DOMRADIO.DE: Am Gründonnerstag wäscht Jesus seinen Jüngern die Füße. Heute würde man sagen, er verrichtet in großer Demut einen niederen Dienst an seinen Freunden. Denn das griechische Wort Diakon bedeutet Diener oder Helfer. Herr Zielinski, Sie selbst sind Diakon im Subsidiarsdienst. Welche Rolle spielt dieses Urbild der Fußwaschung für Ihr persönliches Selbstverständnis?
Frank Zielinski (Leiter des Erzbischöflichen Diakoneninstituts in Köln): Darin spiegelt sich eine Haltung wider, die sich meiner Meinung nach jeder Diakon zu eigen machen sollte. Für mich persönlich ist das jedenfalls ein ganz wichtiges und auch faszinierendes Bild, das mein Selbstverständnis als Diakon zutreffend beschreibt. Als Kind habe ich in meiner Heimatgemeinde erlebt, wie sich der Priester am Gründonnerstag hinkniet und Menschen exemplarisch die Füße wäscht. Damit vergegenwärtigt er das Evangelium, das an diesem Tag interessanterweise je eben nicht von der Einsetzung der Eucharistie, sondern vielmehr von diesem Liebesdienst Jesu an seinen Jüngern berichtet.
Papst Franziskus hat für mich die Bedeutung und Dimension der Fußwaschung noch einmal sehr deutlich gemacht, als er als der Stellvertreter Christi auf Erden in den ersten Jahren seines Pontifikats in Gefängnisse gegangen ist, um Strafgefangenen und Kriminellen die Füße zu waschen. Damit hat er gezeigt, dass die Fußwaschung ein Dienst aus Liebe zu allen Menschen ist, aber besonders eben auch zu denen, die diese Zuwendung in ihrem Leben besonders spüren müssen oder brauchen. Als Diakon versuche ich, in dieser Haltung meinen Dienst zu tun. Nicht nur in der Gemeinde, sondern auch in der Leitung des Diakoneninstituts ist es mir wichtig, dass wir nicht von oben herab mit den Menschen umgehen, die mit uns unterwegs sind, sondern in einem tiefen Respekt vor der Würde und der Lebensgeschichte eines jeden Einzelnen. Das ist für mich der Auftrag aus der Fußwaschung.
DOMRADIO.DE: So steht es auch im "Pastoralen Profil des Ständigen Diakonats im Erzbistum Köln", das Kardinal Woelki vor einem Dreivierteljahr in Kraft gesetzt hat: Der Dienst der Fußwaschung sei der bleibende Auftrag des dienenden Christus an seine Kirche.. Geht es bei der Umsetzung dieses Auftrags um die Glaubwürdigkeit und Zukunftsfähigkeit der Kirche und betrifft ein Mehr an caritativem Engagement nicht letztlich jeden Einzelnen – nicht nur den Diakon?
Zielinski: Caritatives Engagement ist tatsächlich jedem Christen aufgetragen. Durch Taufe und Firmung sind wir auch dazu angehalten, für Menschen in Not zu sorgen. Allerdings wird das in vielen unserer Gemeinden häufig an caritative Fachverbände delegiert, von denen man glaubt, dass die das schon allein handwerklich besser können. Aber um diese Frage geht es ja gar nicht zuallererst, sondern darum, welche Haltung wir einnehmen und wie wir als Christen ganz persönlich die Botschaft Jesu transportieren. Die große Krise der Glaubwürdigkeit – gerade auch aufgrund der Missbrauchsthematik – hat unsere Kirche und Gesellschaft total erschüttert. Die Menschen glauben uns häufig einfach nicht mehr, was wir ihnen erzählen.
Glaubwürdig sind wir dann, wenn wir glaubwürdig handeln. Wenn wir für Menschen da sind und versuchen, ihr Leben heiler und hoffnungsvoller zu machen, dann können sie vielleicht auch eine Ahnung davon bekommen, dass Gott jeden Menschen zutiefst liebt. Und dann fragen sie uns vielleicht auch wieder nach dem Grund, aus dem wir handeln. Letztlich geht es doch darum, dass Nächstenliebe an der Tat erkennbar wird – und wir sie nicht nur als Wort in den Mund nehmen. Der Heilige Franziskus hat gesagt: "Verkündet das Evangelium – zur Not auch mit Worten." Das trifft für mich den Auftrag des Diakons im Kern.
