Fünf Jahre nach Kriegsende bereiten sich die Menschen auf Schicksalswahlen vor

Entscheidungsjahr im Südsudan

Menschenrechtler beklagen eine erneute Eskalation der Gewalt im Südsudan und warnen vor einem Scheitern des Friedensabkommens von 2005. Seit Monaten nehmen bewaffnete Auseinandersetzungen wieder zu. Auch im westsudanesischen Darfur ist eine friedliche Beilegung des anhaltenden Konflikts nicht in Sicht. Im April sollen ersten freien Wahlen seit
24 Jahren stattfinden.

Autor/in:
Marc Engelhardt
 (DR)

Noch flattern am Dienstwagen von Salva Kiir zwei Flaggen:
rechts die sudanesische, links die des halbautonomen Südsudan. Denn als südsudanesischer Präsident ist Kiir zugleich Vize-Präsident in der sudanesischen Hauptstadt Khartum. Wenn es aber nach den Wünschen des 58-Jährigen geht, wird er 2011 eine Flagge abgeben. Dann werden die Südsudanesen über eine Loslösung vom Norden entscheiden. So will es der Friedensvertrag, mit dem am 9. Januar 2005 zwei Jahrzehnte Bürgerkrieg zwischen dem Süden und dem Norden zu Ende gingen.

Für die Autonomie werden 90 Prozent Zustimmung erwartet, mindestens. Damit würde für den langjährigen Rebellenführer Kiir, der seine Jugend im Busch verbracht und für die Unabhängigkeit des christlich-animistisch geprägten Südsudan gekämpft hat, würde ein Traum wahr. Doch bis dahin sind noch viele Hürden zu überwinden. 2010 wird dabei das Schicksalsjahr.

Das weiß Kiir: «2010 wird eine besondere Herausforderung, weil wir die Wahlen überstehen müssen.» Es sind die ersten freien Wahlen seit 24 Jahren, die landesweit im April stattfinden sollen. Kiir tritt dabei gegen den langjährigen Staatspräsidenten Omar Hassan al-Baschir an, dem wegen Kriegsverbrechen in der westsudanesischen Region Darfur vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag der Prozess gemacht werden soll.

Doch in Wirklichkeit will Kiir nur die letzte Etappe abhaken, die im Friedensvertrag vor der entscheidenden Volksabstimmung 2011 steht. Die Wahlen selbst sind den meisten Südsudanesen egal. Die Wählerregistrierung lief im November so schleppend an, dass Kiir einen einwöchigen Sonderurlaub für alle Beamten ausrufen musste, damit sie vor Ort für die Eintragung in die Wählerregister werben konnten. Offenbar mit Erfolg: Der Nationalen Wahlkommission zufolge haben sich nirgendwo im Land so viele Wähler registriert wie im Süden.

Doch ob das hilft, um einer der unterentwickeltsten Regionen Afrikas die politische Grundlage für die Selbstständigkeit zu verschaffen, ist umstritten. «Wir hatten eine Missernte, weil die Regenfälle im Mai ausgefallen sind, jetzt leiden die Menschen Hunger», sagt etwa der Büroleiter der UN-Koordination für humanitäre Hilfe (OCHA) im südsudanesischen Juba, Giovanni Bosco.

Südsudans Regierung kann nichts tun: 95 Prozent des Haushalts bestreitet sie aus Ölerlösen. Wegen des sinkenden Ölpreises sind die Einnahmen 2009 im Vergleich zum Vorjahr um mehr als die Hälfte gesunken. Dazu kommt die wachsende Unsicherheit im Land. 300.000 Südsudanesen sind im vergangenen Jahr geflohen, mehr als 2.500 bei Kämpfen ums Leben gekommen. Alleine bei einem Angriff auf einen Konvoi des Welternährungsprogramms seien über 100 südsudanesische Soldaten erschossen worden, betont Bosco.

Dabei spricht Bosco von einer neuen Qualität der Gewalt: Zwar habe es von jeher ethnische Konflikte gegeben, oft kämpften Krieger wochenlang um angeblich gestohlenes Vieh. «Aber jetzt gibt es keine Gefechte mehr, sondern regelrechte Massaker, und viele der Opfer sind Frauen und Kinder.»

Auf den Korridoren des Parlaments von Juba gibt es Abgeordnete, die den ehemaligen Kriegsfeind in Khartum für die Ausrüstung von Milizen und die Anstachelung zum Bürgerkrieg verantwortlich machen. «So haben die das zuletzt in Darfur gemacht, und jetzt wollen sie bei uns zündeln, damit aus der Wahl nichts wird und sie die Ölfelder behalten können», sagt eine Abgeordnete, die ihren Namen nicht nennen will.

Doch David Gressly, Regionalkoordinator der UN-Mission im Südsudan, die mit mehr als 8.500 Blauhelmen den Friedensprozess sichern soll, gibt sich optimistisch. «Niemand will wirklich einen Konflikt, weder der Norden noch der Süden», glaubt er. Seine Truppen sieht er in einer wichtigen Pufferfunktion zwischen rivalisierenden Gruppen im Land, die nach dem langen Bürgerkrieg leichten Zugang zu Waffen und Munition hätten. «Manche Massaker beginnen auf der Grundlage von Gerüchten, dann jagt ein Vergeltungsangriff den anderen und auf einmal haben wir Dutzende Tote.»