Priester Rothe erklärt seine Strafanzeige gegen die AfD

"Kirche muss auf der Seite von diskriminierten Menschen stehen"

Der Blick geht gierig Richtung Kind, die Hand drohend ausgestreckt - gegen diese Darstellung von queeren Menschen hat Wolfgang Rothe Strafanzeige gestellt - und war bei einer Demo rund um eine Kinder-Lesung in München dabei.

Solidaritätsdemo München ist bunt / © Sven Hoppe (dpa)
Solidaritätsdemo München ist bunt / © Sven Hoppe ( dpa )

DOMRADIO.DE: Im Vorfeld hatte die AfD mit dem Plakat, gegen das Sie Strafanzeige gestellt haben, für eine Demo gegen eine Lesung in der Stadtbibliothek München-Bogenhausen mit Drag-Künstlern geworben. Warum haben Sie nicht nur die Strafanzeige gestellt, sondern sind auch gestern auf der Gegendemo "München ist bunt" gegen die AfD-Veranstaltung aufgetreten?

Wolfgang Rothe / © Felix Hörhager (dpa)
Wolfgang Rothe / © Felix Hörhager ( dpa )

Dr. Dr. Wolfgang Rothe (Pfarrvikar im Pfarrverband Perlach/Erzbistum München-Freising): Mir war es einfach wichtig, Flagge zu zeigen und auf diese Weise zum Ausdruck zu bringen, dass die Kirche auf Seiten der Menschen stehen muss, die diskriminiert, die ausgegrenzt, die verunglimpft werden. Und dass wir als Kirche unbedingt immer Zeugnis ablegen müssen für Menschenrechte. Und dazu gehören die Rechte queerer Menschen ebenfalls dazu.

DOMRADIO.DE: Das Plakat ist ja der Höhepunkt im Streit um eine Lesung für Kinder in der Stadtbibliothek in München-Bogenhausen. Dort haben zwei Drag-Künstler Kindern Geschichten vorgelesen und dagegen richtete sich die AfD mit ihrer Protestkundgebung und dem Plakat. Wie haben Sie dann die Situation gestern vor Ort erlebt?

Rothe: Die Stimmung war sehr aufgeheizt. Die Polizei war mit über 200 Einsatzkräften vor Ort. Die beiden Demonstrationen fanden unmittelbar nebeneinander statt - ein relativ kleines Häuflein von AfD-Anhängern und eine riesige, wogende Masse von bunten Fahnen. Das war schon eine sehr eigenartige Erfahrung, die man da machen konnte.

DOMRADIO.DE: Jetzt kann man ja lange darüber diskutieren, ob Kinder überhaupt einen Drag-Künstler als solchen wahrnehmen oder nicht. Ihnen geht es ja auch nicht darum, dass man nicht über die Sinnhaftigkeit dieser Lesung für Kinder ab vier Jahren diskutieren darf, oder?

Rothe: Ganz richtig. Ich denke, man muss diese beiden Sachverhalte sehr sorgfältig trennen. Auf der einen Seite gibt es eben diese Lesung. Man kann ganz bestimmt darüber diskutieren, auf welche Weise und in welchem Alter es sinnvoll ist, Kindern die Vielfalt menschlicher Identitäten und menschlicher Lebensweisen nahezubringen. Über das "Wie" kann man diskutieren, nicht über das "Ob".

Wolfgang Rothe

"Man kann ganz bestimmt darüber diskutieren, auf welche Weise und in welchem Alter es sinnvoll ist, Kindern die Vielfalt menschlicher Identitäten und menschlicher Lebensweisen nahezubringen"

Kinder und Heranwachsende müssen lernen, dass sie hier in Deutschland in einer vielfältigen Gesellschaft leben. Und sie müssen diese Gesellschaft als etwas Bereicherndes erleben dürfen. Genau das wollte man mit dieser Lesung erreichen.

