere, zeitspezifische Herausforderung und die Notwendigkeit einer moraltheologischen Fortschreibung eines urkirchlich praktizierten Gewaltverzichtspostulats zu einer Ethik bedingter Gewaltanwendung ausgehebelt. 

Dabei wird völlig verkannt, dass nicht nur in der subjektiven Wahrnehmung Jesu, der Urgemeinde und der Christen/innen der ersten Jahrhunderte die Welt in Flammen stand, diese aber ungeachtet dessen der Gewalt abschworen. 

Expertise der kritischen Friedensforschung fehlt

Für die Ansicht, dass die von den Bischöfen mehrfach artikulierte Einladung an das pazifistische Lager zu einem kritischen Diskurs nicht über eine joviale Gestik, die auch als zynisch verstanden werden könnte, hinausgeht, spricht, dass dieses Lager nicht durch – wenigstens – eine einzige ihm zurechenbare Person zur Mitarbeit am Friedenswort eingeladen wurde. Hier hätte doch das Gespräch, wenn es wirklich gewollt wäre, beginnen können. 

So begnügt sich das Friedenswort, einer einseitigen Beratung geschuldet, mit friedenswissenschaftlichem Halbwissen und einem durch Fachfremde vorgetragenes und dementsprechend defizitäres Gewaltfreiheitsverständnis. Die Expertise der kritischen Friedensforschung – mit ihren unzähligen Studien zur gewaltfreien Konfliktlösung – bleibt außen vor. 

Gewaltfreiheit und Selbstverteidigung

Selbstverständlich geht es auch der Gewaltfreiheit – unzählige Male dokumentiert – um Selbstverteidigung. Einer exklusiven Inanspruchnahme des Rechts auf Selbstverteidigung zur Legitimierung militärischer Gewalt ist damit der Boden entzogen. Weiter: das der Lehre vom gerechten Krieg entnommene Argument, dass erst dann zu militärischen Mitteln der Konfliktlösung gegriffen werden darf, wenn alle anderen erschöpft sind, ist in der Praxis alles andere als geeignet, den Einsatz militärischer Gewalt zu rechtfertigen. 

In der Regel – eigentlich immer – wurden gewaltfreie Konfliktlösungsstrategien nicht einmal ansatzweise erprobt, geschweige ihr breites Spektrum an Handlungsalternativen ausgeschöpft, bevor die Entscheidung zur militärischen Verteidigung erging. Dass gewaltfreies Handeln hinsichtlich seiner Praktikabilität ein Mindestmaß an ethischer Verantwortung im Gegenüber zur Voraussetzung hat, ist ein typisches Missverständnis der Gewaltfreien Aktion. Diese agiert unilateral und bedingungslos. Es führt zu weit, hier darüber hinaus die strukturellen Dimensionen der Gewaltfreiheit auch nur anzudeuten.

Gewaltverzicht Jesu

In an chinesischen Universitäten gehaltenen Vorlesungen erläutere ich die jesuanische Friedensprogrammatik anhand eines Fensterbildes aus der Friedenskirche in Taizé. Es zeigt Jesus auf einem Esel – eine Symbolhandlung in der Fluchtlinie der prophetischen Kritik militärischer Gewalt durch die Ablehnung des Pferdes als Kriegspferd und das Vertrauen darauf als atheistisch. 

Die Bergpredigt, die Seligpreisung der Gewaltfreien, die Feindesliebe als eine ethische Konsequenz jesuanischer Reich Gottes Eschatologie sind Kernthemen theologischer Vorlesungen. Ihre professionelle Behandlung in Studienseminaren und in der schulischen Praxis verlangen den Beteiligten ein hohes Maß an Einfühlung und letztlich Zustimmung zum Gewaltverzichtspostulat Jesu und seiner biblisch bezeugten Realisierung ab. Sollten alle diese Bemühungen durch politische Praxis und die Relativierung der Botschaft Jesu immer wieder neu konterkariert und ad absurdum geführt werden? 

Vertane Chance oder Möglichkeit für mehr?