DOMRADIO.DE: Wenn man das „Pastorale Profil“ richtig liest, geht es um eine Fokussierung auf die "Diakonia". Es geht verstärkt darum, der dienenden Kirche ein Gesicht zu geben. Ein Diakon soll den dienenden Christus repräsentieren. Worin liegt die Zuspitzung zu früher? Was soll sich ändern? Und warum?
Zielinski: In der öffentlichen Wahrnehmung wird der Diakon vor allem in liturgischen Vollzügen – also bei Messassistenz, Taufe, Trauung und Beerdigungen – erlebt. Weniger offensichtlich ist dagegen der Dienst des Helfens, der oft im Verborgenen geschieht. Und so hat man häufig ein ganz anderes Bild vom Diakon im Kopf als es eigentlich der Realität entspricht. Kardinal Woelki wollte mit dem Nachschärfen beim Profil des Diakonats deutlich machen: Die Diakonia ist letztlich die Sinnspitze des Diakonats, und Diakone sollen dementsprechend vor allem tatkräftig diakonal für die Menschen da sein. Natürlich ist der Diakon auch weiterhin in der Liturgie und in der Verkündigung aktiv und gefordert, aber es stellen sich vielleicht auch noch einmal neue Fragen: Wie kann Liturgie dienend erfahren werden? Dazu könnte der Diakon sicher nicht nur rituell, sondern auch inhaltlich etwas beitragen. Oder er schaut, wie bei seiner Verkündigung eher Menschen in den Blick geraten, die in der gemeindlichen Wirklichkeit mitunter verloren gehen.
DOMRADIO.DE: Sie haben in einem Interview einmal gesagt, dass der Dienst des Diakons ein Dienst ist, der versucht, andere Menschen groß zu machen; Menschen, die – aus welchen Gründen auch immer – klein gehalten werden, klein gehalten sind oder sich klein fühlen. Wie meinen Sie das konkret?
Zielinski: So verstehe ich die Fußwaschung. Jesus sagt: "Ihr sagt zu mir Meister und Herr, und ihr nennt mich mit Recht so, denn ich bin es. Wenn nun ich, der Herr und Meister, euch die Füße gewaschen habe, dann müsst auch ihr einander die Füße waschen. Ich habe euch ein Beispiel gegeben, damit auch ihr so handelt, wie ich an euch gehandelt habe." Demnach dient doch das kirchliche Amt insgesamt und der Diakonat im Speziellen nicht dazu, sich selbst zu feiern oder in voller Größe darzustellen, sondern Gottes Willen zu erfüllen, indem wir einander dienen. Im Bücken Jesu, im Hinunterbeugen zu den schmutzigen Füßen, in der rituellen Reinigung vor dem gemeinsamen Mahl – was zu der Zeit ja ein Sklavendienst war – kommt Jesu diakonale Haltung zum Ausdruck. Für uns als Kirche bedeutet das: Wir nehmen uns zurück und tragen Gottes Liebe so in uns, dass wir überhaupt keine Schwierigkeit damit haben, uns vor anderen Menschen zu bücken, um die niedrigsten Dienste an ihnen zu verrichten. Das ist zugegebenermaßen ein hohes Ideal, aber dafür ist der Diakon in besonderer Weise beauftragt und geweiht.
Wenn man den Dienst der Fußwaschung ins Heute übersetzt, dann geht es um Hinwendung und Fürsorge für Menschen, die klein und marginalisiert sind wie zum Beispiel Geflüchtete oder Obdachlose – ich denke da an großartige kirchliche Einrichtungen wie das Notel, das "Gubbio" oder die vielen Lebensmittelausgaben und Tafeln, wo die tätige Nächstenliebe für die Menschen erlebbar wird. In der Nachfolge des Evangeliums helfen wir mit, dass Menschen ihre Würde zugesprochen bekommen, sie unter menschenwürdigeren Umständen leben können. Und das geschieht schon allein dadurch, dass wir sie als Gäste behandeln und nicht als Bedürftige.
DOMRADIO.DE: Ich zitiere noch einmal aus dem Papier: "Als ´Stachel im Fleisch’ halten die Diakone die diakonale Berufung der Kirche wach, geben Zeugnis von einer Kirche der Armen und auch einer armen Kirche, die eintritt für den unlösbaren Zusammenhang von Gottesdienst, Verkündigung und Dienst am Nächsten. Und weiter: "Der Diakon ist Brückenbauer zwischen Kirche und Welt und trägt das Evangelium bewusst zu den Menschen ‚an den Rändern’ von Kirche und Gesellschaft." War das nicht immer so?