Nun wurde ja von Seiten der AfD der Eindruck erweckt, dass hier eine Sexualisierung von Kindern betrieben werden soll. Das ist in zweierlei Hinsicht Unsinn. Erstens wurde niemand gezwungen, zu dieser Lesung zu gehen. Eltern konnten frei entscheiden, ob sie mit ihren Kindern dort hingehen oder nicht. Und zum anderen ging es bei dieser Lesung überhaupt nicht um sexuelle Themen, um Sexualität, sondern es ging um die Vielfalt von Identitäten und Lebensweisen.

Unter dem Motto "Wir lesen euch die Welt, wie sie euch gefällt" lasen Dragkünstler in einer Stadtteilbibliothek Kindern aus Büchern vor. Die geplante Veranstaltung hatte in der bayerischen Politik zu Diskussionen und Demonstrationen geführt.  / © Sven Hoppe (dpa)
Unter dem Motto "Wir lesen euch die Welt, wie sie euch gefällt" lasen Dragkünstler in einer Stadtteilbibliothek Kindern aus Büchern vor. Die geplante Veranstaltung hatte in der bayerischen Politik zu Diskussionen und Demonstrationen geführt. / © Sven Hoppe ( dpa )

Das Plakat, das die AfD aufgehängt hat, um zur Gegendemonstration aufzurufen, diskriminiert queere Menschen pauschal, stellt queere Menschen, insbesondere Drag Queens und Drag Kings, als Missbrauchstäter dar, als Straftäter. Und damit ist meines Erachtens die Grenze zur Volksverhetzung ganz klar überschritten.

DOMRADIO.DE: Sie setzen sich ja nun schon länger gegen Diskriminierung von queeren Menschen ein. Und doch ist der Katechismus der Katholischen Kirche bislang da eindeutig. Auch der Botschafter des Papstes in Deutschland, Nuntius Eterovic, hat das noch mal kürzlich bekräftigt: Es gibt nur Männer und Frauen aus kirchlicher Sicht. Praktizierte Sexualität darf es nur in einer heterosexuellen Ehe geben, alles andere ist Sünde. Wie gehen Sie mit diesem Widerspruch um?

Rothe: Mit diesem Widerspruch muss ich leben. Ich versuche natürlich immer dafür zu werben, sich sowohl humanwissenschaftlich als auch theologisch auf den neuesten Stand zu bringen.

Wolfgang Rothe

"Mit diesem Widerspruch muss ich leben."

Und wenn man das macht, dann ist ganz klar, dass diese Sichtweisen, wie sie im Katechismus dargelegt sind, in keiner Weise mehr wissenschaftlich getragen sind.

DOMRADIO.DE: Sie haben es mit Blick auf die Demonstrationen gestern schon so ein bisschen angedeutet: Auf der einen Seite die AfD-Anhänger, auf der anderen Seite die Menschen, die für ein weltoffenes Deutschland demonstriert haben. Mittendrin in der Debatte um Identitäten und Geschlechter die Katholische Kirche, in der es beim Thema Sexualität widersprüchliche und gegensätzliche Haltungen gibt. Haben Sie die Hoffnung, dass es so etwas wie Versöhnung geben kann, innerhalb der Kirche, aber auch innerhalb der Gesellschaft?

Rothe: Ich denke, es ist ganz wichtig, dass solche Diskussionen geführt werden. Eine Veranstaltung wie gestern in einer derart aufgeheizten Stimmung ist sicherlich wenig geeignet, Versöhnung herbeizuführen.

Wolfgang Rothe

"Eine Grenze, der man sich ganz klar entgegenstellen muss, ist, wo Menschen diskriminiert werden"

Aber meinerseits bin ich zum Beispiel auch jederzeit bereit, mit Leuten zu sprechen, die anderer Meinung sind, die Bedenken haben. Eine Grenze, der man sich ganz klar entgegenstellen muss, ist, wo Menschen diskriminiert werden, wo Menschen verunglimpft werden, wo Volksverhetzung betrieben wird. Da sollte man als Kirche ganz klar sagen: Ohne uns!

Das Interview führte Mathias Peter.

Quelle:
DR