Mit ihrem Friedenswort vertreten die Bischöfe sicherlich einen Teil, einen Großteil ihrer Kirche. Ein nicht unbeträchtlicher Teil wird sich indes ratlos zurückgelassen sehen. Hier hoffen Menschen auf eine Orientierung, die über das, was ihnen in der Tagespresse begegnet, hinausgeht: auf Impulse und Perspektiven, die an ihre Erfahrungen einer gewaltfreien Lebens- und Weltgestaltung anknüpfen, sie mutig aufnehmen und einfallsreich weiterführen. Was sie mit dem Friedenswort bekommen haben, ist allerdings das nicht nur heute, sondern seit Menschengedenken Gängige. 

Braucht es dafür aber die Kirche? Wieder einmal wurde eine Chance vertan. Allerdings: die auffallend angestrengte Auseinandersetzung mit einem gespenstartig gegenwärtigen "Pazifismus" könnte den Beginn einer Zeitenwende (auch) in der katholischen Friedensethik markieren und eine Entwicklung einläuten, die über das bloße Plädoyer für einen "Frieden" – mit der Legitimierung von Gewalt als Ausnahme – hinaus auf ein Plädoyer für Gewaltverzicht im Sinne Jesu zielt. Alles daran zu setzen, genau dieses zu entwerfen und kreativ umzusetzen, dafür könnte die Kirche ein berufener Ort sein.   

Zum Autor: Prof. Dr. Prof. h.c. Egon Spiegel, Diplomtheologe, Diplompolitologe, ausgebildeter Pastoralreferent, Advisory Professor am UNESCO-Lehrstuhl für Friedenswissenschaft der Nanjing University, Nanjing/China, bis 2022 Inhaber des Lehrstuhls für Praktische Theologie der Universität Vechta.

Weitergehende Literaturauswahl des Autors:

Spiegel, Egon: Dresden 1945, Nanjing: Nanjing Normal University Press, 2022

Spiegel, Egon / Mutalemwa, George / Liu, Cheng / Kurtz, Lester R. (eds.): Peace Studies for Sustainable Development in Africa. Conflicts and Peace Oriented Conflict Resolution, Cham/Schweiz: Springer Nature, 2022

Liu, Cheng / Spiegel, Egon: Peacebuilding in a Globalized World. An illustrated Introduction to Peace Studies, Beijing: People's Publishing House, 2015

Nagler, Michael / Spiegel, Egon: Politik ohne Gewalt. Prinzipien, Praxis und Perspektiven der Gewaltfreiheit, Berlin: LIT, 2008

Spiegel, Egon: Gewaltverzicht. Grundlagen einer biblischen Friedenstheologie, Kassel: WeZuCo, 2. Aufl. 1989; außerdem als Nachdruck in der von Thomas Nauerth hrsg. Digitalen Handbibliothek Christlicher Friedenstheologie, Berlin 2005

Thomas Nauerth / Annette M. Stroß (Hrsg.): In den Spiegel schauen. Friedenswissenschaftliche Perspektiven für das 21. Jahrhundert. Ein Lesebuch mit Texten von Egon Spiegel, Norderstedt: edition pace, 2022

Das neue Friedenswort "Friede diesem Haus"

Das neue Friedenswort der Bischöfe -  Gewalt überwinden und doch nicht auf Wehrhaftigkeit verzichten 

Die deutschen Bischöfe reden bei ihrer Frühjahrsvollversammlung in Augsburg nicht nur über innerkirchliche Fragen. Mit einem 175-Seiten-Papier nehmen sie Stellung zur Sicherheitspolitik: Warum Aufrüstung unvermeidlich ist, aber dennoch an Irrsinn grenzt.

Das Friedenswort wurde während der Frühjahrs-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz. Der Text steht in der Tradition der friedensethischen Grundlagentexte "Gerechtigkeit schafft Frieden" (1983) und "Gerechter Friede" (2000). / © Marko Orlovic (DBK)
Das Friedenswort wurde während der Frühjahrs-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz. Der Text steht in der Tradition der friedensethischen Grundlagentexte "Gerechtigkeit schafft Frieden" (1983) und "Gerechter Friede" (2000). / © Marko Orlovic ( DBK )
Quelle:
DR