Für viele Tunesier endet die Überfahrt nach Italien in einer Katastrophe

Die riskante Hoffnung auf ein besseres Leben

Mit Sorge blicken Italiens Behörden nach Libyen: Droht aus dem nächsten nordafrikanischen Land im Umbruch bald auch eine Flüchtlingswelle? Seit zwei Wochen machen sich Hunderte auf den Weg nach Lampedusa. Viele mussten bereits für ihre Hoffnungen auf ein besseres Leben in Europa mit dem Tod bezahlen.

Autor/in:
Reiner Wandler
 (DR)

Die Hoffnung auf ein besseres Leben in Europa endete für Mohammed Mzem in einer Katastrophe. In der Nacht vom 10. auf den 11. Februar bestieg der 35-jährige Tunesier im Hafenstädtchen Zarzis ein völlig überfülltes Fischerboot, um die Überfahrt nach Italien zu wagen. Doch die 120 Insassen erreichten nie ihr Ziel, die 150 Kilometer entfernte Insel Lampedusa. Auf hoher See wurde das Flüchtlingsboot von einem Schiff der tunesischen Marine gerammt und kenterte. Nur 90 Passagiere überlebten.



Mohammed Mzem und die übrigen Insassen träumten wie viele ihrer Landsleute von besseren Lebensbedingungen und besser bezahlter Arbeit in Europa. Umgerechnet 1.000 Euro hatte jeder von ihnen für die Überfahrt bezahlt. Im südtunesischen Zarzis versammelten sich nach dem Sturz von Präsident Zine El Abidine Ben Ali viele Menschen auch aus dem Landesinneren, um den Sprung in eine bessere Zukunft zu versuchen.



"Es war eine einzigartige Gelegenheit"

"Es war wie ein Fest", erinnert sich Mohammed Mzem. "Der Hafen war unbewacht. Es war eine einzigartige Gelegenheit. Wer irgendwie das Geld zusammenbringen konnte, kaufte sich einen Platz auf einem Boot", erzählt der 35-Jährige. "Eigentlich bin ich nie auf die Idee gekommen auszuwandern, aber irgendwie war die Stimmung ansteckend", berichtet Mzem.



Doch die Überfahrt endete in einer Tragödie. "Das Boot wurde auf hoher See vom Militär gerammt. Wir kenterten und gingen binnen einer Minute unter", berichtet Mzem. Er hatte Glück im Unglück und wurde von den Soldaten aus dem Meer gefischt. Fünf Insassen wurden tot geborgen, 25 sind nie wieder aufgetaucht.



Es war das erste Boot, das von der tunesischen Armee nach dem Sturz von Ben Ali aufgebracht wurde. Die Übergangsregierung in Tunis geriet unter Druck, als immer mehr Flüchtlingsboote aus Zarzis auf Lampedusa eintrafen und die italienische Regierung vor einer humanitären Krise warnte und gar Soldaten nach Tunesien entsenden wollte. Das tunesische Militär bewacht seither den Hafen. Die Küstenwache ist wieder aktiv.



"Die Tür stand offen"

Ein anderer Überlebender der Tragödie, Lezhar Lazlam, berichtet von den Beweggründen der Flüchtlinge, das Land zu verlassen: "Viele waren arbeitslos, andere hatten schlecht bezahlte Gelegenheitsjobs." Bis zum Tag seiner Flucht fuhr der 25-Jährige einen Lieferwagen - für umgerechnet 100 bis 120 Euro im Monat. "Selbst wenn du Arbeit hast, kommst du mit dem Lohn nicht weit. Wer will nicht in einer eigenen Wohnung leben, heiraten, Kinder haben, ein Auto haben", sagt Lazlam.



"Politisch erleben wir eine Zeit der Freiheit und der Hoffnung, doch die wirtschaftliche Lage in der Region ist so schlecht, dass die jungen Menschen einfach nicht die Geduld hatten, auf Besserung zu warten", sagt der Gewerkschafter Hamed Bouzoumita. "Die Tür stand offen, die Versuchung war zu groß", resümiert der 62-Jährige.



Es gibt fast keine Industrie und nur wenige Touristenhotels in der 120.000-Einwohner-Stadt Zarzis. Die Olivenhaine, die einzige landwirtschaftliche Aktivität, werfen immer weniger ab. Der Fischfang steckt in der Krise, denn das Mittelmeer ist durch die großen Fangflotten aus Europa völlig überfischt.



Viele Fischer hätten wirtschaftliche Sorgen und hohe Schulden bei der Bank, erzählt der Schiffsmechaniker Kenizi Faiçal im Hafen von Zarzis. "Wenn Du das Schiff an jemanden verkaufst, der umgerechnet 1.000 bis 1.250 Euro pro Passagier nimmt, und auf einem Kutter wie dem hier 200 Passagiere unterbringt, kannst Du den Kredit begleichen und mit etwas anderem anfangen", rechnet Faiçal vor.