Zielinski: In der Theorie schon. In der Praxis aber sieht es dann doch häufig so aus, dass gerade in den Gemeinden geschaut wird: Welches pastorale Feld ist gerade frei, wer macht die Erstkommunionvorbereitung, wer die Seniorenarbeit oder den Kita-Gottesdienst? Wenn der Diakon Brückenbauer sein soll, dann bedeutet das, sich besonders auch um die zu kümmern, die nicht zum "inner circle" der Gemeinde gehören. Dadurch, dass der Diakon aber als geistlicher Amtsträger und Teil des Pastoralteams selbst zu diesem "circle" gehört, besteht immer die Gefahr, dass er vereinnahmt wird. Vielleicht kann der Diakon in Zukunft an der einen oder anderen Stelle – und das ist für mich mit dem "Stachel im Fleisch" gemeint – auch in guter Weise ein Gegenüber zur Gemeindewirklichkeit sein. Selbst wenn der Diakon keinen Sitz und kein Stimmrecht im Kirchenvorstand hat, wäre es doch gut, wenn er im KV daran erinnern kann, dass die Mittel der Gemeinde nicht nur dafür eingesetzt werden, dass für die "Kerngemeinde" gut gesorgt ist, sondern auch dafür, dass Not gelindert wird.
DOMRADIO.DE: Und noch ein Zitat: "Ständige Diakone sind weder auf den Dienst eines christlichen Sozialarbeiters reduziert, noch übernehmen sie in Situationen des zunehmenden Mangels die Aufgaben eines ‚Ersatzpriesters’." Ist aber nicht das genau der Spagat, den die derzeit 300 Diakone – davon etwa 100 im Hauptberuf – im Erzbistum stemmen müssen?
Zielinski: Es geht immer darum zu schauen, was ist vor Ort notwendig und wie kann der Diakon dem dienen, was in einer Gemeinde gerade dran ist. Wenn schon eine hervorragende Caritasarbeit läuft, dann sollte der Diakon auf keinen Fall hingehen und diesbezüglich Besitzansprüche stellen. Stattdessen kann er unterstützen und überlegen, was es braucht, um die in diesem Feld Engagierten zu stärken. Vielleicht kann er auch Kontakte zu anderen Hilfsorganisationen außerhalb der Kirche herstellen, so dass man sich da noch besser vernetzt.
In einer anderen Gemeinde werden vielleicht nur noch wenige Gottesdienste gefeiert. Da könnte der Diakon dann helfen, Menschen zu suchen, die mit seiner Unterstützung befähigt werden, Wortgottesdienste zu leiten. Denn er bringt ja eine Menge an liturgischen Kenntnissen mit. Und die kann er der Gemeinde zur Verfügung stellen, damit vor Ort weiter gebetet werden kann und Gottesdienstfeiern möglich sind. Er schaut, was es braucht, damit eine Gemeinde lebendig bleibt und die Menschen vor Ort einbezogen werden.
DOMRADIO.DE: Eine in der Summe doch recht vielseitige, anspruchsvolle und – richtig verstanden – auch erfüllende Aufgabe…
Zielinski: Auf jeden Fall! Die Profilierung des Diakonats bedeutet für mich, dass man sich nicht einfach auf jeden Stuhl setzt, der einem angeboten wird, sondern dass man mit einer klaren Option für die Menschen in Not unterwegs ist und sich für das stark macht, was dem Leben dient und der Spur des Evangeliums folgt. Das kann bedeuten, auch manche Selbstverständlichkeit in einer Gemeinde, die nur um sich selber kreist, infrage zu stellen und sich auch für die Menschen außerhalb von Gemeindeleben und Kirche zu interessieren, indem man fragt: Was brauchen denn die eigentlich zum Leben? Wie könnten diese Menschen denn durch uns als kirchliche Gemeinde erfahren, dass das Leben besser wird? Wie können wir da Salz der Erde und Licht der Welt für und mit den Menschen sein? Das sind Fragen, die aus meiner Sicht ein Diakon in besonderer Weise anstoßen könnte.
In Abwandlung eines Wortes von Jacques Gaillot, der gesagt hat „Eine Kirche, die nicht dient, dient zu nichts“ würde ich sagen: Eine Kirche, in der die zuvorkommende und dienende Liebe Gottes nicht erfahrbar wird, braucht nicht vom Himmel zu reden. Anders formuliert: Wir brauchen eine Kirche, die tatkräftig die Liebe Gottes für die Menschen erfahrbar macht. Vielleicht glauben uns die Menschen dann auch wieder, wenn wir von diesem Gott erzählen.
Das Interview führte Beatrice Tomasetti.